Kanu:Der Kniff mit dem Knie

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Lisa Jahn ist vom Kajak in den Canadier umgestiegen - und startet nun bei den Weltmeisterschaften in Montemor-o-Velho in Portugal.

Von Barbara Klimke, Montemor/München

Badengehen gehört dazu. Sogar Max Rendschmidt sagt, er gehe bisweilen noch über Bord, und Rendschmidt ist Weltmeister und Olympiasieger. So ein Kajak, kaum breiter als ein Baumstamm, sei eben eine kippelige Angelegenheit auf dem Wasser. Ein Moment der Unaufmerksamkeit oder Erschöpfung, ein falsch eingetauchtes Paddel - "und schon liegt man drin". Aber immer wieder? Zehn bis fünfzehn Mal pro Stunde? Lisa Jahn, 24, hat auch das erlebt. Dabei kann sie paddeln, sie war Junioren-Weltmeisterin.

Aber vom Kajak, dem wackeligen Boot, war sie damals, vor zwei Jahren, in ein noch wackeligeres eingestiegen, den Canadier. Der ist so schmal, dass im Grunde nur ein Bein darin Platz findet. "Ich dachte, da kniest du dich halt mal rein. Es ist ja keine Hexerei", sagt sie. Die Folge war, dass sie am Anfang fast nur im Kreis gefahren ist.

Im internationalen Kanusport waren Rennen im Canadier lange nur für Männer reserviert. Für Frauen gab es in Europa keine Wettbewerbe, sie wurden, angeblich zum Schutz vor Hüftschaden bei der einseitigen Belastung, vor dem Umgang mit dem Stechpaddel bewahrt. Mit ähnlichen Fürsorgeargumenten hatte das Sportestablishment bis 1984 auch schon die Leichtathletinnen etwa vom olympischen Marathon ferngehalten. Auf den Flüssen und Seen des amerikanischen Kontinents hingegen waren Frauen von jeher im Canadier drauflos gepaddelt. Erst 2010 wurde dieses Boot ins Programm der Frauen bei Weltmeisterschaften aufgenommen. In zwei Jahren in Tokio wird die Disziplin ihre Frauen-Premiere bei Olympia erleben. Für Lisa Jahn hat das den Ausschlag gegeben: Die Olympiateilnahme ist ihr höchstes Ziel, das wurde ihr spätestens klar, als sie nach dem Gewinn der U23-Goldmedaille im Vierer zum Abschluss der Juniorenzeit über ihren weiteren Werdegang auf dem Wasser nachdachte. Denn im Kajak ist die Konkurrenz um die Plätze in den Spitzenbooten hierzulande groß. Ihr Berliner Trainer Lars Kober, früher selbst Canadier-Spezialist und Olympiazweiter von Sydney, legte ihr daher den Umstieg nahe. "Es hätte auch in die Hose gehen können", sagt Lisa Jahn heute. Tatsächlich gelang der Übergang so reibungslos, dass sie vom heutigen Donnerstag an bei der Kanu-WM in Montemor-o-Velho in Portugal im Canadier ein Doppel-Debüt erlebt. Sie startet auf zwei Strecken: im Einer über 200 Meter und im Zweier mit der 20-jährigen Sophie Koch über die 500-m-Distanz.

Kompliziert, sagt Lisa Jahn, sei es trotzdem gewesen. Denn man wechsle nicht einfach nur von einem Boot ins andere. "Eher fühlt es sich an, als ob man eine ganz neue Wassersportart lernt, etwa das Rudern." An die Beinarbeit im Canadier, an das beschwerliche Knien im Boot, musste sie sich gewöhnen. Anfangs hielt sie es keine fünf Minuten aus. Inzwischen, sagt sie, überstehe sie auch neunzigminütige Trainingseinheiten locker. Und auch die einseitige Technik, das Steuern mit dem Paddel, beherrscht sie nun souverän - trotz des Umstands, "dass man sich, wenn es wackelt, nirgends abstützen kann".

Als das Internationale Olympische Komitee auch im Kanusport auf Geschlechtergleichheit drängte und der Weltverband daraufhin das Wettkampfprogramm stutzte und Strecken strich, um Platz für den Frauen-Canadier zu schaffen, hat der hiesige Verband das als Chance begriffen. Der DKV hat inzwischen einen Schwerpunkt auf die Umschulung von jungen Kanutinnen gelegt. "Normalerweise dauert es acht bis zehn Jahre, um in dieser Disziplin einen Weltklasseathleten zu entwickeln", erläuterte Chefbundestrainer Jens Kahl, der allerdings über das Privileg verfügt, die Besten der Besten, etwa den dreimaligen Canadier-Olympiasieger Sebastian Brendel, 30, vom KC Potsdam, im Kader zu wissen.

So viel Zeit bleibt dem Verband nicht bis Tokio 2020. Aber andere Länder, sagt Kahl, stehen vor dem selben Problem. Viele kleinere Verbände hatten seit 2010 den Frauen-Canadier als Nische entdeckt, jetzt, da sich die Disziplin auch olympisch vergolden lässt, ziehen die großen Kanu-Nationen nach. Für Lisa Jahn und ihre Partnerin Sophie Koch hat das unter anderem den Vorteil, dass sie bei Lehrgängen gemeinsam mit den DKV-Männern trainieren, und bisweilen erhalten sie Tipps von den besten Canadier-Spezialisten der Welt - etwa über die Knieposition. Als Favoriten bei der WM sehen sie sich allerdings noch nicht. Beste Chancen, sagt Lisa Jahn, haben die Kanadierinnen. Aber in Kanada waren Frauen im Canadier ja auch nie ein Problem.

© SZ vom 23.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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