Kaiserslautern und die Nationalelf:Die Ortsgeister des Betzenbergs

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Bei Länderspielen in Kaiserslautern hat die Nationalelf traditionell Probleme. So auch gegen Weißrussland. Jens Lehmann hatte dabei ein Déjà-vu.

Philipp Selldorf

Sie standen zu Hunderten an der Straße, die hinauf zum Betzenberg führt, und haben den Mannschaftsbus empfangen wie das Papamobil. Nach kaum einer halben Stunde Spielzeit haben sie dann zur ersten Rundum-Welle angesetzt, obwohl ihnen das Spiel gar keinen rechten Anlass gab.

Bei jedem deutschen Eckstoß haben sie wilde Klatschmärsche angestimmt wie das von dunklen Mächten geleitete Publikum im Sportstudio, sie haben ihren Miroslav Klose in Chören gefeiert und Lukas Podolski sowieso, und sie haben sich auch mit keinem Buhruf beschwert, als ihnen in der Pause der englische Superstar Michael Ballack entzogen wurde. Kurzum: Die Besucher des selbstverständlich ausverkauften Fritz-Walter-Stadions in Kaiserslautern waren jederzeit begeistert und benahmen sich damit vollkommen vorschriftsmäßig. An ihnen hat es nicht gelegen, dass von diesem Abend abermals einige ungute Zeichen ausgingen.

Es muss am Karma von Kaiserslautern liegen oder an den Ortsgeistern des Betzenbergs, auf jeden Fall hat die Nationalmannschaft regelmäßig ein paar Probleme, wenn sie vor Europameisterschaften in der Pfalz vorbeischaut. Vor vier Jahren musste hier Rudi Völler seinem Kollegen Lothar Matthäus zum Einstandserfolg als ungarischer Nationaltrainer gratulieren - Völler erlebte danach keinen Sieg mehr mit dem deutschen Team.

2000, sechs Wochen vor dem Start des Millenniumturniers, war es noch heftiger. Zwar blieb es gegen die Schweiz bei einem 1:1, aber hinterher musste Bundestrainer Erich Ribbeck "an alle Deutschen" appellieren, "ein wenig Fairness mit Jens Lehmann walten zu lassen". An diesen Aufruf wird sich Lehmann womöglich erinnert haben, als er zur Partie gegen Weißrussland wieder Kaiserslauterer Boden betrat.

Momente mit Déjà-vu-Effekt stellten sich ein. Lehmann trat an friedlichen Rückgaben seiner Mitspieler vorbei; er unterlief zwei Flanken, als hätten ihn die Bälle aus der Lektüre eines spannenden Buchs aufgeschreckt; er schlug nach einem Weitschuss wie nach einem Insekt. Beinahe wäre er wieder der Fall für einen Fairness-Spendenaufruf gewesen, und am Horizont zog schon die nächste große deutsche Torwartdebatte herauf, aber nach einer Weile schaffte Lehmann, was ihm bei seinem missratenen Länderspiel in Österreich im Februar noch versagt geblieben war: Er fand den Bogen zurück zu seiner Linie. Zu einer großen Leistung hat er dennoch nicht mehr gefunden.

Beim Ausgleichstor durch Bulyga wirkte der 38-jährige sogar unbeholfen. Allerdings fiel seine fragwürdige Parade nicht mehr so sehr ins Gewicht, weil sich die Schuldfrage bereits vorher erschöpft hatte: Jermaine Jones, der den Ball an den Gegner verloren hatte, und Christoph Metzelder, der den Schützen nicht aufzuhalten vermochte, klärten die Sache unter sich.

Insgesamt bot dieser pfälzische Abend wieder keine Inspiration. Weder Lehmann, dessen Konzentrationsschwächen dem Bundestrainer wohl zu denken gegeben haben, noch seine Abwehrkollegen Metzelder, Mertesacker und Hitzlsperger, die einem zweitklassigen Gegner zwei Tore und viele Möglichkeiten gestatteten, werden den Ausflug in guter Erinnerung behalten. Am meisten wird Bastian Schweinsteiger die Exkursion auf den Betzenberg bereuen. Die medizinischen Untersuchungen werden ergeben, wie schwer seine Bänder-Verletzung nach Putsilos Tritt ist. In Kaiserslautern hatte vor vier Jahren seine Karriere im Nationalteam begonnen, diesmal könnte derselbe Ort die Endstation der EM sein - bevor sie begonnen hat.

© SZ vom 28.05.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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