Kommentar:Digitale Bärenjagd

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Bei den von der Hackergruppe "Fancy Bears" gehobenen Anti-Doping-Daten muss man zwischen zwei Dingen trennen: dem Schein, den das russlandnahe Konsortium erzeugen will, und den systemischen Defiziten, die sich aus den Daten lesen lassen.

Von Johannes Knuth

Der gemeine Bär ist auf der Jagd nicht gerade wählerisch; er bevorzugt Gräser, Wurzeln und Honig, goutiert aber auch Nagetiere und Fische. Ab und zu gönnt er sich einen Bock oder Hirsch. Recht neu ist, dass er sensible Daten der Anti-Doping-Wächter jagt. So hält es zumindest die mutmaßlich russischstämmige Hackergruppe "Fancy Bears", die ihre digitalen Raubzüge unter dem Deckmantel tierischer Eroberungen durchführt. Vor Kurzem plünderte sie mal wieder die Datenbank der Welt-Anti-Doping-Agentur. Sie fischte Hunderte Positivtests im Fußball heraus, stellte die Beute dann stolz im Netz aus: Seht her, prahlte sie, im Weltfußball wird auch gedopt.

Das ist zum einen putzig, da das Traumgespinst vom sauberen Fußball längst geplatzt ist, auch wenn viele nach wie vor konträre Thesen predigen. Vor allem der Fußball selbst. Zum anderen ist es interessant, weil der jüngste Raubzug an einen Konflikt erinnert, der wohl eine Weile anhalten, sich gar intensivieren wird: ein Kalter Sportinformationskrieg, mit digitalen Bären in einer der Hauptrollen.

Man muss dabei zwei Dinge unterscheiden: das, was die Gruppe vorgibt zu enthüllen, und das, was sich aus den Daten tatsächlich lesen lässt. Erst seitdem der Sport durch faktenbasierte Enthüllungen erschüttert wird, durch den McLaren-Report über staatlich abgeschirmtes Doping in Russland zum Beispiel, kontern die Bären diese Berichte durch Gegenleaks, vor allem über Sportler aus westlichen Nationen. Diese Form der Spionage wird vermutlich zunehmen, so wie der Sport vermehrt von Enthüllungen entblättert wird. Systemisches Doping, so wie es die Bären behaupten, lässt sich mit ihrer digitalen Beute bislang aber nicht belegen - die Athleten konsumierten die Substanzen oft mit Ausnahmeregeln, für ihr Asthma zum Beispiel. Die Hacker bedienen zunächst also die Vorurteile jener, die Russland auch im Sport als Opfer einer Schmutzkampagne wähnen, vom Westen gesteuert.

Andererseits erinnern viele Daten - so sie echt sind - an altbekannte, systemische Defizite. Dass Athleten, die gar nicht so krank sind, wie sie vorgeben, weiter an Ausnahmen und damit verbotene Substanzen kommen können, weil es bei der Genehmigung Schlupflöcher gibt. Dass die Fahnder im Fußball, wie sich aus dem jüngsten Datenleck lesen lässt, auf manche Substanzen testen, auf viele aber halt auch nicht. Dass die Anti-Doping-Übungen des reichen Fußballs also nach wie vor eines sind: Klamauk fürs Publikum.

© SZ vom 24.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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