Klinsmanns Personalpolitik:Widerspruch zwecklos

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Eine Forderung auf Denkmalschutz gibt es für den "Titan" nicht. Das Wettbewerbsprinzip ist Klinsmann so wichtig, dass er sogar Kahns Rücktritt in Kauf genommen hätte.

Philipp Selldorf

Im Lobbygetümmel des Frankfurter Flughafenhotels, in dem die deutsche Nationalmannschaft bis zur Abreise zum Länderspiel in Holland am Mittwoch (20.30 Uhr/live in der ARD) logiert, bahnte sich Oliver Kahn seinen Weg mit diesem sturen Blick, der geeignet wäre, böse Tiere in die Flucht zu schlagen.

Er trug kurze Hosen und balancierte in der rechten Hand eine Tasse Kaffee. Seine Route führte mitten durch die Reportermenge, aber niemand sprach ihn an, was erstens kluger Vorsicht folgte und zweitens wohl auch keinen Sinn gehabt hätte, denn durch das Pressebüro des DFB hatte Kahn bereits punktum ausrichten lassen, dass von ihm keine weiteren Äußerungen zu erwarten seien.

Womöglich ärgert es ihn ja selbst, dass er vor dem Wiedersehen der Nationalelf und dem Testspiel gegen das Nachbarland in der Rotterdamer Riesenschüssel De Kuip wieder für Aufsehen gesorgt hat, als er seine Meinung zur neuesten Regelung im Torwartwettstreit vorbrachte.

Dass der Bundestrainer die Rivalen Oliver Kahn und Jens Lehmann künftig getrennt und in penibel errechneter Parität zu den Länderspielen im WM-Jahr einzuladen beabsichtigt, kommentierte der noch ältere der alten Torhüter mit verächtlicher Geste.

"Vielleicht machen wir das auch noch während der WM, das wäre mal was ganz Neues", höhnte Kahn. Wobei er auf die Begegnung mit Lehmann zweifellos verzichten kann, ein Austausch menschlicher Wärme findet seit vielen Jahren nicht mehr statt, und mittlerweile scheint Kahn sogar der Name seines Widersachers entfallen zu sein, weshalb er ihn jetzt nurmehr "den Anderen" nannte.

Die von Bundestrainer Jürgen Klinsmann verordnete Separierung durch Arbeitsteilung betrachtet er offenbar dennoch als Zumutung und Beleidigung seiner sportlichen Größe.

Klinsmann kann das verstehen, er hält es sogar "für das Normalste der Welt". Das Verfahren sei "gewöhnungsbedürftig", räumt er selbst ein, "ich weiß nicht, ob ich als Stürmer dem Rotationsprinzip gewachsen wäre".

Damit damals solche Zweifel erst gar nicht aufkommen konnten, ließ er sich im späten Karrierestadium vor dem Antritt seines zweiten Tottenham-Engagements einen Stammplatz garantieren, doch auf ähnliche Privilegien braucht Oliver Kahn nicht zu hoffen, und selbst unter Verweis auf die derzeit erstklassigen Leistungen wäre der Torwart nicht in der Lage, Forderungen nach Denkmalschutz zu stellen.

Denn der Bundestrainer will nach dem Vorbild der großen, im Europacup tätigen Klubmannschaften durch verschärften Konkurrenzkampf "jede Position verbessern und noch mehr rausholen aus den Spielern. Wir schauen Richtung Mai 2006 - dann profitieren alle davon."

Warnung Richtung Kahn

Widerspruch zwecklos, das Wettbewerbsprinzip ist der Teamleitung so wichtig, dass sie notfalls auch Kahns Rücktritt in Kauf genommen hätte. "Wenn er Konsequenzen gezogen hätte, hätten wir es akzeptiert", erklärte Klinsmann, was definitiv als Warnung zu verstehen ist.

Mit der neuesten Variante im Wechselspiel reagieren Klinsmann und sein strategischer Berater Joachim Löw auch auf Kahns Angewohnheit, seinen Amtsanspruch durch den Verzicht auf die Stellvertreterrolle zu demonstrieren. Als ihm vor den Spielen in Slowenien und Nordirland die Rolle als Nummer Zwei zugewiesen wurde, befielen ihn sogleich rätselhafte Schmerzen, die ihm einen Einsatz als Ersatzmann unmöglich machten.

Den Trainern ist dieses Phänomen der selektiven Unpässlichkeit nicht entgangen, dem Spiegel erläuterte Löw, man müsse bei der Entscheidung über die Vergabe des Postens während der WM "auch dem Unterlegenen klar machen, welche Aufgaben er als Nummer Zwei hat. Wir erwarten eine klare Aussage, ob er bereit ist, alles für den Erfolg des Teams zu tun. Wenn einer sich nicht auf die Bank setzen will, ist das Thema schnell erledigt."

Beim FC Bayern München, Kahns Arbeitgeber, ist man allerdings davon überzeugt, dass solche Zusicherungen von Loyalität nicht mehr eingeholt werden müssten, falls Oliver Kahn hinter Lehmann zurückfiele. Denn dann, so heißt es, würde er ohnehin seinen Rücktritt einreichen und augenblicklich auf eine einsame Insel verreisen.

Auch für Dietmar Hamann, 31, hätte sich der Abschied in Bitternis angeboten, als er nach dem Ausscheiden bei der Euro 2004 aus der Nominierungsliste für die Nationalelf verschwand. Ein Jahr lang hat Hamann ihre Spiele nur am Fernseher verfolgt, und in dieser Zeit hat kaum jemand nach dem großen Strategen der Ära Rudi Völler verlangt.

Weil Klinsmann und Löw aber mitbekamen, dass Hamann beim FC Liverpool nach wie vor ein hohes Niveau bedient, geriet er zumindest bei den Trainern nicht in Vergessenheit; und nachdem Hamann einige Einladungen - zuletzt beim Konföderationen-Pokal - aus Verletzungsgründen absagen musste, steht nun in Rotterdam sein Comeback bevor.

Teile des Publikums sehen das mit Sorge: In Anbetracht der Berufung weiterer Veteranen - Wörns und Neuville, der allerdings auf die Reise verzichten muss -, sowie der Pause für Jungstars wie Schweinsteiger und Podolski, wird bereits befürchtet, dass Klinsmann pünktlich zum Start des WM-Jahres mit der Restaurierung der vormodernen Zeiten beginne.

Bei genauer Betrachtung lassen sich solche Überlegungen allerdings als übereifrige Verdächtigungen deuten, denn was für Kahn gilt, muss auch der Maßstab für Huth, Schweinsteiger oder Podolski bleiben.

© SZ vom 16.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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