Kolumne "Dackel drauf":Schmetterling auf dem Balken

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(Foto: Luis Murschetz)

Die meisten großen Momente des Sports wiederholen sich. Und doch ereignet sich immer auch Neues, wie das Turnen bei der EM in München zeigt

Von Volker Kreisl, München

Im Sport ist der Moment alles. Der Augenblick, in dem der Tennisball das Netz streift oder die Kugel aus der Drehung des Stoßenden beschleunigt, oder auch das Lächeln des Siegers auf dem Podium, dies sagt oft alles über den Wettkampf, was zu sagen ist.

Solche Augenblicke werden dann kräftig überhöht und überhaupt: Sie werden zu sogenannten Magic Moments. Olympia, Weltmeisterschaften, Grand Slams produzieren diese Glitzermomente im Akkord, und meistens sind es dieselben lauten Szenen vor tosendem Publikum, nach Siegtoren, auf Goldtreppchen, auf der Ziellinie. Das ist mittlerweile berechenbar, dabei finden sich im Sport auch originelle, stille und trotzdem große Begegnungen, in denen alle Menschen, alle Wesen zusammenkommen, Frieden schließen, oder auch nur einander entdecken, wie dieser Schmetterling, der sich bei den Championships Pauline Schäfer-Betz in den Weg setzte.

Schäfer-Betz ist Schwebebalken-Weltmeisterin, und sie wollte gerade zum Sprung auf den Balken ansetzen, um ihren Beitrag fürs Team zu leisten. Nochmal, es war keine Fliege, keine Wespe, keine Ameise, es war ein Schmetterling, wie auch der Trainer später bezeugte. Das Falter-Aufkommen in der Münchner Olympiahalle ist überschaubar, die Chance auf so eine Begegnung geht für eine Schwebebalken-Turnerin tendenziell gegen Null. Keine einzige farbig lockende Blume steht da unten, zumindest keine Blume auf einer Wiese, denn die Halle ist ausgelegt mit Gummi-Matten, Parkett und Holz, alles gehalten in Graublaubraun. Und die Pflanzen, die den Siegern überreicht werden, haben unseren Schmetterling wohl kaum gejuckt.

Vielleicht ist er auch ein Abenteurer und wollte nur Kontakt aufnehmen. Man sagt den Tieren dann nach, sie hätten sich verirrt, wie der zweijährige Braunbär Bruno, der einst aus den nördlichen Alpenregionen Italiens nach Oberbayern gewandert kam, und im Grenzgebiet zu Österreich schließlich aus Sicherheitsgründen erlegt wurde. Doch unser unbekannter Schmetterling hatte sich nicht verirrt, er hatte nach etwas ganz Speziellem gesucht: nach Schäfer-Betz' Balken. Jetzt saß er drauf, man kann es sich gut vorstellen, breit und provokativ und versuchte Kontakt aufzunehmen, zu einem Menschen, der ihn vielleicht sanft in die Hand nimmt und nach draußen trägt.

Dabei hat er leider die Falsche erwischt: Eine Hochleistungsturnerin, die zwar ähnlich elegant in der Luft flattern kann wie er, die sich aber gerade in Konzentration befand und eine Medaille anpeilte. Und plötzlich huschte ein Schatten über ihn und - peng - landete ein Fuß neben ihm und dann noch der andere, und der unbekannte Schmetterling flatterte schnell auf und davon in Richtung des natürlichen Lichtes, zurück an die frische Luft, niemand weiß, wohin. Aber für wenige Sekunden war dies ein echter, magischer Moment.

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