Kevin Großkreutz hat sich dem Anlass entsprechend für ein angemessenes Büßergewand entschieden. Er trägt eine graue Trainingsjacke mit weißen Streifen, auf dem Kopf eine schwarze Mütze. Unter seinem gelb-blauen rechten Auge ist nur noch eine harmlose Schramme zu erkennen. Wenn man nicht wüsste, was in den vergangenen Tagen vorgefallen ist, könnte man glauben, dass es lediglich um das Spitzenspiel am Montag in Braunschweig gehe.
Als Großkreutz, 28, am Freitagnachmittag auf dem Podium erscheint, ist er allerdings kein Vertragsspieler des VfB Stuttgart mehr. Zu diesem Zeitpunkt hat sich der Zweitliga-Tabellenführer von seinem prominentesten Kadermitglied bereits getrennt, einem Weltmeister von 2014. "Einvernehmlich", wie Stuttgarts Manager Jan Schindelmeister im Juristen-Deutsch bestätigt, "weil Kevin weiß, dass er großen Mist gebaut hat."
Er schaut selbst vorbei, um seinen Rauswurf zu erklären
Über die Partie am Montag spricht niemand, thematisch geht es ausschließlich um die handgreifliche Auseinandersetzung von Großkreutz in der Nacht auf Faschingsdienstag, um eine Schlägerei mit Jugendlichen unter Alkoholeinfluss frühmorgens um 2.15 Uhr in der Innenstadt. Ohne den Namen von Großkreutz zu nennen, hatte ein Polizeisprecher mitgeteilt, dass der Familienvater wohl zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei. Die Trennung ist für VfB-Cheftrainer Hannes Wolf dennoch "der einzige logische Schritt", nachdem Bilder im Internet aufgetaucht sind, die Großkreutz mit wüsten Gesichtsverletzungen zeigen, mit geschwollenen Augen und Wangenknochen, krummer Nase und einem weißen Verband um den Kopf. Großkreutz sieht auf den Bildern aus wie ein Schwergewichtsboxer nach einem K. o. in der letzten Runde. Gerade die Profispieler "haben eine besondere Vorbildfunktion für den Verein im Allgemeinen und unsere Jugendspieler im Besonderen", erklärt Schindelmeiser: "Kevin ist dieser Rolle nicht gerecht geworden." Mehr wollte der VfB zu den Gründen nicht erklären.
Dass er persönlich vorbeischaut, um seinen Rauswurf zu erläutern und sich zu entschuldigen, sagt einiges aus über den komplexen Charakter des Mannes, der sich mit seiner mal derben, mal offenen, mal provokanten Art das Leben häufig selbst schwer gemacht hat. Die öffentliche Katharsis war seine Methode, die wilden Geschehnisse zu verarbeiten und emotional einen Schlussstrich zu ziehen. "Mir war es wichtig", gesteht Großkreutz, "nicht einfach so abzuhauen."
Er entschuldige sich vor allem bei seiner Familie und seinen Freunden, "die sich riesige Sorgen gemacht haben", wie er sagt. Er sei froh, dass er überhaupt anwesend sein könne. Seine Augen werden feucht, als er sich "bei den Mitarbeitern und der Mannschaft" bedankt. Das Wort "Fans" geht in einem Schluchzen unter: "Ich habe immer alles für den Klub gegeben" - 26 Spiele in erster und zweiter Liga bestritt er für den Verein, nachdem er von Borussia Dortmund über Galatasaray Istanbul zum VfB gefunden hat.
Sportlich war ihm wenig vorzuwerfen, er galt als solider Rechtsverteidiger und Liebling der Cannstatter Kurve. Kündigungsgrund sind schwerwiegende Verfehlungen abseits der Spielfläche. Er wolle vorerst "mit dem Profifußball nichts mehr zu tun haben", sagt Großkreutz noch: "Lasst mich und meine Familie in Ruhe, damit ich nachdenken kann."
Dann steht der gefallene Weltmeister auf und verlässt die Bühne. Bis zur Aufstiegsfeier, wie er hofft. Da wolle er zurück sein, sagt er, "um mit den Jungs feiern zu können".