IOC-Präsident Rogge im Interview:"Nichts schockiert mich mehr als die Freiburger Ärzte"

Lesezeit: 12 min

Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, über heikle Peking-Spiele, Münchner Olympia-Schwächen und deutsches Fachdoping.

Thomas Kistner

SZ: Herr Präsident, kennen Sie Jörg Jaksche und Patrik Sinkewitz?

Jacques Rogge: "Wir brauchen unangekündigte Tests in relevanten Zeiträumen bei Athleten, die uns misstrauisch machen, oder deren Resultate verdächtig sind." (Foto: Foto: Reuters)

Rogge: Ich kenne sie, wie jeder Sportinteressierte, als Radfahrer.

SZ: Und sie wurden zu Doping-Kronzeugen. Verdienen sie eine neue Chance? Rogge: Ich finde generell, wenn Leute nicht wirklich schwere Dopingverstöße begehen wie das Organisieren von Dopingnetzwerken, sollten sie eine Chance zur Rehabilitation kriegen. Damit sie zeigen können, dass sie gegen Doping sind und ohne Betrug wettkämpfen wollen.

SZ: Die zwei nimmt aber kein Radrennstall auf, obwohl die Weltantidopingagentur das Strafmaß für Kronzeugen jüngst noch attraktiver gestaltet hat. Ist die Absicht der Wada, das Schweigekartell im Spitzensport mit Insider-Geständnissen aufzubrechen, nicht klar am Scheitern?

Rogge: Sie können nicht die Firmenrennställe anklagen, weil diese aus Reputationsgründen gewisse Fahrer nicht nehmen wollen. Es ist ein Unterschied, ob Athleten in einem Individualsport oder einem Team wie im Radsport tätig sind. Als Leichtathlet oder Tennisspieler können sie zurückkehren, wenn die Strafe abgeleistet ist. Als Radfahrer brauchen sie aber einen Rennstall, der sie anheuert.

SZ: Deutsche Sponsoren ziehen sich zurück. Dabei hätte die Telekom lieber einen geläuterten Jaksche im neuen Team gesehen als gewisse belastete Fahrer, die nur bisher keinen positiven Test haben und weiter so tun, als seien sie sauber, als wüssten sie von nichts. Auch Gerolsteiner steigt zu Saisonende aus.

Rogge: Das ist das klare Zeichen an der Wand: Der Radsport, besonders die Fahrer müssen begreifen, dass es höchste Zeit ist, ihr Verhalten zu ändern. Auch die Leute drumherum müssen das begreifen. Ja, es gibt bereits eine klare Reaktion, auch wenn sie öffentlich kaum Schlagzeilen macht: Für den Radsport ist es sehr schwer, Geldgeber zu finden. Viele Firmen sagen, wir machen da lieber nicht mit. Das ist gar nicht schlecht. Die Betrüger müssen wissen, dass sie ihren eigenen Sport unterminieren.

SZ: Die olympische Untersuchung zu Jan Ullrichs Gold- und Silbermedaillen von Sydney 2000 zieht sich. Ist der Fall verjährt nach den Sydney-Spielen 2008?

Rogge: Nein. Die Justiz arbeitet langsam, davon hängen wir ab. Aber wir haben innerhalb der Acht-Jahres-Frist die Ermittlungen gegen Ullrich begonnen. Eine Verjährung tritt nur ein, hätte sich der Fall acht Jahre gar nicht bewegt.

SZ: Wie beurteilen Sie als Arzt die Affären um die Freiburger Sportmedizin? Gerade die Deutschen führten sich stets als vorbildliche Dopingbekämpfer auf. Dass ihre seit Dekaden als Creme der Sportmedizin geltenden Freiburger Ärzte...

Rogge: ...ich war geschockt, völlig geschockt! Noch keine deutsche, aber andere Zeitungen haben mich schon häufiger gefragt: Was hat Sie am meisten von allem getroffen: War es der Fall Justin Gatlin, war es Floyd Landis, war es Marion Jones? Ich sage immer: Am meisten schockiert hat mich, dass in Freiburg ein derart organisiertes Doping mit der Komplizenschaft von zwei Leuten durchgeführt wurde, die bei einer so renommierten Universität tätig waren...

SZ:...pardon, es geht um mindestens drei dopende Ärzte. Vorläufig.

Rogge: Drei, ja. Ich habe gute Kontakte zu deutschen Universitäten, ich kenne die herausragende Reputation von Freiburg, die zu den besten fünf, sechs in Deutschland gehört. Ich habe keine Zweifel, dass die Universitätsleitung von alldem keine Ahnung hatte und total dagegen gewesen wäre. Dass es einen Puerto-Fall geben kann, wo ein Arzt Blutinfusionen in einem Hinterhofappartement in einer Seitenstraße von Madrid verabreicht - vorstellbar, da trieb das Geld an. Aber zu sehen, was in Freiburg passierte, das hat mich absolut schockiert. So etwas hielten wir immer für ausgeschlossen. Ja, es war möglich im DDR-System, dort wurde es von oben organisiert. Aber das hier: nein. Es erinnerte mich an einen anderen Schock: Dass die russische Kugelstoßerin bei den Spielen 2004 im antiken Olympia gedopt war. Auch das werde ich nie verstehen. Wie kann man an so einem heiligen und geheiligten Ort betrügen?

