Kommentar:Fallen im Sumpf

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Weil der Leichtathletik-Weltverband eine Regel falsch auslegte, werden manche Doper wohl nicht bestraft - ein fatales Signal.

Von Johannes Knuth

Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hat über all die Jahre eine gewisse Kunstform geprägt. Sie äußert sich darin, große Probleme klein zu schrumpfen, sie im Ungenauen zu verstecken, bei drängenden Fragen. Das ist eigentlich ein praktischer Bilanztrick für einen Verband, über den jüngst Betrugs- und Korruptionswellen bislang unbekannten Ausmaßes hinwegrollten. Andererseits schrumpft es halt auch, so ein Mist, das Vertrauen darin, dass es die IAAF mit dem Anti-Doping-Kampf ernst meint. Ab und zu muss man also auch als Weltverband im Dreck buddeln. Im vergangenen Dezember durchleuchtete die IAAF Dopingproben der Weltmeisterschaften 2007 und 2005, mit neuen Methoden. 28 Täter flogen auf, und im Verband konnten sie das mit einer knackigen Botschaft verknüpfen: Wir kriegen Euch, auch nach zehn Jahren. Ha!

Nun, das Ganze ist dann doch ins Gegenteil gekippt. Die positiv getesteten Athleten der WM 2005 werden wohl davonkommen. Das Reglement der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada diktierte bis zuletzt, dass man Proben acht Jahre lang nachtesten darf, danach sind mögliche Taten verjährt. Kürzlich dehnte die Wada den Zeitraum auf zehn Jahre aus. Die IAAF glaubte also vor einem Jahr (2015), dass sie Proben von 2005 nochmals analysieren kann. Ein Wada-Sprecher bestätigte nun der Agentur AP, dass die IAAF die neue Regel falsch gedeutet hatte, der neue Zeitraum gelte nicht für zurückliegende Ereignisse, sprich: Um den Tätern von 2005 nachzustellen, hätte die IAAF spätestens acht Jahre später tätig werden müssen, also 2013.

Der Spruch ist eine fatale Nachricht für die IAAF. Er wird den überführten Betrügern wohl dazu verhelfen, sich in die Ergebnislisten zurückzuklagen; die Russin Tatiana Andrianowa zum Beispiel, Dritte im WM-Finale 2005 über 800 Meter. Sie wurde im vergangenen Dezember gesperrt, die IAAF hatte in ihrer nachträglich geprüften Probe vom Tag des Endlaufs das anabole Steroid Stanozolol aufgespürt. Andrianowa hat vor dem Internationalen Sportgerichtshof bereits Einspruch eingelegt. Vor allem aber verstärkt der Irrtum der IAAF, wenn auch ungewollt, den Generalverdacht, der sich dank des undurchsichtigen Anti-Doping-Kampfes seit Langem über den krisengeschüttelten Sport gelegt hat. Denn wie viel Vertrauen darf man im kommenden Olympiasommer einem Anti-Doping-Ressort schenken, das bereits über die Fallen im Kleingedruckten stolpert?

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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