Kommentar:Die schlechteste 60

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Den Golfprofis Scottie Scheffler und Dustin Johnson gelingen zwei außerordentliche Runden. Sie offenbaren, worin die Faszination dieses Sports liegt.

Von Gerald Kleffmann

Die Chance, auf einer Golfrunde ein Ass zu schlagen, also mit nur einem Versuch den Ball direkt ins Loch zu bringen, liegt bei 1:12 000. Die Chance auf zwei Asse beträgt 1:67 Millionen. So wurde das mal errechnet. Man konnte 1994 also nicht genug ermessen, welches Glück ein Spieler hatte, zumal auf der ersten Runde seines Lebens. Elf Asse soll diese Person auf 18 Bahnen fabriziert haben. Gut, Zweifel sind erlaubt, es war das Informationsministerium Nordkoreas, das laut Meldungen behauptet hatte, Kim Jong-Il sei diese Glanztat gelungen. Aber allein die Kreativität, auf diesen ausgemachten Blödsinn zu kommen, verdient Respekt. Würde der "Geliebte Führer" noch leben, wäre er jetzt wohl als Einziger kein bisschen beeindruckt angesichts der bemerkenswerten Leistungen, die am Freitag die Profis Scottie Scheffler und Dustin Johnson vollbracht hatten - unter unabhängigen Zeugen übrigens.

Beim ersten Turnier der finalen FedEx-Cup-Serie in Norton, Massachusetts, benötigte der Texaner Scheffler, 24, auf dem Par-71-Kurs nur 59 Schläge. Es war erst die 24. Runde in der Golfgeschichte unter 60 Schlägen. Nur drei Spielern gelang eine 58: Ryo Ishikawa 2010 auf der Japan Golf Tour, dem Münchner Stephan Jäger 2016 auf der zweitklassigen Web.com-Tour - auf der wichtigsten Profiserie, der PGA Tour, ist der Amerikaner Jim Furyk der Einzige mit einer 58 (2016). Just nach Schefflers Kunststück sah es so aus, als könnte Johnson diesen Rekord toppen. Nach elf Löchern lag der 36-Jährige aus South Carolina zwar nicht auf Kim Jong-Il-, aber doch auf Weltrekordkurs - mit elf unter Par (Platzstandard). Allein seine ersten fünf Bahnen waren atemraubend: Birdie, Eagle, Birdie, Eagle, Birdie. Als spiele er Minigolf. Ab Bahn zwölf reihte Johnson indes Par an Par, weshalb US-Reporter über die schlechteste 60er-Runde der Geschichte spotteten. Fasziniert waren aber auch sie: Weil Johnsons grandioses Ergebnis diese, golferisch betrachtet, tragische Komponente beinhaltete.

Die Frage, was im Golf möglich ist, ist so alt wie der Sport. Seit Wochen, seit die US-Tour nach der Corona-Pause wieder fortgesetzt wird, diskutiert die Branche zum Beispiel, ob die Grenze durch Bryson DeChambeau verschoben wird. Der US-Profi hat 20 Kilo Muskelmasse zugelegt, drischt die Bälle 40, 50 Meter weiter und kürzt Knickverläufe von Bahnen über die direkte Luftlinie ab. DeChambeau gewann mit diesem Stil kürzlich ein PGA-Turnier. Aber, und das wird ob des Spektakels gerne übersehen: Er strauchelte auch schon gehörig, genau wie Johnson vor einem Monat, als er beim Memorial in Ohio mit zwei indiskutablen 80er-Runden hochkant ausschied.

Kritiker wie Jack Nicklaus haben recht, wenn sie fürchten, dass Kraft und Material das Wesen des modernen Golfspiels zu sehr diktieren. Profis werden ja immer athletischer, Plätze zu oft "zerlegt" mit niedrigen Scores. Der 18-malige Majorsieger plädiert seit Ewigkeiten für Bälle, die kürzer fliegen. Das Verblüffende aber: Alle werden fähiger, und doch gibt es offensichtlich eine Grenze des Machbaren. Sicherstes Indiz: 59er-Runden ereignen sich weiterhin sehr, sehr selten.

Rekorde dieser Art haben nun mal wenig mit dem reinen Draufhauen zu tun. Im Grenzbereich, und darin liegt die teuflische Faszination dieses Sports begründet, führen nur fließbandartige Wiederholbarkeit der Schläge und Präzision zum Erfolg. Weil beides so schwer umzusetzen ist ob der höchst komplexen Bewegungsabläufe und auch Einflüssen wie Platzbeschaffung, Balllage oder Wetter, schwanken die Leistungen selbst bei Top-Athleten regelmäßig. Zudem: Ein Drive über 350 Meter zählt nun mal genau so viel wie ein verschobener Putt aus 30 Zentimetern: Beides ist ein Schlag. Golf ist gnadenlos. Oder wie Bernhard Langer einmal sagte: "Golf ist gewissermaßen das Spiel der Demut." Frag nach bei Dustin Johnson, dem Mann mit der schlechtesten 60 der Geschichte.

© SZ vom 24.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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