Kommentar:Giovanni hat immer auf

Lesezeit: 2 min

Fußball am Boxing Day ist des Engländers liebstes Vergnügen! Die Premier League ist halt ein Unterhaltungsbetrieb jenseits christlicher Gepflogenheiten.

Von Claudio Catuogno

Und? Weihnachten? Ein bisschen zur Ruhe gekommen? Vor allem der zweite Weihnachtsfeiertag steht ja für viele, nach all der Hektik zuvor, im Zeichen größtmöglicher Entspannung. Einmal aber so wirklich gar keinen Finger krumm machen! Sich mal so richtig verwöhnen lassen! Mittagessen bei Giovanni, der hat natürlich auch an Weihnachten auf, wäre ja noch schöner, wenn man am 26. Dezember selber kochen müsste, und dann vielleicht noch ein Stündchen Fitness, die Jeanette gibt ja wie jeden Nachmittag ihren Spinning-Kurs. Oder noch besser: schick angezogen ins Festtagskonzert, wo die Garderobenfrau an Weihnachten bestimmt viel lieber vor ihrem Kässchen sitzt, als daheim mit den Enkeln . . .

Nein, man muss die Profifußballer in England nicht bedauern, weil sie am zweiten Weihnachtstag schon wieder arbeiten mussten. Sie waren damit längst nicht die Einzigen in unserer Dienstleistungswelt. Die Premier League ist halt ein Unterhaltungsbetrieb ziemlich jenseits aller christlicher Gepflogenheiten, und während es vielen Deutschen noch irgendwie unanständig vorkäme, schon wieder Fußball zu gucken, ehe überhaupt alles Geschenkpapier in der Papiertonne ist, ist es des Engländers liebstes Familienvergnügen: Fußball am Boxing Day!

So heißt der zweite Weihnachtstag auf der Insel, weil man an ihm früher Essenspäckchen für Bedürftige packte. Heute schnürt man lieber ein paar schöne Unterhaltungspakete für die rund um die Uhr nach Programm lechzende Fußballgemeinde. Wobei, was heißt heute? Seit 1889 der Preston North End FC im Weihnachtsspiel Aston Villa vor 9000 Zuschauern mit 3:0 niederrang, wird in England am Feiertag ligenübergreifend Fußball gespielt. Wenn das keine abendländische Tradition ist, was dann?

Ob es klug ist, so überhaupt keine Winterpause zu machen in einer der anspruchsvollsten Ligen der Welt, ist eine andere Frage. Der Liverpool-Trainer Jürgen Klopp hat das in seinem ersten Jahr auf der Insel ziemlich deutlich als Problem benannt: Wenn die englischen Teams im Spätwinter ihre Knochenbrecherspiele hinter sich haben, kommen sie in Deutschland, Spanien und Italien erholt aus den Ferien, und dann gehen für die müden Engländer leider oft im Achtelfinale der Champions League die Christbaumlichter aus.

Aber die Diskussion ist müßig. Sollen sie doch im Rest Europas den Kopf schütteln, Andersartigkeit ist in England doch seit jeher - und mehr denn je - ein Wert an sich. Also: alles wie immer! "Es läuft wie vor jedem Spiel", hat Antonio Conte berichtet, der italienische Trainer des FC Chelsea, "wir haben um neun Uhr im Hotel unser Abendessen, dann gehen wir schlafen, und am nächsten Tag spielen wir Fußball. Einfach fantastisch."

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: