Kommentar:Der Sieg der Wappenküsser

Lesezeit: 2 min

"Blue White Wonderwall"? Die Rettung des HSV wäre ohne frenetische Anhänger undenkbar gewesen. Feiernde Fans an den Traditions-Standorten der Liga sind die Pointe einer vom Fußball-Kommerz geprägten Saison.

Von Sebastian Fischer

Kurz vor dem Ende, bevor in Hamburg eine enttäuschende Bundesliga-Saison mal wieder mit einer rauschenden Feier endete, schwenkte die Kamera noch einmal ins Publikum des Volksparkstadions. Zu sehen war ein Mann mit Vollbart, der das Wappen des Hamburger SV auf seiner Brust küsste. Was zu diesem Zeitpunkt beim Spielstand von 1:1 noch niemand wusste: Die Kamera zeigte den Mann des Tages.

Zwar war nach dem späten 2:1-Sieg der Hamburger gegen Wolfsburg vom "Geist von Rotenburg an der Wümme" die Rede, der den HSV vor dem Relegationsspiel um den Klassenverbleib bewahrte. Dorthin, nach Rotenburg, war die Mannschaft in ein Kurztrainingslager gefahren. Doch verantwortlich für die Hamburger Rettung war der Geist vom Volkspark. Gerettet haben den HSV: seine Fans.

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass in vielen Kommentaren die "Green White Wonderwall" gelobt wurde. Zur Erinnerung: Vor einem Jahr vertrat der SV Werder Bremen in der Bundesligaschlussphase ausnahmsweise den HSV in seiner ewigen Rolle als Krisenklub, sportlich sprach alles für den Bremer Abstieg. Doch dann trug eine ganze Stadt grün-weiß, die Fans empfingen die Fußballer wie Helden am Weserstadion, die Stimmung war zum Armereiben, Bremen blieb drin.

Ein Tor wie das von Waldschmidt fällt nicht ohne Fans

Nun verbietet schon die norddeutsche Konkurrenz den Vergleich mit einer "Blue White Wonderwall", doch die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Auch die Hamburger hätten ja durchaus ein paar Gründe gehabt, ihren zuletzt bis an die Grenzen der Peinlichkeit den Fußball verweigernden Profis den Rücken zu kehren. Doch sie kamen ins Stadion, sie sangen, sie feierten. Sie machten den Unterschied, wie es in der Fußballrhetorik heißt. Ein Tor wie das von Luca Waldschmidt in der 88. Minute fällt nicht ohne den von den Anhängern initiierten Rauschzustand, mit sportlichen Argumenten ist dieser fast schon surreal pünktlich zum Saisonende wiederkehrende HSV-Dusel jedenfalls nicht zu erklären.

Auch die Szenen aus Dortmund passten ins Bild. Der BVB hielt entgegen aller Indizien für schlechte Stimmung im Verein noch mal zusammen, drehte das Spiel gegen Werder und schaffte vor der feiernden Südtribüne die Qualifikation für die Champions League. Und vielleicht gehört es zur Ironie der Ereignisse, dass nun ausgerechnet der VW-Klub VfL Wolfsburg in die Relegation muss.

Der Beziehungsstatus zwischen DFB und Anhängern: Es ist kompliziert

Ein Thema, das sich durch diese Saison gezogen hat, war die Kritik am Kommerz, die Angst vor dem Werteverfall im Fußball - und die manchmal grenzüberschreitenden Proteste der Fans. RB Leipzig wird Zweiter und wird für seine Red-Bull-Millionen beschimpft, die TSG Hoffenheim wird Vierter und ihr Mäzen Dietmar Hopp beleidigt. Ohne derartige Verirrungen zu entschuldigen, ist es doch irgendwie ein versöhnliches Bild dieser Saison, dass nicht nur in Hoffenheim und Leipzig gejubelt wurde, sondern auch in ein paar Stadien, in denen Fans ihre Liebe auf lange Tradition gründen: In Hamburg, Dortmund, auch in Köln, wo sich der FC nach 25 Jahren wieder für den Europapokal qualifiziert hat.

Die Beziehung zwischen dem deutschen Fußball und seinen Fußballfans, zwischen Kommerz und Fan-Romantik, sie ist kompliziert. Doch, das hat die Pointe dieser Saison gezeigt: Eigentlich ist der Fußball für komplizierte Beziehungen zu einfach. Zumindest dann, wenn es gemeinsam etwas zu feiern gibt.

© SZ vom 21.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: