Kommentar:Das nächste Dopingthema droht

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Bleiben Chinas Athleten aufgrund des Coronavirus bis Ende März unkontrolliert, ist nach aller Sportgeschäftsrealität eher wahrscheinlich, dass hier oder da ein bisserl nachgeholfen wurde.

Von Thomas Kistner

Virus-Epidemie in China. Sommerspiele in Japan. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat sich jüngst erst bei der Weltgesundheitsorganisation rückversichert, dass es keinen Grund für eine Absage der Ringe-Fete in Tokio gebe. Aber tatsächlich gilt, eingedenk der keineswegs stabilen Krisenlage in Sachen Coronavirus: Noch gibt es keinen Grund.

Trotzdem kann sich der Sport schon für die nächste große Frage in diesem diffizilen Kontext rüsten. Seit Wochen finden in China keine Dopingtests statt, aus verständlichen Gründen. Das dürfte bis mindestens April so weitergehen, womöglich länger. Chinas Athleten bereiten sich also völlig unkontrolliert auf die Sommerspiele vor. Ausgerechnet Pekings Helden in ihren abgeschotteten Trainingscamps, die nie als Anti-Doping-Hardliner auffielen. Deren Heimat über den weltgrößten Graumarkt für verbotene Substanzen verfügt, und die just in Tokio eine nationale Aufgabe haben: Besser sein denn je; die Winterspiele danach finden immerhin in Peking statt. Was heißt all das in Hinblick auf Chinas Tokio-Teilnahme?

Wie das IOC mit ungetesteten Sportlern verfahren wird, darf prognostiziert werden. Es wird für das künftige Veranstalterland argumentieren, dass man Athleten ja nicht für eine Epidemie bestrafen dürfe, für die sie nichts können. Was das Problem leider nur einseitig betrachtet.

Es gibt auch eine andere Seite. Funktionäre blenden sie gern aus, weshalb sie erst recht immer stärker in den Fokus rückt: die Integrität des Sports. Die wird schon jetzt jeden Tag mehr beschädigt, an dem sich Athleten ohne Kontrollen vorbereiten - noch dazu in der Gewissheit, dass es gar keine Tests geben kann. Dummerweise läuft gerade jetzt die Trainingsaufbauphase für Kraft, Tempo, Ausdauer an. Und damit die heiße Vorbereitungsphase für jeden Doper: Jetzt oder nie! Es herrscht gerade Hochsaison für Laborfahnder und Dopingkontrolleure.

Nur nicht in China. Die nationale Testagentur Chinada ist wegen der Reise- und Kontakteinschränkungen seit Wochen zu Untätigkeit verdammt; es gibt gerade Wichtigeres zu tun in China. Und die Welt-Anti-Doping-Agentur übt sich aus der Ferne in unfreiwilliger Komik: Sie unterstütze "die Chinada bei der Ausführung eines Plans, der die Integrität des Antidopingprogramms in China aufrechterhält". Welcher Plan soll das sein?

Besorgte Nadas wie die deutsche betonen bereits, dass in Tokio "die Chancengleichheit aller" zu sichern sei. Das ist der Punkt: Es geht auch um die anderen. Um Tausende Athleten, die ihrerseits ständig Tests ausgesetzt sind. Bleiben Chinas Athleten bis Ende März unkontrolliert, ist nach aller Sportgeschäftsrealität eher wahrscheinlich, dass hier oder da ein bisserl nachgeholfen wurde. In Tokio könnte also, weil das IOC vor großen Sportmächten gern einknickt, die Problemdebatte zum russischen Staatsdoping noch um das Thema China erweitert werden.

© SZ vom 19.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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