Kommentar:Investor oder Eigentor?

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Hertha BSC könnte es schaffen, mit dem Geld eines Investors Vernünftiges anzufangen. Oder es in der momentanen Hysterie zügig in den Sand setzen.

Von Philipp Selldorf

Entgegen der üblichen schlechten Nachrede hatte der Hauptstadtklub Hertha BSC zuletzt eine Reihe Erfolge vorzuweisen: Die Berliner nahmen Spitzenplätze in der Bundesliga ein, schafften den Sprung in den Europacup, und dem DFB-Pokal waren sie unlängst so nah wie nie zuvor. Auch nicht leugnen lässt sich aber, dass Hertha besagte Spitzenplätze nur vorübergehend besetzt halten konnte, und dass die Nähe zum DFB-Pokal in einem Halbfinale gegen Dortmund 2016 bestand (0:3). Und der Europacup: Dort war vor anderthalb Jahren nach der Vorrunde Schluss, das durfte aber niemanden erstaunen angesichts von Gegnern wie Sorja Luhansk und Östersunds SK, zwei Spitzenvertretern des ukrainischen und schwedischen Fußballs.

Herthas Bilanzen im 21. Jahrhundert bilden kein typisches Erfolgsmodell ab, trotzdem finden sich immer wieder Leute, die prophezeien, dass der Verein demnächst zur nationalen und internationalen Großmacht aufsteigen werde. Jetzt hat sich sogar ein wahrhaftiger Investor zu dieser Vision bekannt, indem er für 125 Millionen Euro 37,5 Prozent der Klubanteile erworben hat. Dass dieser Investor Lars Windhorst heißt und in der Finanzwirtschaft eine nicht unumstrittene Person ist, das ist der eine Aspekt, der in Berlin besorgt diskutiert wird. Dass Windhorst die Hertha zum "Big City Club" erklärte und mithin zu einem Verwandten von Real Madrid und dem FC Chelsea, berührt den anderen Teil der Debatte. Mancher Fan traut dem Geldgeber nicht, der schon zu Zeiten von Bundeskanzler Helmut Kohl als U21-Vorzeige-Unternehmer in Erscheinung trat. Andere sehen ihren Verein mit dem Geld des neuen Partners vor dem lang geweissagten Aufbruch ins goldene Zeitalter. Beide Betrachtungsweisen haben Berechtigung. Hertha könnte es schaffen, mit dem Geld etwas Vernünftiges anzufangen. Oder es zügig in den Sand setzen, zumal unter den Bedingungen eines Spieler-Transfermarkts, der in den Zeiten der Hyperinflation große Beträge zu Kleingeld werden lässt.

Einstiege von Großinvestoren haben sich im Fußball schon öfter als gewinnbringend für alle Beteiligten erwiesen. Die amerikanische Fenway Sports Group etwa kaufte 2010 für ein paar Hundert Millionen Euro den FC Liverpool. Im vorigen Sommer hätte sie ihn für 2,2 Milliarden an einen arabischen Interessenten veräußern können (was sie nicht tat). Und jene Golf-Araber, die 2008 den Mittelklasseklub Manchester City erwarben, hatten wenig später den Kaufpreis doppelt wieder drin, indem sie nur 13 Prozent ihrer Anteile an chinesische Bieter abgaben. Aber diese englischen Exempel, auch auf der Insel Sonderfälle, haben mit den Verhältnissen im deutschen Profifußball wenig bis nichts gemein, nicht nur aus juristischen Gründen. Hierzulande hat das Geld von externen Finanziers den Vereinen mit seltsamer Zuverlässigkeit immer wieder Unheil beschert: Die Gaben seines polternden Gönners Kühne haben den HSV geradewegs in die zweite Liga gebracht. Auf die allseits steil begrüßte Hochzeit des VfB Stuttgart mit Mercedes Benz folgte der Abstieg. Hannover 96 wiederum verzehrt sich in der Hassliebe-Beziehung mit Martin Kind.

Hertha BSC ist ein seriös geführter, aber tendenziell grauer Mittelklasseklub. Dass er jetzt zu großem Geld kommt, liegt an der Fantasie, die durch die Metropolen-Herkunft geweckt wird. Tatsächlich, so berichten Experten, soll es im Berliner Fußball zurzeit viele verborgene Kräfte geben, und dass damit die 14- und 15-Jährigen gemeint sind, das ist kein Widerspruch. Borussia Dortmund etwa hat mit dem Verkauf eines einzigen Nachwuchsspielers, Ousmane Dembélé, sogar mehr als die 125 Millionen Euro kassiert, für die sich die Hertha nun an einen Investor verkauft hat.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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