Judo:Keine Lust auf die Polizei

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Philip Graf war jahrelang einer der besten Judoka Deutschlands. Er gab das Profidasein wegen des neuen Förderkonzeptes auf, dieses will Maximilian Heyder nutzen.

Von Julian Ignatowitsch

Er war jetzt zehn Monate unterwegs. Einmal rund um den Globus, eine Weltreise. Von Nordafrika über Nepal, Indien, Südostasien nach Australien, in die USA, Mexiko, Kuba und wieder zurück nach Europa. Er sei in 24 Ländern gewesen, habe viele interessante Menschen und fremde Kulturen kennengelernt und manchmal sei er auch einfach im Bett liegen geblieben. "Ich wollte etwas anderes machen als Sport", sagt der Judoka Philip Graf vom TSV Abensberg - aber jetzt ist er wieder da. Am Samstag wird Graf beim bayerischen Bundesliga-Spitzenduell zwischen Abensberg und dem TSV Großhadern (17 Uhr) sehr wahrscheinlich auf der Matte stehen. Ob und wie er kämpft, steht für ihn aber nicht mehr an erster Stelle. Es hat sich vieles geändert.

Für Graf brach die Unterstützung der Sporthilfe mit der Reform des Förderkonzepts Ende 2016 weg

Heute trainiert Graf noch einmal (statt fünfmal) die Woche, er erhält bald seinen Universitäts-Abschluss, arbeitet bereits als Architekt und pendelt zwischen München, wo er wohnt und studiert, und Cham, wo er aufgewachsen ist und nun Geld verdient. Die Geschichte von Philip Graf ist nicht nur die eines Sportlers, der die Welt kennenlernte, sondern auch eine vom Sport abseits des Rampenlichts und den schweren Bedingungen, die damit einhergehen. Graf gehörte jahrelang zu Deutschlands besten Judoka im Leichtgewicht bis 60 Kilogramm. Auch damals war er oft unterwegs, gewann ein Turnier in Sarajevo, eins in Bratislava. Neben dem Studium bekam der zweifache deutsche Meister eine finanzielle Unterstützung von der Sporthilfe, mit der Reform des Förderkonzepts brach dieses Geld Ende 2016 aber weg. Heute werden nur noch die Allerbesten gefördert, was viele im Judo kritisch sehen. "Wir sind ja auf einen Pool von vielen Athleten, die abwechselnd miteinander trainieren und gegeneinander kämpfen, angewiesen", sagt Bundesstützpunkt-Trainer Ralf Matusche. Wer es nicht in die Spitzenförderung schafft, aber weiter Spitzensport betreiben will, der ist entweder auf die Eltern angewiesen - oder er geht zur Polizei oder Bundeswehr. "Eine andere Möglichkeit gibt es nicht", sagt Matusche.

Beides wollte Graf nicht. "Nicht jeder ist ein Soldat oder Polizist", sagt er, der heute Einfamilienhäuser plant. Und: "Mit 27 Jahren will ich selbst für meinen Lebensunterhalt aufkommen." Graf nennt die neue Sporthilfe diplomatisch "nicht ganz durchdacht". Sein Abensberger Trainer Jürgen Öchsner wird bei dem Thema dagegen schnell emotional und spricht davon, dass "der Innenminister und die Sportpolitik" dringend etwas unternehmen müssen. Dann erzählt er von den hohen Summen, die Kämpfer in Russland, Japan und Osteuropa erhalten.

Für Graf blieb nur die Option, den professionellen Sport aufzugeben, obwohl er sich sogar Hoffnungen auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio hätte machen können. "Es ist jetzt anders gekommen und es ist gut so", sagt er. Aber: Bei seinem letzten Lehrgang mit der Nationalmannschaft im Dezember 2016 war er gut in Form, die Konkurrenz überschaubar. Denn der bis dato beste Kämpfer in seiner Gewichtsklasse, Tobias Englmaier, hat nach vielen Verletzungen aufgehört und trainiert heute die Bundesliga-Mannschaft von Großhadern. Im Leichtgewicht, wo gute deutsche Kämpfer rar sind, ist also ein Platz frei geworden. Aber nicht mehr für Philip Graf.

Die mentale Komponente ist beim Judo mindestens so wichtig wie Körper und Kraft

Zu seiner Geschichte gibt es ein Gegenbeispiel, das die unterschiedlichen Entwicklungen des Profidaseins in diesem Sport ganz gut veranschaulicht: Als Trainer hat Englmaier mit Maximilian Heyder einen jungen Kämpfer in seinen Reihen, der potenziell zu seinem Nachfolger taugt. Der 21-jährige Heyder hat sich gerade für eine professionelle Judo-Karriere entschieden und fängt deshalb nach dem Abitur bei der Polizei an. "Das ist einfach das beste Modell", erklärt er. Vier Wochen Ausbildung im Winter wechseln sich dort mit acht Monaten sportlicher Trainings- und Wettkampfzeit ab. "Also viel Zeit für Judo." Mehrere Teamkollegen und Freunde von Philip Graf, wie Sebastian Seidl oder Manuel Scheibel, die zwischenzeitlich zusammen in einer WG wohnten, sind ebenfalls Polizisten. Der Kampf zwischen Abensberg und Großhadern hat damit schon fast etwas von Dienststellentreffen.

Architekt Graf beschreibt Judoka und Polizist Heyder so: "Er kämpft gutes und technisch sauberes Judo." Beim letzten Duell in der Bundesliga hat Graf gewonnen, seitdem hat er kaum trainiert und an Gewicht zugelegt. Vor einem erneut möglichen Duell stellt Großhaderns Trainer Englmaier klar: "Bei den Ambitionen, die Max hat, muss er Philip diesmal schlagen." Der Kopf stehe ihm aber manchmal im Weg. "Er denkt zu viel nach, ist noch zu vorsichtig", beschreibt Englmaier. Die mentale Komponente ist beim Judo mindestens so wichtig wie Körper und Kraft. Wer sich da noch wichtige existenzielle Fragen stellen muss, könnte im entscheidenden Moment im Nachteil sein.

© SZ vom 08.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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