Kommentar:Medaillen von vorgestern

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Hammerwerfer Markus Esser wird am Wochenende bei der nationalen Meisterschaft für Erfolge geehrt, um die ihn Dopingbetrüger gebracht hatten. Aber auch die späte Auszeichnung löst nicht alle Probleme.

Von Johannes Knuth

Markus Esser fehlten damals 19 Zentimeter, ein Kölschglas, wie er heute sagt. Ein Kölschglas lag 2005, bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Helsinki, zwischen dem vierten Platz, den der Hammerwerfer Markus Esser aus Leverkusen mit 79,16 Metern belegte, und dem Bronzerang. Bei der Siegerehrung kletterten andere aufs Podest, allen voran der Weißrusse Iwan Tichon, sie spielten dessen Hymne, wie auch bei der EM ein Jahr später: Tichon gewann, Esser wurde Vierter. Er wurde sogar noch einmal Vierter, 2011 bei der WM in Daegu. Der Esser, sagten manche später, ist halt der ewige Vierte. Als sie am Tag darauf die Hammerwerfer im Stadion ehrten, saß Esser im Publikum, ihm liefen Tränen die Wangen hinunter.

19 Zentimeter Differenz können im Hochleistungsgewerbe Spitzensport eine Karriere in die eine oder andere Richtung lenken. Sie trennen zwischen Anerkennung und Spott, sie entscheiden, ob der Sportler mit Sponsorenverträgen belohnt wird oder seine Fördergelder zusammenkratzen muss. Markus Esser, 35, war also ziemlich sauer, als er vor kurzem erfuhr, dass die Dopingfahnder in Tichons Proben nachträglich verbotene Substanzen entdeckt hatten - obwohl Esser dadurch für die WM 2005 und die EM 2006 jeweils auf den Bronzeplatz vorrückte. Ihm hätte damals ein Platz auf dem Siegerpodest zugestanden, er hätte sich nach den Wettkämpfen in die deutsche Flagge hüllen können - für Hammerwerfer sind diese Momente noch wertvoller als für Kollegen anderer Disziplinen, denn sie werden immer häufiger auf Nebenplätze abgeschoben oder aus Programmen gestrichen, angeblich aus Sicherheitsgründen. "Es war dein Recht, und darum bist du betrogen worden", sagte Esser zuletzt der Zeitschrift Leichtathletik, "als hättest du im Lotto gewonnen, kannst deinen Gewinn aber nicht nachweisen." Er hätte eine andere Vita gehabt, glaubt Esser; vielleicht hätte er im Sportstudio mal auf die Torwand geschossen.

Es sind viele Bilder, die bei EMs, WMs und Olympischen Spielen das Publikum berieseln, und Essers Fall zeigt erneut, wie berechtigt die Zweifel an der Echtheit dieser Bilder sind. Wenn Dopingtäter auffliegen, schreibt die IAAF ihre Geschichte lieber im Kleingedruckten um und schickt die Medaillen schon mal per Post. Sie könnte die Adressaten auch bei der nächsten WM mit einer Ehrung entschädigen, das tut sie aber nicht: Der Verband würde dann ja jene Bilder karikieren, die er vorher gezeichnet hat. Aber was sind diese Bilder letztlich noch wert?

Der Deutsche Leichtathletik-Verband veranstaltet am Wochenende in Nürnberg seine nationalen Meisterschaften. Er wird Esser bei dieser Gelegenheit nachträglich ehren, er wird versuchen, Gefühle wiederzubeleben, Bilder nachzustellen, die es damals nicht gab. Es wird nicht ganz gelingen, man kann im Leben nicht auf Neustart drücken und eine Szene nachspielen wie bei einem Computerspiel. Markus Esser sagt, er freue sich trotzdem auf die Ehrung, auf die Medaillen, auf die Ehrenrunde. Er wird zudem versuchen, seinen Titel zu verteidigen. Es könnte ein ziemlich gutes Wochenende für ihn werden. Selbst, wenn er in Nürnberg wieder mal Vierter werden sollte.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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