SZ: Für Geld, für Ruhm, für alles, was zählt im Spitzensport - müssen Sie solche Schocks nicht längst als Realität akzeptieren? Organisierter Betrug über Jahrzehnte in einem Land wie Deutschland. Flächendeckendes Doping im Radsport. Oder Ihr Problem mit den schmutzigen Medaillen von Marion Jones: Der Griechin Ekaterini Thanou können Sie das Sprinter-Gold auch nicht geben nach der Affäre von Athen und allem, was man von ihr weiß. Ist Doping nicht ein deutlich erkennbarer Systemzwang überall im Spitzensport, wo es effektiv wirkt?

Rogge: Kein Zweifel. Wir müssen sagen, es gibt organisierte Systeme in bestimmten Sportarten. Wenn wir Jones sehen, ist der Fall eindeutig Teil der Balco-Affäre. Auch das Puerto-Modell im Radsport zeigt ein organisiertes Betrugsschema. Immer stecken Individuen dahinter, die das System schaffen, die Brunnenvergifter des Sports. Jones und all die anderen haben nicht die wissenschaftliche Kenntnis. Sie brauchen Doktoren.

SZ: Welche Schlüsse ziehen Sie? Die Dopingnetzwerke, die Sie gerade schildern - Balco, Fuentes, aber auch andere - flogen nur zufällig auf, weil Behörden ermittelten. Marion Jones hatte 160 Kontrollen: nie positiv. Jaksche hatte Dutzende Tests: nie positiv. Die geständige Sprint-Weltmeisterin Kelli White sagt, das Einzige, wovor sie und ihre Kollegen niemals Angst hatten, waren Dopingtests. Will der Sport betrogen sein - oder braucht er ein anderes Waffenarsenal?

Rogge: Sehr gute Frage. Zwar machen wir große Anstrengungen, 2500 Tests gab es in Sydney, 4500 werden es in Peking sein, um die 6000 in London 2012. Aber wir müssen ehrlich zugeben, es gibt Schlupflöcher. Wir wissen zum Beispiel, dass Wachstumshormone nicht gefunden werden können. Wir haben den Test, aber nicht den Antikörper dafür. Wir schaffen es hoffentlich bis zu den Spielen in Peking, versprechen kann ich es nicht. Wir wissen auch, dass es für Epo ein Zeitfenster von drei, vier Tagen gibt. Deshalb sagen wir den Verbänden: Macht mehr überraschende Trainingstest. Es braucht Zielkontrollen in Zeiträumen, wenn Doping etwas bringt. Ein Test am Tag vor der Tour oder vor Beginn der Spiele ist nett, aber kaum erfolgreich. Im Januar, wenn die Athleten Krafttraining machen und Muskeln aufbauen, muss auf Epo, Bluttransfusionen, anabole Steroide getestet werden. Wir brauchen unangekündigte Tests in relevanten Zeiträumen bei Athleten, die uns misstrauisch machen, oder deren Resultate verdächtig sind.

SZ: Nur taugt nachweislich die beste Kontrolle nichts, wenn Athleten zu Spezialisten wie Fuentes oder Conte gehen oder Mittel nehmen, wie sie Jan Ullrich in den Puerto-Akten zugeordnet werden - weil es keine Nachweistests dafür gibt.

Rogge: Deshalb müssen wir noch mehr Forschung treiben, neue Methoden finden. Wir brauchen sie auf jeden Fall auch gegen Gen-Doping, wie arbeiten schon daran. Sehr wichtig auch, dass wir mit den Regierungen zusammenarbeiten und versuchen, die Banden aufzuspüren.

SZ: Braucht es nicht striktere Strafgesetze, die auch Athleten treffen können?

Rogge: Unsere Position ist, dass ein Athlet, der etwas in der Apotheke kauft und sich spritzt, keine Gefahr für die Gesellschaft ist und nicht im Gefängnis enden sollte. Besorgt einer aber 20 Schachteln einer verbotenen Substanz und gibt oder verkauft sie anderen Athleten, gehört er ins Gefängnis. Das ist ein Dealer.

SZ: Also nicht mehr wie früher das kategorische Nein zu jeder Strafbarkeit für dopende Athleten? Jetzt sagt das IOC Ja - unter bestimmten Umständen?

Rogge: Die Tür sollte offen sein für Ermittlungen in alle Richtungen. Also gegen Athleten, die Trainer, Masseure, Physiotherapeuten und wen sonst.

SZ: Für Wirbel sorgte dieses Jahr auch ein anderer Geschäftsbereich: Die Kür Sotschis zum Winterspielort 2014. Ein Kandidat, der nur eine Computeranimation vorlegte. Dazu viel Geld und Macht, Gazprom und Putin. