Kommentar:Gespensterjagd

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(Foto: N/A)

Gabriel Jesus' Treffer gegen Paraguay im Elfmeterschießen bringt Brasilien ins Halbfinale der Copa América. Trotzdem reißen die Diskussionen um den im Nationaltrikot zuletzt notorisch erfolglosen Stürmer der Seleção nicht ab.

Von Javier Cáceres, Rio de Janeiro

Das letzte Wort hatte Gabriel Jesus, Stürmer bei Manchester City, für sich reserviert. Trotz alledem.

Trotz alledem, das hieß: Trotz einer fast schon biblischen Dürre vor dem gegnerischen Tor, wenn er im Dress der brasilianischen Nationalelf spielt. Und obwohl er vor knapp einer Woche, im letzten Gruppenspiel der Copa América in Porto Alegre gegen Peru, einen Strafstoß verschossen hatte. Nun hatte er all seinen Mut zusammengekratzt, als er gefragt worden war, ob er im Viertelfinale der Südamerikameisterschaft gegen Paraguay beim Elfmeterschießen überhaupt antreten wolle. Er habe nicht nur ja gesagt, erklärte Gabriel Jesus nach der Partie. Er habe auch den fünften, den potenziell letzten, entscheidenden Elfmeter der Serie für sich reklamiert. Und siehe da: Während vor den Fernsehschirmen in Brasilien die Menschen schon die Hände vor das Gesicht schlugen, als er antrat, weil sie fürchteten, er könne wie gegen Peru das Ziel verfehlen, traf Jesus. Zum 4:3 im Elfmeterschießen, das den Brasilianern den Weg ins Halbfinale der Copa América ebnete. Wo es in der Nacht zu Mittwoch gegen Argentinien geht.

Gabriel Jesus, 22, ist einerseits der beste Torschütze in der seit 2016 währenden Ära von Nationaltrainer Tite: Er hat in 29 Spielen beachtliche 16 Treffer erzielt. Andererseits ist er eben auch der Stürmer, der am längsten den Angriff der Seleção anführen durfte, ohne einen Torerfolg bei Turnieren bejubeln zu können. In den fünf WM-Spielen, die er im vergangenen Jahr in Russland bestritt, bis die Mannschaft gegen Belgien ausschied, und bei nunmehr vier Copa-América-Partien hat der Stürmer von Manchester City nicht getroffen; die Zeit summiert sich auf 656 Minuten ohne Treffer.

Wie glücklos er zurzeit agiert, war auch gegen Paraguay zu sehen. Gabriel Jesus war unter den acht, neun, zehn Spielern, die beste Chancen ausließen, auch weil Paraguays Torwart Roberto Fernández, genannt "Gatito", das Kätzchen, zu den besseren seiner Gilde zählt. Gabriel Jesus arbeitete viel, hatte aber eigentlich nur eine gute Szene: als er den früheren Hoffenheimer Roberto Firmino mit einem Pass in die Tiefe bediente, so dass dieser von Paraguays Verteidiger Balbuena nur per Notbremse gestoppt werden konnte. Wegen der fälligen roten Karte spielte Paraguay rund 40 Minuten in Unterzahl - und richtete sich bei mehr als 70 Prozent Ballbesitz der Brasilianer in und am eigenen Strafraum ein. Es blieb beim 0:0 nach der Verlängerung.

Dann kam das Elfmeterschießen, die Fehlschüsse von Gustavo Gómez und Derlis González für Paraguay sowie von Firmino für Brasilien, sodass am Ende die Bühne für Gabriel Jesus bereitet war. Am Freitag dominierte der Stürmer an den Kiosken von Rio und dem Rest des Landes die Titelseiten der Zeitungen, auch die des Sportblatt s Lance: "Jesus verjagt die Gespenster", schrieb die Zeitung - in Anlehnung daran, dass Brasilien bei den letzten beiden Copa-América-Duellen mit Paraguay (2011 und 2015) jeweils im Elfmeterschießen verloren hatte.

Die Überwindung vermeintlicher übersinnlicher Mächte kommt den Brasilianern gerade recht. Denn im Halbfinale steht für die brasilianische Nationalelf die Rückkehr ins Mineirão von Belo Horizonte an, die Stätte der wohl größten Marter und Schmach der Historie der Seleção: die 1:7-Niederlage im Halbfinale der WM 2014 gegen den späteren Weltmeister Deutschland.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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