Kommentar:Der Herzpatient Spitzensport

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In Russland klingt die Empörung über das Verbot des Mittels Meldonium so, als habe man den Leuten grundlos ein Grundnahrungsmittel weggenommen. Dabei fragt man sich, wieso es so lange freigegeben war.

Von Claudio Catuogno

Nun hat sich auch noch der russische Außenminister zum Thema Meldonium zu Wort gemeldet. Kein Tag vergeht ja derzeit, ohne dass irgendein russischer Spitzensportler wegen der Einnahme des Herzmedikaments suspendiert wird, "das wirft Fragen auf", findet Sergej Lawrow. Damit meint der Minister aber nicht Fragen wie jene, warum russische Athleten weiterhin ein Mittel schlucken, das seit dem 1. Januar auf der Verbotsliste steht, was wiederum Monate vorher kommuniziert wurde und sich mehr als ein Jahr lang angedeutet hat. Lawrow wundert sich vielmehr darüber, wie man etwas verbieten kann, wenn das doch alle nehmen. "Nach Jahrzehnten, in denen das Präparat sowohl von Sportlern als auch von Menschen mit Herzproblemen genommen werden durfte, wurde es plötzlich zu Doping erklärt" - dafür verlangt Lawrow von der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada jetzt eine Erklärung.

Dabei liegt die Erklärung ja gerade in der massenhaften Einnahme. Warum sollten junge Menschen ohne Herzprobleme ein Herzmedikament schlucken - und zwar über Jahre, wie es die Tennisspielerin Maria Scharapowa erzählt hat -, wenn sie sich davon nicht einen leistungssteigernden Effekt versprechen? Eher ist die Frage, warum das erst 2016 unterbunden wurde - wo es Hinweise auf den Missbrauch schon vor über zehn Jahren gab.

In Russland klingt die Empörung hingegen eher so, als habe man den Leuten grundlos ein Grundnahrungsmittel weggenommen. Und zumindest im Eisschnelllaufverband TFR war Meldonium offenbar wirklich so verbreitet wie anderswo Wodka oder Borschtsch: Es wurde zentral bestellt und verteilt. Seit Januar aber nicht mehr, schwört Verbands-Präsident Aleksej Krawtsow, weshalb er hinter den Meldonium-Funden bei seinen Athleten eine Verschwörung vermutet und sie bereits an Lügendetektoren angeschlossen hat. Ergebnis: Alle unschuldig.

Da passt jetzt auch noch die Meldung ins Bild, dass noch nicht mal die Herzpatienten etwas davon haben, wenn der Leistungssport als Meldonium-Abnehmer künftig großflächig wegfällt. Die Internet-Apotheke RU-Pharma gibt an, nach dem Scharapowa-Geständnis innerhalb von 24 Stunden 150 Packungen verkauft zu haben - im Vergleich zu 850 im gesamten Jahr 2015. Der Preis habe sich fast verdoppelt. Jetzt wollen Freizeitsportler, die sich nicht an den Wada-Code halten müssen, das Zeug. Der Sport ist herzkrank, man kann es nicht anders sagen.

© SZ vom 11.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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