Kommentar:Hinter der Schweigemauer

Lesezeit: 2 min

Im Weltsport ist ein frostiges Tief aufgezogen, längst ist die Rede von einem neuen Kalten Krieg zwischen Russland und dem Westen. Dabei verstellt diese Debatte den Blick auf viel drängendere Fragen der Anti-Doping-Politik.

Von Johannes Knuth

Das Bild der vergangenen Sportwoche, liebe Leser, wird Ihnen präsentiert von: der russischen Botschaft in London. Die veröffentlichte am Dienstag auf Twitter eine Karikatur, wenige Stunden, nachdem Hacker vertrauliche Daten über vermeintlich dopende US-Sportler ins Internet getragen hatten. Auf der Karikatur zieht eine Olympia-Delegation ins Stadion, die Taschen vollgestopft mit Dollars. Vor ihnen trottet ein Fahnenträger der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) her, statt einer Flagge präsentiert er verseuchte Dopingproben. Wada-Ermittler hatten zuletzt im russischen Sportreich ein gigantisches Betrugsnest ausgehoben, vielen Athleten wurden die Reisepapiere für Olympia verweigert. Und die gleiche Strafverfolgungsbehörde des Sports, das war nun die Botschaft der russischen Diplomaten, paktiere mit dopenden Westsportlern. Pfui!

Im Weltsport ist ein frostiges Tief aufgezogen, längst ist die Rede von einem neuen Kalten Krieg. Da der Westen, der sich gern als porentief reine Instanz inszeniert, dort Russland, das mithilfe des Geheimdienstes Kontrolllabore infiltrierte und Pipiproben austauschte. Jetzt wird dieser Konflikt auch mit den Waffen des digitalen Zeitalters geführt. 25 Datensätze von Athleten, die meisten aus den USA, Großbritannien und Deutschland, sind mittlerweile aus dem Leck getropft, das die Hackergruppe "Fancy Bear" jüngst in die digitalen Leitungen der Wada schlug. Die Spuren dieser Piratenbande führen nach Russland. Vielleicht handelte sie im Staatsauftrag, um sich für die Geächteten zu rächen, vielleicht auch nicht. Der Einbruch, die Wortmeldungen, das folgte jedenfalls einem simplen Skript: dem der westlichen Doppelmoral. Das meiste davon darf man wohl im Ordner "Propaganda" abheften. Die Medikamente, darunter auch im Sport verbannte Substanzen, die die zuletzt entblößten Athleten konsumierten, wurden ihnen ja per Wada-Sondergenehmigung gewährt. Aber ganz so einfach ist es natürlich auch nicht.

Um zu gesunden, braucht der Sport absolute Transparenz

Erstens muss geklärt werden, wie die Gesellschaft künftig mit Enthüllern umgehen will. Dank solcher Whistleblower werden die großen Ferkeleien im Sport enttarnt, nicht durch Institutionen und deren Korpsgeist. Das Internationale Olympische Komitee und sein deutscher Präsident Thomas Bach demütigten zuletzt lieber die Kronzeugin Julia Stepanowa, die den Betrug in Russland freilegte. Sie wurde von Olympia ausgesperrt.

Zweitens werfen die jüngsten Raubzüge erneut die Frage nach jener Transparenz auf, die im sogenannten Anti-Doping-Kampf bestenfalls in Spurenelementen nachzuweisen ist, bis heute. Die Dopingjäger fahnden mit Tests, die wenig von dem aufspüren, was geschluckt und gespritzt wird, sie kontrollieren weder flächendeckend noch intelligent; in den bekannten Sprint- und Laufhochburgen etwa. Und dann sind da die medizinischen Ausnahmegenehmigungen, von denen die Hacker zuletzt einige recht brisante veröffentlichten. Solche Freifahrscheine öffnen auch Betrügern ein gewaltiges Einfallstor. Das alles hält der Sport hinter seiner Schweigemauer, die nur so viele Blicke zulässt, dass das Geschäft nicht zu sehr beschädigt wird. Nötig wäre das Gegenteil: Wer wurde wo und wie oft getestet, welche Ausnahmegenehmigung wurde bewilligt und warum: Wegen eines Hexenschusses? Oder für mehrere Jahre, für harte Medizin wie Insulin oder Kortison? Und gehören solche Langzeitpatienten überhaupt in den Hochleistungssport? Dem schwer zerbeulten Weltsport muss absolute Transparenz verschrieben werden, wenn er gesunden will. Außerdem: Nur dann träfe der breite Verdacht einmal diejenigen, die es verdient haben.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: