Kohfeldt bei Werder Bremen:Seine letzte Mission

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Wird die Saison mit Werder beenden: Florian Kohfeldt. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Werder Bremen erkämpft sich einen Punkt gegen Bayer Leverkusen, und Trainer Florian Kohfeldt darf bis zum Saisonende weiterarbeiten. Es gilt die Devise: In der Liga bleiben, egal wie.

Von Thomas Hürner, Bremen

Die Nachricht erreichte Florian Kohfeldt, als der Tag allmählich von der Nacht verdrängt wurde. Lange nach Schlusspfiff stand er zu Füßen der Haupttribüne, wie üblich in Bremen, wo es ein stillschweigendes Abkommen gibt zwischen Verein und Schreiberlingen. Die virtuelle Pressekonferenz wird so kurz wie möglich gehalten, danach erscheint der Trainer zum Rapport, auf Abstand zwar und mit Maske, aber doch von Angesicht zu Angesicht. Kohfeldt, 38, schätzt den Austausch mit jenen, die über ihn Bericht erstatten, und die Berichterstatter hören dem feinen Rhetoriker immer gerne zu.

Da stand er also, eine Hand in der Hosentasche, mit der anderen Hand fuhr er sich nervös durchs Gesicht. Hinter ihm lagen der weiterhin grell ausgeleuchtete Rasen und ein 0:0 gegen Bayer Leverkusen, was für Kohfeldt zu wenig war, aber immer noch besser als nichts. "Wir haben uns einen Punkt erkämpft, nicht erspielt", sagte Kohfeldt. Das war eine sehr präzise Zusammenfassung des Werder-Auftritts, vonseiten der Medienschaffenden war keine Widerrede zu erwarten.

Aber während Kohfeldt so sprach, kursierte bereits seit einer halben Stunde eine Nachricht durchs Netz, in der Plauderrunde wurde sie Kohfeldt dann schließlich vorgetragen: Er bleibt definitiv bis Saisonende Trainer des SV Werder, also noch mindestens zwei Spiele, bei einer Teilnahme an der Abstiegsrelegation würden daraus derer vier.

Werder-Sportdirektor Frank Baumann traut Kohfeldt den Klassenverbleib zu

"Florian hat schon einmal eine ganz, ganz schwierige Situation gemeistert", hatte Frank Baumann zuvor in einem Fernsehinterview gesagt. Und deshalb, so der Bremer Sportdirektor, traue man ihm "das jetzt auch wieder zu". Was natürlich höchstens die halbe Wahrheit ist, da Kohfeldt zuletzt ja ein Trainer auf Bewährung war, der für eine Weiterbeschäftigung strikte Auflagen erfüllen musste. Vor zwei Wochen, nach einer leblosen Darbietung gegen Union Berlin und der siebten Niederlage in Serie, war in den Gremien des Klubs noch über die Demission des Trainers beraten worden, insgesamt 48 Stunden lang. Kohfeldt erhielt aber noch eine Chance im Pokal gegen Leipzig, dann nochmal am Samstag gegen Leverkusen. "Wäre heute etwas Außergewöhnliches passiert, hätten wir uns zusammengesetzt", sagte Kohfeldt: "Aber es ist nichts außergewöhnlich Schlechtes passiert."

In Bremen steht nun offenbar der Entschluss, als Schicksalsgemeinschaft eine letzte Mission anzutreten; die Mission lässt sich prägnant zusammenfassen: irgendwie, verflixt nochmal, in der ersten Liga bleiben. Zur Not über den beschwerlichen Umweg in der Relegation, wie schon in der Vorsaison. Selbst bei Gelingen des Vorhabens wäre es aber mindestens eine Bombennachricht, wenn es danach gemeinsam in eine weitere Spielzeit ginge.

An dieser Stelle empfiehlt sich ein Blick zurück, in den November 2017, als Werder schon einmal tief im Schlamassel steckte und ein junger Trainer die Bühne betrat, den niemand so richtig haben wollte. Wahrscheinlich hätte es schon "bessere Möglichkeiten" und "bessere Trainer" auf dem Markt gegeben, erklärte Baumann damals, während er der Öffentlichkeit gerade den jungen Mann mit der pfiffigen Igelmähne präsentierte, dem der Job schließlich anvertraut worden war: Florian Kohfeldt, damals 35, ein Nobody aus dem eigenen Nachwuchs. Ein Talent. Aber eben auch nicht mehr als das.

Gut Fußball spielen ist für Kohfeldt endgültig kein Thema mehr in dieser Saison

Wirklich lange her das alles. Aus einer Notlösung wurde der Auserwählte, der Werder in eine hoffnungsvolle Zukunft leiten sollte. Ein Trainer des Jahres 2018, dessen aufregendes Offensivkonzept in der gesamten Branche weiterhin sehr geschätzt wird. Sogar an den Europokal haben sie zwischenzeitlich an der Weser geglaubt, was im Nachhinein eine kolossale Fehleinschätzung war, die noch heute bleischwer auf allen Beteiligten lastet.

Die vergangene Saison, in der Werder nur knapp dem Abstieg entronnen war, diente Kohfeldt als Warnsignal, dass er die Mannschaft mit seiner Art des Fußballs überfordert hatte. Und der Trainer, der sonst stets betonte, dass Werders Spiel auf einer offensiven Idee beruhe, allein aus jahrzehntelanger Tradition, der am liebsten den Ball zackig durch die eigenen Reihen laufen sieht - dieser Trainer also stand am Samstag sichtlich ausgezehrt im Weserstadion und erklärte, dass seine Ideale endgültig der Situation geopfert werden müssen: "Das Thema gerade", sagte Kohfeldt, "ist nicht gut Fußball zu spielen." Er sah nicht glücklich aus.

An der Weser wird Fußball seit geraumer Zeit aber sowieso nur noch gearbeitet, das Spiel gegen Leverkusen war dafür mal wieder der exemplarische Beweis. Bayer führte am Ende in nahezu allen Statistiken, die für die Ästhetik dieses Sports relevant sind. Aber Werder gewann mehr Zweikämpfe, legte mehr Kilometer zurück als der Gegner und konnte den Laden hinten einigermaßen dicht halten. Wenn nur das nackte Ergebnis zählt, dann ist der Weg dorthin egal. Am Samstag geht es zum brisanten Abstiegsduell gegen den FC Augsburg; Kohfeldt erwartet, wenig überraschend, ein "richtiges Kampfspiel".

Als der Tag schließlich schon zur Nacht geworden war und sich die Medienrunde längst aufgelöst hatte, da stapfte Kohfeldt noch einmal über den Rasen des Weserstadions. Er nahm Anlauf und hüpfte schwungvoll über eine Werbebande, die letzte Hürde, die ihn vom Ausgang trennte. Und dann war er weg.

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