Kommentar:Im politischen Außendienst

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Von der Geisterstadt in die Champions League: Die Geschichte von Karabach Agdam klingt märchenhaft. Dabei steht Aserbaidschans Meister auch für vieles, was derzeit falsch läuft im Weltsport.

Von Johannes Knuth

Der Name verspricht Exotik, auf den ersten, ungetrübten Blick. Karabach Agdam? Klingt ein bisschen wie eine hippe Popband vom Balkan, die beim Eurovision Song Contest mitmacht. Tatsächlich ist der FK Karabach ein Fußballklub, der am Mittwoch, in der letzten Vorstellungsrunde der Qualifikanten, die Dänen vom FC Kopenhagen überrumpelte - 1:0 zu Hause, 1:2 in der Ferne - und jetzt zum ersten Mal im Millionenspiel der Champions League mitmischt. Karabach Agdam, das ist auf den zweiten Blick also einer jener Exoten, die sich immer mal wieder in den europäischen Fußballadel hochdienen, bis sie wieder ehrenhaft entlassen werden, meist nach der Gruppenphase.

Tatsächlich steht Aserbaidschans Meister auch für vieles, was falsch läuft, im Fußball und im Sport überhaupt.

Als der FK Karabach 1993 zum ersten Mal den Titel gewann, spielten sie noch in Agdam, aber manche Spiele mussten abgebrochen werden, weil die Raketen neben dem Stadion einschlugen. Die Sowjetunion war gerade kollabiert, die Region bekriegte sich, christliche Armenier gegen muslimische Aserbaidschaner. Mehr als 20 000 Menschen starben, eine Million wurden vertrieben. Der Konflikt bricht bis heute immer wieder auf, und kaum ein Ort symbolisiert die Zerrissenheit wie Agdam: Er ist in den Westen Aserbaidschans eingebettet, zählt sich aber zur abtrünnigen Region Berg-Karabach, die von Armenien kontrolliert wird. Agdam ist längst eine Geisterstadt, der FK Karabach spielt seit 1993 in Baku. Sie nennen ihn den Flüchtlingsklub.

Der Sport? Macht Geschäfte mit den Autokraten - oder schweigt

Wenn Karabach Agdam nun den kleinen Ölstaat als erster Klub in Europas Königsklasse vertritt, sind die Spieler immer auch im politischen Außendienst unterwegs. Agdam gewinnt seit 2014 verlässlich die Liga, alimentiert vom aserbaidschanischen Rohstoff-Konglomerat Azersun - und damit vom Staat. So wird ein Klub, der den Namen einer armenischen Enklave trägt, als aserbaidschanischer Standort auf der Landkarte verankert, ganz nebenbei. Und er dient als Werkzeug der autoritären Herrscherclique des Präsidenten Ilham Alijew, der seit Jahren sein Land immer fleißiger mit dem Sport herausputzt. Mit den Europaspielen 2015. Oder dem Formel-1-Rennen, das noch ein paar Jahre in Baku gastieren wird. Oder als Sponsor des europäischen Fußballverbands bei der EM 2016, mit dem Energiekonzern Socar nämlich, dessen Chef Rownag Abdullajew rein zufällig auch Aserbaidschans Fußballverband leitet.

Wer in der Gruppenphase auf den FK Karabach trifft, reist auch in ein Land, in dem die Lage immer katastrophaler wird, wie Menschenrechtsorganisationen berichten. Wer Alijew kritisiert: fünf Jahre Gefängnis. Die Statue des ehemaligen Präsidenten mit Graffiti besprühen: zehn Jahre. Wer nichts verbricht, aber ein kritischer Geist ist? Wird trotzdem verhaftet, unter Vorwänden. Wer wieder frei kommt, schleppt das Stigma des Dissidenten mit sich herum. Der einzige Unterschied zwischen Gefängnis und Freiheit, erzählen ehemalige Inhaftierte immer wieder, seien die Gitterstäbe, die einen umgeben.

Der Sport? Schmiedet Geschäfte mit den Machthabern, wie Leichtathletik-Präsident Sebastian Coe, der mit seiner PR-Agentur an den Europaspielen in Baku verdiente. Oder schweigt die meiste Zeit, wenn er zu Gast ist, wie der Deutsche Fußball-Bund im März bei der WM-Qualifikation. Ändern dürfte sich daran wenig. Die nächste EM findet europaweit statt, Baku richtet drei Gruppenspiele und eine Viertelfinalpartie aus.

© SZ vom 25.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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