Judo-WM in Tokio:Über die Trostrunde ans Ziel

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„Ich habe lange darauf gewartet“: Martyna Trajdos (blauer Anzug) unterliegt hier zwar Juul Franssen, gewinnt später aber WM-Bronze. (Foto: Kim Kyung-Hoon/Reuters)

Martyna Trajdos gewinnt die erste Medaille für den deutschen Verband. Sie belohnt sich mit Bronze für ihre Beharrlichkeit. Doch die 30-Jährige ist mit ihrer Zufriedenheit ziemlich allein in der deutschen Auswahl.

Von Thomas Hahn, Tokio

Martyna Trajdos lächelte, als sie in die Arena zurückkehrte. Sie wusste, dass sie nichts mehr tun musste, um bei der Judo-WM im Nippon Budokan von Tokio die Bronzemedaille der Gewichtsklasse bis 63 Kilo zu erhalten. Über die Trostrunde hatte sie sich für das kleine Finale qualifiziert. Das reichte, denn ihre Gegnerin dort durfte nicht mehr kämpfen. Tina Trstenjak, die Olympiasiegerin aus Slowenien, hatte im Halbfinale eine verbotene Technik angewandt. "Vom Stand zum Boden gehebelt - das darf man nicht, weil man damit die Gegnerin verletzen kann", erklärte Bundestrainer Claudiu Pusa. "Das gibt einen Penalty und die Disqualifikation für den Rest des Tages." Martyna Trajdos, 30, gebürtige Polin aus Hamburg, eine bewährte Kraft des Deutschen Judo-Bundes (DJB), war am Ziel. Es war die erste DJB-Medaille bei dieser WM und für Trajdos ein Symbol für den Wert der Beharrlichkeit. Sie sagte: "Ich habe lange darauf gewartet."

Trajdos begann relativ spät mit ihrem Sport - und mit wenig Vertrauen in ihr Talent

Der vierte Tag der Tokioter WM ist nicht schlecht gewesen für die DJB-Mannschaft. Aber er zeigte ihr auch wieder, dass Erfolg keine verlässliche Größe ist. Die Ansprüche des Verbandes sind hoch, er will mehr gewinnen pro Großereignis, als seine Leute das in den vergangenen drei Jahren getan haben. Jeweils eine Medaille gab es bei Olympia 2016 sowie den Weltmeisterschaften 2017 und 2018: erst Bronze durch die derzeit verletzte Laura Vargas-Koch aus Berlin, dann Gold und Bronze durch Alexander Wieczerzak vom Judo-Club Wiesbaden. Gewünscht sind ein bis zwei Medaillen pro Geschlecht. "Das sagen wir auch jedem, der es hören will", sagt DJB-Sportdirektor Ruben Goebel. Und gerade dieser vierte Tag in Tokio schien geeignet zu sein, das Ziel zu erreichen. Denn es kämpfte ja nicht nur Martyna Trajdos, sondern auch in der Männer-Klasse bis 81 Kilo der hochdekorierte Wieczerzak und dessen Kaderkollege Dominic Ressel vom TSV Kronshagen, Weltranglistenfünfter und 2019 schon Grand-Prix-Gewinner in Paris.

Aber die Wahrheiten des internationalen Konkurrenzkampfes sind oft brutal. In den ersten WM-Tagen schaffte keine DJB-Kraft den Einzug ins Abendprogramm mit den Finals. Und selbst am Mittwoch umwehte die Deutschen ein Hauch des Scheiterns. Wieczerzak verlor in der dritten Runde. Der Grieche Alexios Ntanatsidis, ein früherer U21-Weltmeister, bezwang ihn mit einer kleinen Wertung. Kann passieren. Schwer atmend und enttäuscht stapfte Wieczerzak durch die Interviewzone. Kurz darauf eilte Ressel federnden Schrittes vorbei, gelöst nach einem Ippon-Sieg kurz vor dem Ende des Vier-Minuten-Kampfes gegen den Polen Sebastian Marcinkiewicz.

Aber auch er kam am Ende nicht so weit, wie er kommen wollte. In drei von vier Runden musste er in die Verlängerung, die im Viertelfinale gegen den späteren WM-Zweiten Matthias Casse aus Belgien besonders lange dauerte; erst nach über sieben Minuten fing Ressel sich einen Schulterwurf ein. Und in der Trostrunde fehlte dann wohl die Kraft, zumal Ressel gerade erst von einer Fußverletzung genesen war. Aus gegen Kanadas Antoine Valois-Fortier, siebter Platz nach Platz fünf 2018. Immerhin hatte Ressel einen Vorteil im internen Wettstreit um die Olympiateilnahme gegen Wieczerzak errungen. Eine Wunschvorstellung sieht trotzdem anders aus.

Dafür glänzte Martyna Trajdos mit Geduld und solidem Kämpferinnen-Handwerk. Ihre Sportkarriere hat sogar etwas Märchenhaftes, denn sie begann relativ spät und mit wenig Vertrauen in ihr Talent. So zumindest hat Trajdos es einmal selbst in einem Interview erzählt: Sie war schon fast zwölf, als sie zum Judo kam und verlor zunächst so oft, dass ihr Vater vorsichtig an mögliche Alternativen dachte. Aber Martyna Trajdos wollte beim Judo bleiben. Irgendwann fuhr der Vater sie zum Bundesstützpunkt in Hamburg, und obwohl sie nicht geeignet zu sein schien für hohe Ziele im Leistungssport, setzte sie sich welche. Heute ist sie eine Konstante im deutschen Olympia-Betrieb.

"Ich bin nicht der Ippon-Werfer", hat sie mal über sich gesagt, "ich gehe immer davon aus, dass meine Kämpfe über vier Minuten gehen." Sie weiß, dass ihr Stil nichts für Judo-Feingeister ist. Aber Kondition und Wille bringen eben auch was. Zu ihren Errungenschaften gehören ein Sieg bei den Europaspielen 2015, die Olympiateilnahme 2016 sowie fünfte Ränge bei den Weltmeisterschaften 2017 und 2018, die jeweils im Rang eines sogenannten undankbaren vierten Platzes stehen, weil es im Judo immer zwei kleine Finals gibt.

Und nun also: WM-Bronze. "Die Konstanz, die sie wirklich immer, immer zeigt, hat sich endlich ausgezahlt", sagt Sportdirektor Goebel. Und Martyna Trajdos selbst? Lächelte. Sie schien sich still zu amüsieren über diese nächste Pointe ihrer seltsamen Geschichte und dachte schon wieder weiter. Olympia 2020 findet auch im Nippon Budokan statt. Sie sagte: "Das war der Test fürs nächste Jahr." Dann möchte sie noch mal so eine Medaille.

© SZ vom 29.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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