Justin Gatlin:Der nächste Schlag

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Nach dem Positiv-Test auf Testosteron droht Sprint-Olympiasieger Justin Gatlin eine lebenslange Sperre.

Michael Gernandt

Vor einer Woche unterhielt sich 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell (Jamaika) mit der New York Times über seinen amerikanischen Rivalen, den Rekordmitinhaber und Olympiasieger/Weltmeister Justin Gatlin und das Duell der beiden, das einfach nicht zustande kommen will.

Weltrekordler Justin Gatlin - Darf er nie wieder sprinten? (Foto: Foto: Reuters)

Powell: "Ich hörte, dass er verletzt sei, bin mir aber nicht sicher, ob das die Wahrheit ist."

Powells wie auch immer motivierter Argwohn war begründet, die Verletzung vermutlich nur eine billige Ausrede.

Und das Rätsel, das die in diesem Jahr zweimal geplatzte Auseinandersetzung der beiden aufgab, gelöst: Gatlin, 24, ist am 22. April, 20 Tage vor seinem trotz einiger Widersprüche ungewöhnlich schnell anerkannten Weltrekordlauf in Doha/Katar, nach einem Staffelrennen bei den Kansas Relays in Lawrence positiv auf das anabole Steroid Testosteron getestet worden.

Mitte Juni setzte die Antidoping-Agentur Usada den Sprinter von der illegalen A-Probe in Kenntnis, seit 12. Juli weiß er, dass auch die B-Probe nicht den Regeln entspricht. Den US-Sport hat so-mit innerhalb einer Woche gleich zweimal der Schlag getroffen: Nach Tour-Sieger Floyd Landis (ebenfalls Testosteron) fügte auch der derzeit prominenteste und am besten bezahlte US-Leichtathlet der Branche schweren Schaden zu. Peter Ueberroth, Chef des Olympia-Komitees USOC: "Das ist die Höhe, so kann es nicht weiter gehen."

Privatdetektiv ermittelt

Justin Gatlin habe, wie ein Freund be-richtet, "tagelang geheult", und dann, wie Landis zuvor, am Samstag die in der Szene gängigen Reflexe bedient: "Ich kann dieses Ergebnis nicht erklären, weil ich wissentlich nie irgendeine ver-botene Substanz genommen oder jemanden autorisiert habe, mir eine solche Substanz zu verabreichen." Er habe, seit ihm die Geschichte bekannt sei, "alles in seiner Kraft stehende unternommen, um die Ursache für das Geschehene zu er-gründen".

Mit Usada habe er immer "voll kooperiert", er werde das auch in Zukunft tun. Gatlin ist sicher, dass "wenn alle Fakten bekannt sind, Usada beschließen wird, dass ich nichts Unrechtes getan habe". Für diese Woche hat der Sprinter einer Anhörung des Review Board der Usada zugestimmt. Danach entscheidet sich, ob die nach der B-Probe vom Leichtathletik-Verband USATF verfügte Suspendierung in eine Sperre umgewandelt oder ein Sportgericht angerufen wird. Ein mögliches Strafmaß kann nur lauten: lebenslänglich. Denn Gatlin wäre Wiederholungstäter, war 2001 als College-Sportler schon einmal positiv auf ein Amphetamin getestet worden.

Die damals verhängte Zweijahressperre wurde 2002 vom Weltverband IAAF halbiert, weil, wie es hieß, eine unbeabsichtigte, eine "technische" Verletzung der Regeln vorgelegen habe: Gatlin müsse seit seinem zehnten Lebensjahr ein Medikament gegen eine Krankheit mit dem Kürzel ADD (Attention Deficient Disorder) nehmen und habe dies vor der Kontrolle vergessen anzugeben. Gut möglich, dass der zwischen den Analysen von A- und B-Probe gewonnene US-Titel über 100 Meter sein letzter gewesen ist.

Unbekannt ist vorläufig, ob der Fall Gatlin in Zusammenhang steht mit den in diesem Frühjahr wieder verstärkt aufgenommenen Ermittlungen gegen seinen Trainer Trevor Graham, einer Schlüsselfigur in der Balco-Affäre. Wenigstens sechs ehemalige Graham-Athleten sitzen derzeit Dopingsperren ab. Sein schlechter Ruf hat den Coach nicht davor bewahrt, in der Angelegenheit seines Stars Gatlin Zurückhaltung an den Tag zu legen. Im Gegenteil. Graham tischte am Sonntag eine abenteuerliche Räuberpistole auf: Er nennt den positiven Befund Sabotage.

Der dunkle Fleck auf der weißen Weste

In einem Interview mit einem TV-Sender Jamaikas, seinem Geburtsland, sagte Graham: "Wir wissen, wer das gemacht hat und wie er in unsere Strukturen eingedrungen ist." Seit einiger Zeit habe man einen Privatdetektiv verpflichtet. Wenn alle Beweise vorliegen, so Graham, wolle man sie öffentlich machen. Der angebliche Saboteur, heißt es in Grahams Firma Sprint Capitol, sei ein früherer Assistenztrainer und im April in Lawrence gewesen, wo Gatlin mit ihm Ärger bekommen habe.

Von einem ehemaligen Graham-Gehilfen namens John Burks war vor einer Woche in der New York Times zu lesen. Burks sagte: Er glaube an illegalen Drogenmissbrauch in Sprint Capitol von Raleigh.

Graham war stets der dunkle Fleck auf der bis zu diesem Frühjahr weißen Weste des "amerikanischen Helden" (US-Olympiateam-Coach von 2004, George Willliams, über Gatlin) gewesen.

Die Eltern des Sprinters hatten sich vor dessen Übertritt ins Profilager im Herbst 2002 mit Manager Renaldo Nehemiah zusammengesetzt und sich nach eingehender Beratung auf Graham, dem gerade das berüchtigte Sprintpärchen Marion Jones/Tim Montgomery den Laufpass gegeben hatte, als Coach geeinigt. Er werde, betonte Gatlin stets, sich nur dann von Graham trennen, wenn Beweise gegen ihn vorliegen.

Nun, da sich Unheil gegen Gatlin ("Ich muss ein Vorbild sein für die junge Generation") selbst zusammenbraut, sollen ausgerechnet Grahams Erzählungen den Absturz "eines der auffälligsten Sprecher für den integren Sieg in der Leichtathletik" (USATF-Generalsekretär Craig Masback) verhindern?

Da erscheint die Einschätzung der Gatlin-Anwältin Cameron Myler schon realistischer: "Das Ganze ist unglücklicher, aber wahr."

© SZ vom 31.07.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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