Kommentar:Heiter bis naiv

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Die Leichtathletik-Funktionäre wollten, dass die EM einen Neuanfang markiert. Noch aber hat die Zeitenwende nicht wirklich begonnen.

Von Johannes Knuth

Es waren große Worte, mit denen Svein Arne Hansen, Präsident des europäischen Leichtathletik-Verbands EAA, vor einer Woche seine Europameisterschaften auf die Reise schickte. In Amsterdam, versprach er, werde man die Leichtathletik erleben "wie niemals zuvor". Man werde den Sport wieder ins warme Licht der Öffentlichkeit rücken. Zumal, hihi, die Holländer bei der Fußball-EM ja nicht vertreten waren und ihre Aufmerksamkeit nun der kontinentalen Messe im olympischen Kernsport widmen konnten. Vielleicht, so Hansen, würde diese EM in Amsterdam einen "Neuanfang" markieren, auch im defekten Anti-Doping-Kampf, man tue ja, was man könne. Hätte er noch erwähnt, mit der Leichtathletik die Welt verbessern zu wollen - er hätte so ziemlich jede Floskel des Funktionärssports abgehakt.

Ein paar Impulse hat diese recht heitere Leichtathletik-EM, die erste überhaupt in den Niederlanden, dann tatsächlich produziert. Speer- und Diskuswerfen auf der Museumswiese zum Beispiel. Es reicht wohl tatsächlich nicht mehr, den Sport nur in den Stadien aufzuführen. Aber sonst? Vor vier Jahren hat der europäische Verband in Helsinki erstmals eine EM ins Olympiajahr gepflanzt, seitdem wird sie alle zwei Jahre hervorgezerrt (statt vier). Der Gedanke, der dahinter steckt, ist so einfach wie bedenklich: Hauptsache, man funkt irgendwas in die Welt, versorgt das immer opulentere Kino des Kommerzsports mit frischen, knalligen Bildern.

Erinnert sich noch jemand an die Europameister aus Helsinki?

Man kann die Macher ja schon verstehen, sie wollen ihr Produkt so oft wie möglich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit heben. Aber wenn jeder Sport noch etwas lauter nach Aufmerksamkeit schreit, dann wird der Beobachter irgendwann taub, die Kultur des Sports aufgeweicht. Dann wird es beliebig. Oder erinnert sich noch jemand an die Europameister aus Helsinki? An Zürich 2014, den Saisonhöhepunkt vor zwei Jahren? Die Medaillengewinner vom ersten Wettkampftag in Amsterdam? Was gestern sonst so im Sportkino aufgeführt wurde?

Und die vermeintliche Zeitenwende im Anti-Doping-Kampf? Tja. Von dieser EM ging tatsächlich eine bemerkenswerte Botschaft aus, nachdem 800-Meter-Läuferin Julia Stepanowa ihr erstes Rennen unter neutraler Flagge absolviert hatte. Die europäische Familie nimmt eine Kronzeugin in ihre Mitte, die den massiven Betrug in Russland freigelegt hat, stellt ihre Bühne zur Verfügung, damit über die Probleme des Sports debattiert wird. Aber ob diese Haltung dauerhaft bei den Verbänden einzieht, die ihre Probleme lange kleinredeten, muss sich erst noch zeigen. Und manche Wortbeiträge in Amsterdam klangen schon wieder beunruhigend. "Wir brauchen auch Euch Journalisten, als Unterstützer", sagte EAA-Präsident Hansen zu Beginn.

Das erinnerte wieder daran, dass der organisierte Sport sich insgeheim doch die unbefleckten Hochglanzbilder wünscht, anstatt sich hinter seine Fassade leuchten zu lassen. Bilder, die ins bunte Sportkino passen, die einen Sport zeigen, der hübsch ist und naiv. Das ist wohl eher der Neuanfang, den sich die Sportlenker erhoffen.

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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