Italien:Eintracht Neapel

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Dass der SSC immer nur Zweiter wird, daran kann auch Carlo Ancelotti nichts ändern. Doch der Sternekoch unter Italiens Trainern vermittelt Harmonie. Sein Sohn Davide gilt als Kandidat für seine Nachfolge.

Von Birgit Schönau

Juventus Turin gewinnt immer und SSC Neapel fast immer, so geht das jetzt schon seit Jahren. Manchmal lagen die Neapolitaner vorn, im vergangenen Winter sogar eine ganze Weile, nachdem sie die Hinrunde gewonnen hatten. Aber am Ende der Saison war Juve Meister und Napoli Zweiter. Und jetzt? "Wir sind ja näher an der Tabellenführung als an Platz vier", sagt Carlo Ancelotti, was absolut unstrittig ist. Der Abstand hinter Juventus beträgt neun Punkte, Neapels Vorsprung vor dem Vierten Milan 13 Punkte. Dazwischen steht auf Platz drei noch mit deutlichem Abstand Inter Mailand. Same procedure as last year. Same procedure as every year. Dabei war der Trainer Ancelotti doch im Sommer von Neapel angeheuert worden, um endlich, endlich der Südmetropole den Titel zu bescheren. Glaubten die Fans - bis Juventus Cristiano Ronaldo holte.

Inzwischen kristallisiert sich heraus, dass Juve CR7 wohl gar nicht gebraucht hätte, jedenfalls nicht für Titel Nummer acht in Serie. Neapel hingegen braucht Ancelotti, einen Trainer, mit dem man Staat machen kann. "Michelangelo sagt, dass man Bilder mit dem Hirn malt", lässt sich der alte Trainer-Maestro Arrigo Sacchi vernehmen: "Carlo hat ein Riesenhirn, das kann man an seinen Spielern ablesen."

Wenn auch der SSC noch nicht ganz an die Sixtinische Kapelle heranreicht, so spielt er doch immerhin feinen Angriffsfußball mit eleganten Kombinationen. Zuletzt wurden Bologna und Lazio Rom besiegt, ohne dass die Südländer dafür den Turbogang eingelegt hätten. Stattdessen zeigt Neapel, was bislang Exklusivbesitz des FC Juventus zu sein schien: selbstbewusste Gelassenheit. "Optimistenfußball" nennt Sacchi das, nicht ohne zu betonen, wie selten so etwas in Italien immer noch sei. Was Wunder, die Optimisten sind ohnehin sehr rar in diesem Land, und lebenskluge Weltbürger wie Ancelotti kann man wirklich mit der Lupe suchen.

Dieser Trainer macht den Kollegen Komplimente (manche sind ohnehin seine Zöglinge), statt sie übel zu beschimpfen - wie sein Vorgänger Maurizio Sarri. Als Neapel-Coach griff Sarri einst den damaligen Inter-Mann und heutigen Nationaltrainer Mancini als "Schwuchtel" an. "So einer dürfte in England niemals auf die Bank", empörte sich Mancini damals. Irrtum, ist doch Sarri inzwischen beim FC Chelsea gelandet. In London fremdelt er indes gewaltig: "Ich bin stinksauer, und das sage ich auf Italienisch, damit es alle verstehen", bellte Sarri zuletzt nach dem 0:2 gegen Arsenal. Seine Spieler seien "schwer zu motivieren".

Aus Neapel holte Sarri seinen Lieblingsspieler Jorginho nach London, eine mittlerweile sehr umstrittene Entscheidung. Am Mittwoch folgte Stürmer Gonzalo Higuain. Der 31-jährige Argentinier war 2016 für die damalige Rekordsumme von 95 Millionen Euro von Neapel an Juventus verkauft worden, musste aber in diesem Sommer Ronaldo weichen. Higuain wurde an den AC Mailand verliehen, doch der hoch verschuldete Klub kann sich das Salär von 18 Millionen jährlich nicht leisten. Chelsea kann das schon. Higuain könnte allerdings Sarris letzter Transfer-Streich sein, wenn sich auch in London herausstellt, was in Italien offensichtlich ist: El Pipita Higuain ist nicht mehr der entfesselte Torjäger, der für Sarris Napoli einst 36 Saisontore machte. Und sich an alte Vertraute zu klammern, ist kein Erfolgsrezept in einem ehrgeizigen Klub der Premier League.

Ancelotti dagegen twittert auch unterm Vesuv weiter auf Englisch, einige seiner 2,4 Millionen Follower leben halt im Ausland. Und egal, ob im Internet oder in der realen Welt, "Carletto" lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: "Im Januar wird hier niemand weggehen und niemand kommen", teilte er mit. Neapel bleibt sowieso immer Zweiter, wieso sich also darüber aufregen?

"Wir könnten aber durchaus den Pokal gewinnen", glaubt der Trainer. Gerade wurde mit einem sehr gemütlichen 2:0 gegen Sassuolo das Viertelfinale erreicht, "noch vier solcher Vorstellungen, dann stehen wir im Finale". Man reibt sich die Augen. Neapel, bis dato der nervöseste Klub der Liga, mit einem Präsidenten, dem Filmproduzenten Aurelio De Laurentiis, der mindestens so explosiv ist wie der Vesuv, ist nach ein paar Monaten mit Ancelotti zum Idyll der Eintracht und Harmonie mutiert. Die Spieler loben unentwegt den Trainer, der Trainer lobt unentwegt die Spieler, und der Präsident lobt alle miteinander, und natürlich auch sich selbst.

Einen Vorstoß von Ancelotti, seinen Vertrag schon jetzt bis 2024 zu verlängern, habe De Laurentiis allerdings vorerst ins Leere laufen lassen, berichtete die Lokalzeitung Il Mattino, nicht ohne anzumerken, dass der Patron "sehr beeindruckt" sei von den Fortschritten des Ancelotti-Filius Davide. Wie schon beim FC Bayern lässt sich Carlo von seinem Sohn assistieren. In Neapel, wo "tengo famiglia" (Ich habe Familie) das schlagende Argument für alle Lebenslagen ist, finden sie das ganz normal, der Präsident selbst hat ja auch seine Familie im Vorstand. Davide Ancelotti leitet immer öfter das Training und gilt bereits als Nachfolgekandidat. Der Papà erkundet derweil in seiner Freizeit die Gegend. Neulich war er in Pompeji und posierte vor dem Amphitheater der vom Vesuv verschütteten Stadt: "In der Geschichte war die Arena immer ein ganz besonderer Platz."

Ein Stachel sitzt indes tief im Fleisch des gemütlichen "Don Carlo". Dass man ihn in München harsch vom Hof jagte, hat er nicht verwunden. Er könne seine Spieler nicht striezen, das sei gegen sein Naturell, erklärte er nun bei einem Auftritt in der Universität Neapel: "Wer das von mir verlangt, der stößt auf Granit." Von den Bayern könne der SSC aber lernen, wie man Geschäfte mache: "Die verkaufen 30 000 Liter Bier pro Heimspiel", erzählte er den staunenden Neapolitanern, die sich vorstellten, wie das schöne Geld für so viel Alkohol in die Klubkasse schwappt. Auch wenn's nicht stimmt, ist es doch gut erfunden - Ancelotti, der Sternekoch unter den Trainern, hatte seine kulinarische Retourkutsche. Süffisant setzte er hinterher: "Ihr wisst ja, in Deutschland LIEBEN sie Bier."

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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