Kommentar:Mut zur Zukunft

Lesezeit: 2 min

Das deutsche Eishockey hat ein unvergessliches Jahr erlebt. Doch der Blick geht weiter nach vorne. Die Erfolge betrachtet man als Rückenwind.

Von Johannes Schnitzler

Die "Fröhliche Morgensonne": untergegangen. "Unser Fritz": ist nicht mehr. "Minister Achenbach": längst abgedankt. Zechen im Ruhrgebiet trugen einst verheißungsvolle Namen. Am Freitag hat die letzte dichtgemacht, Prosper-Haniel in Bottrop. Die Zeit der Steinkohle ist vorbei, endgültig "Schicht im Schacht", wie man so sagt. Zum Abschied gab es einen Festakt, der Bundespräsident sprach. In Gelsenkirchen haben der FC Schalke 04 und seine Fans am Mittwoch vor dem Spiel gegen Leverkusen dieser Zäsur besonders bewegt gedacht. Voller Inbrunst sang Präsident Clemens Tönnies "Glück auf, der Steiger kommt". Schalke verlor 1:2.

Nicht wenigen in Gelsenkirchen kommen diese Tage genauso trostlos vor wie jene nach dem 19. Mai 2001, als Schalke Meister war, ganze 4:38 Minuten lang. Dann schoss Patrik Andersson einen Ball in ein Tor - und traf Nullvier in der Seele. Es wäre der erste deutsche Meistertitel für Schalke gewesen seit 1958.

Der Eishockey-Nationalmannschaft ging es im Februar nicht viel besser. "Wir waren drei Minuten Olympiasieger", klagte der Kölner Moritz Müller. Bis Nikita Gussew kam und 55,5 Sekunden vor Schluss den Puck ins deutsche Tor schoss und Kirill Kaprisow in der Verlängerung noch einmal. Dass sie tatsächlich nur 2:20 Minuten lang Olympiasieger waren und genau genommen nicht einmal das, machte die Enttäuschung nicht leichter. Die Deutschen haben das olympische Endspiel 3:4 verloren. Tränen, auch hier. Aber ein paar Minuten später lachten sie, weil sie lieber lachend als weinend auf den Erinnerungsfotos zu sehen sein wollten, wie Stürmer Patrick Reimer weise anmerkte. Für die Eishockeymannschaft war Platz zwei, Silber, 42 Jahre nach dem "Wunder von Innsbruck", der größte Erfolg ihrer Geschichte. Der Bundespräsident sprach. Aber nicht von einem Ende.

Der Aufstieg der U 20 in die Top-Division; der Einzug Münchens als erste deutscher Klubmannschaft ins Halbfinale der Champions League; die Auszeichnung als "Mannschaft des Jahres": "Ein ereignisreicheres Jahr hat es für den Deutschen Eishockey-Bund nie gegeben", sagte DEB-Präsident Franz Reindl am Donnerstag bei der Präsentation des neuen Bundestrainers Toni Söderholm. Toni wer?

Ja, es gab auch einen kritischen Moment in diesem Annus mirabilis für das deutsche Eishockey. Es war der Tag, als Bundestrainer Marco Sturm seinen Präsidenten darüber informierte, dass er in die NHL wechseln wolle. Sturm, der Prince Charming und Wachküsser einer oft verschmähten Sportart. "Das hat uns schon ein wenig durchgeschüttelt", bekannte Reindl. Aber mit der Ernennung Söderholms zu Sturms Nachfolger hat der DEB sein Versprechen eingelöst, das Sportdirektor Stefan Schaidnagel direkt nach dem Finale von Pyeongchang gegeben hatte: "Diesen Schwung, diese Euphorie wird der DEB als Rückenwind für die weitere Reformarbeit nutzen." Söderholm, 40, mag ein weithin unbekannter Trainer aus der dritten Liga sein, wie einige mokant anmerken. Beim deutschen Meister München und seinem Kooperationspartner haben sie ihn aber gezielt aufgebaut. Dass er nun gleich die höchste Aufgabe im Land übernimmt, ist mutig. Aber dieser Mut ist das Band um ein Reformpaket, das über 2018 hinaus Inhalte liefern soll, mindestens bis Peking 2022. Es ist der Mut zur Zukunft.

In der Physik gilt 1905 als Annus mirabilis. Ein Jahr nach Gründung des FC Schalke 04 veröffentlichte Albert Einstein seine Grundlagen zur Speziellen Relativitätstheorie. 2:20 Minuten als Olympiasieger etwa sind relativ kurz - oder ein Urknall, der Beginn einer Ära. Während Schalke wieder mal seiner Vergangenheit nachtrauert, blickt das deutsche Eishockey entschlossen nach vorn. In eine neue Zeit. Die Morgensonne lacht.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: