Kegeln:Fünf nach zwölf

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Immer auf der Suche nach dem besten Wurf: Weltmeisterin Sina Beißer im Einsatz für Bamberg. (Foto: Gerhard König/imago)

Der Kegelsport kämpft auch in Bayern gegen den rasanten Mitgliederschwund. Der hat verschiedene Gründe.

Von Johannes Müller

Als Sina Beißer neun Jahre alt war, gastierte der große Sportkegelclub Victoria Bamberg in ihrem Heimatort Öhringen, um das 1999er Pokalfinale der Frauen des Deutschen Keglerbund Classic (DKBC) zu bestreiten. Bamberg gewann den Titel, während Beißer Bahndienst hatte. Sie schaute ehrfürchtig zu den Spielerinnen auf und fasste einen Entschluss: "Ich habe mir gesagt, ich möchte einmal dort spielen, für die beste Kegelmannschaft der Welt, und einmal Weltmeisterin werden." Inzwischen ist Sina Beißer 31 Jahre alt, und ihre Träume hat sie verwirklicht.

Seit zwölf Jahren spielt sie nun bei Victoria, und auch Weltmeisterin ist sie geworden, 2014 im Einzel, im Team 2017 - und auch 2021, in Tarnowo Podgorne, Polen. Überhaupt hat Beißer so ziemlich alles gewonnen, was es im Kegelsport zu gewinnen gibt, Ende Juni feierte sie mit ihrer Mannschaft den Gewinn des nachgeholten Champions-League-Finales 2020. Fragt man Beißer, was sie am Kegeln so begeistert, antwortet sie: "Dass man immer versucht, den perfekten Wurf zu finden, das perfekte Spiel zu machen." Das werde man zwar nie ganz erreichen, aber der Reiz bestehe darin, die eigene Bestleistung immer wieder zu knacken. Weiter, immer weiter eben.

Auf den Kegelsport als Gesamtes lässt sich diese Sentenz nur mit größtem Zynismus übertragen. Seit Jahren gehen die Mitgliederzahlen deutscher Kegelvereine kontinuierlich zurück, auch innerhalb des Bayerischen Sportkegler- und Bowlingverbands (BSKV) ist der Rückgang dramatisch. 2016 waren in Bayern über 19 000 Menschen in einem Kegelverein aktiv, fünf Jahre später sind es noch 15 000. Die Rechnung ist simpel: Die Älteren hören auf, während Junge kaum noch nachkommen. Die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung jedoch nicht sonderlich beschleunigt, sagt Nils Deichner, Pressesprecher des BSKV und selbst Zweitligakegler beim Sport-Club Regensburg.

Die Befürchtung, "dass es im Laufe des Jahres schlimmer wird, vor allem in den älteren Altersschichten", habe sich für den Moment nicht bewahrheitet. Stand Mitte November seien effektiv nur knapp 100 Austritte zu vermelden (500 Kegler haben ihre Mitgliedschaft im BSKV gekündigt, dem stehen jedoch 400 neue Anmeldungen gegenüber). Dennoch, von einer Abschwächung des Trends will Deichner nicht sprechen. "Es kann sein, dass einige Spieler bereits gekündigt haben, die Vereine das aber erst zur Kündigungsfrist am Ende des Jahres weitergeben." Das sei aktuell kaum abzuschätzen.

Die Kegelsportler leiden am Image vom Sauf- und Altherrensport

Dass es vor allem junge Menschen kaum noch zum Kegeln zieht, ist wesentlich dem Negativimage als Sauf- und Altherrensport geschuldet. Anerkennung für sportliche Leistungen ist eher nicht zu erwarten, erzählt Deichner: "In meinem Freundeskreis belächeln das immer noch welche, die sagen dann: Naja, zweite Bundesliga Kegeln, da muss man jetzt auch nicht wirklich viel können." Auch Nationalspielerin Sina Beißer kann von fehlender Wertschätzung ein Lied singen. "Wenn man sagt, man ist Kegelweltmeister, fangen einige an zu lachen." Kegeln ein Leistungssport? Das erscheint vielen abwegig.

Einer, der daran etwas ändern will, ist Uwe Rupprecht. Seit Kurzem ist er Referent für Mitgliederbetreuung beim BKSV, ein neu geschaffenes Amt, das auch dem Schwund an Aktiven entgegenwirken soll. Er ärgert sich über die weitverbreiteten Ansichten über seinen Sport. Zwar gebe es die alteingesessenen Kneipenkegler, gar keine Frage, "aber das war nie der Kegelsport, das war schon immer das Gesellschaftskegeln".

Gleichwohl, auch Rupprecht tut sich schwer mit einer klaren Distinktion. "Langfristig wollen wir Sportkegler hinzugewinnen, aber der Weg dorthin ist, dass erstmal wieder mehr Hobbykegler auf die Bahnen kommen." Er hat daher in den vergangenen Monaten ein Verzeichnis ausgearbeitet, das den Hobbykeglern alle Bahnen in Bayern auflistet, relevante Informationen wie die Miete inklusive. Es wird in den kommenden Tagen zunächst auf der Website des BSKV und dann auf denen der Landkreise zu finden sein. Die Hoffnung: eine neue Begeisterung fürs Freizeitkegeln entfachen.

Denn längst haben Bowlingcenter den Kegelbahnen den Rang abgelaufen, Geburtstags- oder Firmenfeiern finden nun dort statt. Zwar ist die Bahnmiete beim Bowling häufig teurer, dafür sind aber auch die Anlagen moderner als viele Kegelkeller, in denen die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. Schwarzlicht, Musik im Hintergrund, Billardtische und Tischkicker, "was das Drumherum angeht, machen uns die Bowlinganlagen schon noch was vor", gibt Rupprecht zu. Umso verdienstvoller ist es, dass Vereine wie der ARSV Katzwang in Nürnberg oder der SC Luhe Wildenau aus der Oberpfalz ihre Kegelbahnen zuletzt auf den neuesten technischen und ästhetischen Stand gebracht haben.

Rupprecht gibt seinen Sport nicht auf, aber die Zeit rennt

Der Kegelsport hat aber noch ein weiteres Problem. Während populärer Spitzensport, allen voran der Fußball, zu einem rundum vermarkteten Unterhaltungsprodukt geworden ist, verschwand das Kegeln in der Peripherie der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das höherklassige Sportkegeln schaffe es häufig nicht einmal mehr in den Sportteil lokaler Tageszeitungen, "weil zwei Seiten für die Kreisliga B beim Fußball gebraucht werden", beklagt Rupprecht. Auch bei den Olympischen Spielen in Tokio war kein Kegeln zu sehen, während jugendliche Trendsportarten wie Surfen und Skateboarden erstmals zum Programm gehörten.

Uwe Rupprecht gibt sich dennoch kämpferisch. Man könne noch viel retten, sagt er. Dafür müssten die Kegler ihren Sport aktiver bewerben, insbesondere im ländlichen Raum, wo lokale Bindungen noch stärker seien. Das hieße: persönlich auf Menschen zuzugehen, Plakate auszuhängen und auch mal stolz die Trainingsjacke des eigenen Kegelvereins auszuführen. Auch die Kooperation mit Schulen sei wichtig, um das Kegeln im Sportunterricht zu etablieren. Viel Zeit bliebe für all das allerdings nicht mehr. "Wenn wir nochmal zehn Jahre so weiter machen, dann gibt es uns in 20 Jahren nicht mehr." Er selbst sehe seine Aufgabe darin, die Vereine "zu kitzeln, zu provozieren, und auch Möglichkeiten aufzeigen". Denn: "Einige haben immer noch nicht verstanden, dass es fünf nach zwölf ist."

Sina Beißer dagegen freut sich, dass sie und ihre Teamkameradinnen unter Einhaltung der geltenden Regeln wieder auf der Kegelbahn trainieren dürfen, nach entbehrungsreichen Monaten mit ausschließlich Laufeinheiten. Die Zielsetzung für diese Saison ist klar: den Meistertitel verteidigen. Allerdings ruht der Wettbewerb coronabedingt nach wenigen Spieltagen bereits wieder, 2021 wird nicht mehr um Punkte gekegelt. Einen Termin für den Restart gibt es noch nicht. Sicher ist dagegen: Die Pandemie wird auch dann noch nicht ausgestanden sein.

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