Italien ist Weltmeister:Die dunkle Seite des Genies

Lesezeit: 4 min

Die Karriere des großen Fußballers Zinédine Zidane endet mit einer Entgleisung.

Christian Zaschke

Die Karriere des Fußballers Zinédine Zidane ist vorbei. Den Schlusspfiff seines letzten Fußballspiels erlebte er nicht auf dem Platz - in der 109. Minute des WM-Finales stellte ihn Schiedsrichter Horacio Elizondo wegen eines Kopfstoßes vom Platz.

Zidane trifft... und wird doch zum Verlierer des Spiels. (Foto: Foto: dpa)

Jähzornig war Zidane immer schon gewesen, er hat sehr viele rote Karten in seiner Laufbahn gesehen, weil er sein Temperament nicht zügeln konnte. In gewisser Weise war es also ein passendes Ende einer großen Karriere, die einen Bogen schlug vom Wirken des Genies im WM-Finale 1998 bis hin zum Wirken der anderen, der dunklen Seite des Genies im WM-Finale 2006.

Epischer Moment

Erst hatte alles nach der kitschigen oder mindestens pathetischen Variante der Geschichte ausgesehen, denn früh in dieser letzten Partie Zidanes schien wieder alles so zu laufen, als sei die gesamte WM eine Veranstaltung, die ihm zu Ehren organisiert wurde, auf dass er einen angemessenen Abschied vom Fußball feiern könne.

Es gab viele erstaunliche Geschichten rund um das Turnier, aber keine war so groß, so episch angelegt wie die von Zidane, und nachdem er im Viertelfinale gegen Brasilien so zauberhaft gespielt hatte, schien alles auf diesen Tag zuzulaufen, den 9. Juli, alles auf Berlin. Wenn auch nicht auf die eigenwillige Pointe in der 109. Minute.

Nach sechs Minuten im Finale schien bereits alles für ein gutes Ende angelegt zu sein: Schiedsrichter Elizondo hatte nach Foul an Florent Malouda auf Elfmeter entschieden, und natürlich war es Zidane, der sich den Ball nahm und auf den Punkt legte.

Bereits im Halbfinale gegen Portugal hatte er das einzige Tor des Spiels per Strafstoß besorgt, nun trat er erneut an, und wie gegen Portugal visierte er die linke untere Ecke an. Dann lief er an und schoss einen Elfmeter, der ein Denkmal werden sollte:

Unterkante

Zidane lupfte den Ball nach rechts, alles sah gut aus, weil Torwart Gianluigi Buffon in die falsche Ecke gesprungen war, doch der Ball stieg und stieg, schließlich klatschte er an die Unterkante der Latte, prallte auf den Boden und stieg wieder an die Latte. Kurz sah es so aus, als habe Zidane es mit seinem Denkmal-Elfmeter übertrieben, er, dessen Kunst sich stets durch Effizienz ausgezeichnet hatte.

Doch da es zunächst so aussah, als sollten dies bis zum Ende die Tage von Zidane bleiben, war der Ball hinter der Linie aufgeprallt. Glück gehabt, aber wenn Geschichten auf diese Weise ihrer Vollendung entgegenstreben, dann nimmt sich alles Glück aus wie höhere Fügung - in diesem Falle eine Fügung, die den Helden höher hebt, bevor er ganz tief fällt.

In der Folge versuchte Zidane, wieder die Dominanz zu entwickeln, die er in den vorangegangenen beiden Partien ausgestrahlt hatte. Die Italiener hatten jedoch beschlossen, nicht bloß Statisten beim Abschied des Franzosen zu sein.

Sie erzielten den Ausgleich, und plötzlich lief die Geschichte nicht mehr auf ihr Ende zu wie ein einmal ins Gleis gesetzter Zug. Die Italiener hatten eine Weiche gefunden, und nun war die Frage, ob es sich um einen Umweg zum Ziel handelte, oder um eine Geschichte mit anderem Ende. Es wurde ein ganz anderes Ende.

Genug Stoff für eine Legende

In ihrem Kern trug die Geschichte alles, um zur Legende zu werden - denn vor der WM hatte Zidane einem Freund erzählt, er sei sich sicher, dass er noch einmal ein großes Turnier spielen werde, obwohl nichts dafür gesprochen hatte.

Zidane hatte zuletzt gewirkt wie der Panther in Rilkes Gedicht: "Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält." Doch Zidane war zurückgekehrt, und das, was Rilke beim Panther im Zoo noch als Rest des Lebens erkennt, den "Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht" war bei Zidane ein Tanz um eine Mitte, in der ein großer Wille kraftvoll wirkte. Die WM war bis zu dieser 109. Minute die Wiedererweckung des großen Fußballers Zidane gewesen.

Zidane forderte bis zu seiner Entgleisung jeden Ball im Endspiel, und einmal, als er einen Pass auf die rechte Seite spielte, mühten sich seine Mitspieler Abidal und Malouda so sehr darum, Empfänger des Passes zu sein, dass sie einander im Weg herumstanden und die Kugel ins Aus rollte (42.).

Je länger das Spiel dauerte, desto mehr schien er doch seine gefürchtete Dominanz zu entwickeln. Immer wieder suchte er den entscheidenden Pass, und nach 54 Minuten hatte er ihn gefunden: Aus dem Fußgelenk spielte Zidane den Ball zu Malouda in den italienischen Strafraum, der lief und wurde von Zambrotta elfmeterreif gefoult (54.). Elizondo entschied anders und beraubte Zidane der Chance zum zweiten Treffer.

Die 104. Minute

In der Folge kämpfte Zidane. Als der grandiose italienische Verteidiger Fabio Cannavaro sich einmal durch mehrere Franzosen wühlte, war es Zidane, der ihm den Ball mit einer einzigen kurzen Bewegung vom Fuß nahm - er arbeitete nun auch nach hinten.

Als er in der Verlängerung müde wurde, nahmen ihm die Kollegen diese Bürde wieder ab, Zidane konzentrierte sich aufs Spektakel: Nach 104 Minuten köpfte er aufs Tor, dies schien die Vollendung zu sein, doch Tormann Buffon riss einen Arm in die Höhe und wehrte den Ball spektakulär ab.

Das Ende, das keine Vollendung war, folgte wenig später: Marco Materazzi hatte mehrmals etwas zu Zidane gesagt. Sicherlich nichts Nettes, denn plötzlich drehte der Franzose sich um und rammte vor den Augen der Welt Materazzi den Kopf auf die Brust.

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