Italien-Tschechien:Sieg auf italienische Art

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Die Squadra Azzurra wirft mit einem sehr ökonomischen 2:0 Tschechien aus dem Turnier.

Ralf Wiegand

Es gab eine Menge Konstellationen an diesem letzten Spieltag der Gruppe E, für deren Berechnung es wert gewesen wäre, einen Computer zu programmieren. Beim flüchtigen Blick auf die Tabelle ergab sich geradezu ein Gestrüpp von Abhängigkeiten: Schösse der eine jenes Tor, könnte der andere mit zwei Treffern vielleicht doch noch, aber ein Sieg hülfe nicht, falls im anderen Spiel das Unvorhersehbare geschähe.

Allein die Italiener wussten, sie haben alles selbst in der Hand: Ein Unentschieden bedeutete das sichere Weiterkommen ins Achtelfinale, ein Sieg den sicheren ersten Platz in der Gruppe unter Umgehung einer baldigen Begegnung mit Brasilien. Es gibt auf der Welt kaum eine andere Mannschaft, die solch eine Ausgangsposition höher zu schätzen und besser zu verwalten weiß als Italien. Ihre Kunst der Selbstbeschränkung aufs Wesentliche hätte ihnen das italienischste aller Ergebnisse beschert, ein 1:0 (Ecke Totti, Kopfball Materazzi) - wäre ihnen nicht ganz spät noch das 2:0 geschenkt worden.

Ertrunken im blauen Meer

Nachdem sie bei der vergangenen Weltmeisterschaft 2002, damals noch geführt von Trainer Giovanni Trapattoni, wegen Mutlosigkeit im Achtelfinale gescheitert waren, herrschte einige Spannung, ob sie dem Risiko einer Niederlage gegen die nur bei einem Sieg sicher für die nächste Runde qualifizierten Tschechen offensiver begegnen würden, als das gewohnheitsmäßig ihre Art ist. Die Frage war schnell beantwortet, Trainer Marcello Lippi setzte den Florentiner Angreifer Luca Toni auf die Bank und überließ die Stürmerrolle allein Alberto Gilardino. Die ersten, fast wütenden Angriffe der Tschechen ertranken dafür in einem blauen Meer, das sich vor dem italienischen Strafraum auftat. Einmal zog Tomas Rosicky auf der Suche nach einer Lücke an der gesamten Sechzehnmeter-Linie entlang, um ihn herum acht italienische Spieler. Acht gegen einen: Das ist Catenaccio in Reinkultur.

Während die Italiener die Taktik mit nur einer Spitze freiwillig wählten, hatten die Tschechen keine andere Wahl. Der Sportinformationsdienst hatte am Vorabend des Spieles die übliche Fleißarbeit abgeliefert und eine Liste aller angeschlagenen, verletzten oder gesperrten Spieler aller Mannschaften zusammengestellt. Den längsten Absatz füllten die Namen der Tschechen, die unter anderem einen First-Class-Sturm auf das Tableau der Sorgenkinder setzten, Koller (Muskelverletzung), Lokvenc (Sperre) und Milan Baros. Immerhin der Angreifer vom FCLiverpool konnte gegen die Italiener zum ersten Mal bei dieser WM eingesetzt werden, genesen von Problemen mit dem Fuß. Baros, so hieß also Tschechiens Hoffnung auf ein Wunder.

Die Hoffnung starb früh und jäh, es war erst die 26. Minute. Francesco Totti trat eine Ecke von der rechten Seite, Marco Materazzi von Inter Mailand stieg höher in die Luft als Jan Polak vom 1. FC Nürnberg. Es sollte nicht Polaks einziger schwacher Moment bleiben. Materazzi hatte noch nie zuvor für Italien getroffen, in 28 Länderspielen nicht, die der Verteidiger zuvor bestritten hatte. Er hätte auch dieses Tor nicht erzielt, wenn sich nicht Alessandro Nesta früh verletzt und den Platz bereits in der 17. Minuten verlassen hätte, für Materazzi. Der kam auf diese Weise zu seinem zweiten WM-Einsatz, nachdem er vor vier Jahren schon einmal hatte spielen dürfen, ebenfalls eingewechselt für Nesta. Nun entschied er per Kopfball das Spiel für Italien, bevor es richtig begonnen hatte.

Denn es ist für jede Mannschaft der schlimmste Albtraum von allen, gegen knapp führende Italiener gleich zwei Tore schießen zu müssen. So viele hätte es schon gebraucht, nachdem Ghana eine Führung gegen die USA behauptete und ein Unentschieden für Tschechien zu wenig gewesen wäre. Am ehesten noch war Pavel Nedved anzumerken, dass er entschlossen war, der Aussichtslosigkeit des Unterfangens mit Verve entgegenzutreten. Er war so fleißig, als wolle er die Arbeit für Jan Polak gleich noch mit erledigen; Polak nämlich hatte sich früh vom Spiel verabschiedet, per gelb-roter Karte in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit. Ein Foul am starken Totti führte zu Polaks ganz persönlichem Vorrunden-Aus.

Ein Nedved allein reicht nicht

Pavel Nedved also, 34 Jahre alt, Juventus Turin. Wie so viele der alten Männer des Weltfußballs war er schon zurückgetreten und kam noch einmal wieder, weil er glaubte, noch etwas zu erledigen zu haben mit seiner Mannschaft und für sein Land. Sie war schon so oft hoch gewettet und dann tief gefallen. Nedved schoss allein drei-, viermal gefährlich aufs Tor der Italiener, zweimal musste Buffon glänzend parieren. Aber wenn man ehrlich ist, reicht ein Nedved nicht - so sehr man ihm auch nur das Beste wünschen mag. Im Kader des tschechischen Trainers Karel Brückner stehen Leute vom 1.FC Nürnberg, von Hannover 96, aus St. Petersburg und Salzburg. Im Grunde sind das auch alles Sorgenkinder, weil sie die Leute auf der Liste der anderen Sorgenkinder nicht ersetzen können.

Im Kader der Italiener kommen alle Spieler aus der Serie A. Sie zerstörten die Tschechen immerhin nicht, das gehört gar nicht zu einem Sieg auf die italienische Art. Nur das 2:0, daran konnten sie wirklich nicht vorbei, nachdem Filippo Inzaghi und Simone Barone nach einem Konter alleine aufs Tor von Peter Cech zuliefen. Inzaghi vollendete (87.), Italien feiert ein üppiges 2:0.

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