Kommentar:Der nächste Marathon

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In der Debatte um die Leichtathletin Caster Semenya steht die nächste juristische Auseinandersetzung bevor. Das wird dem komplexen Fall nur gerecht.

Von Johannes Knuth

Die neue Ära währte nicht einmal einen Monat. So lange durfte der Leichtathletik-Weltverband der Südafrikanerin Caster Semenya vorschreiben, dass sie Medikamente nehmen muss, um ihren Testosteronspiegel unter einen bestimmten Grenzwert zu zwängen. Nur dann dürfe sie bei den Frauen starten, bei Rennen über 400 Meter bis hin zu einer Meile. Eine zutiefst problematische und sogar diskriminierende Vorschrift, wie selbst der Internationale Sportgerichtshof Cas befand, als er Anfang Mai nach jahrelangen, teils unwürdigen Debatten ein Grundverdikt in der Sache sprach. Aber Semenya schöpfe aus ihrem von Natur aus erhöhten Testosteronpegel nun mal erhebliche Vorteile, so wie andere Läuferinnen mit ähnlichen Veranlagungen. Von daher gehe es schon in Ordnung, eine Minderheit zu diskriminieren, um eine Mehrheit zu schützen, so argumentierten die Sportrichter sinngemäß. Und segneten den umstrittenen Paragrafen der IAAF ab.

Und jetzt? Hat das Schweizer Bundesgericht die Regel schon wieder eingefroren. Allerdings nur vorläufig, und zunächst auch nur für Semenya, die mit ihrem nationalen Verband gegen den Spruch des in Lausanne ansässigen Sportgerichts vorgegangen war. Die Südafrikanerin darf nun jedenfalls wieder auf ihrer Paradestrecke, den 800 Metern, rennen, ohne sich einer Hormonkur zu unterziehen. Und was zunächst wie eine überraschende Volte in einer scheinbar unendlichen Saga wirkt, dürfte tatsächlich die Ouvertüre zu einem weiteren Justizmarathon sein. Denn die provisorische Freigabe, die die Schweizer Richter der Südafrikanerin jetzt gewährten, gilt nur bis zu einem Urteil in jenem einstweiligen Verfahren, das Semenya angestrengt hat. Damit will sie erreichen, dass die umstrittene IAAF-Regel erst mal eingefroren bleibt (und sie bei der WM in Doha im Herbst vielleicht sogar ihren WM-Titel verteidigen kann). Dann erst kommt es zum Hauptverfahren. Das kann sich ziehen. Wenn es denn mal beginnt. Bislang steht noch gar nicht fest, wann die Schweizer Bundesrichter über Semenyas einstweiligen Antrag befinden werden, wie die Behörde am Dienstag auf Anfrage mitteilte.

Noch lässt sich aus dem jüngsten Spruch nicht ableiten, was die Bundesrichter eigentlich von der neuen IAAF-Regel halten. Ein eher übliches Prozedere, sagen Rechtsexperten. Und in der jüngeren Vergangenheit war es auch fast immer üblich, dass die Schweizer Richter die Cas-Verfahren abnickten, die ihnen zur Prüfung vorgelegt wurden. Auch wenn es Ausnahmen gab, wie den Fußballprofi Matzualem, dem sein Klub einmal am liebsten zwölf Millionen Euro Vertragsstrafe, wahlweise eine lebenslange Sperre aufgebrummt hätte. Das wertete das höchste Schweizer Gericht als schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Auf einen vergleichbaren Spruch hoffen nun auch Semenyas Anwälte, und so komplex und teils wirr der Fall bislang verhandelt wurde, ist es auch nur angemessen, dass er jetzt noch einmal auf staatlicher Ebene einer Inspektion unterzogen wird. Was auch immer das am Ende für Caster Semenya und den Frauensport bedeutet.

© SZ vom 05.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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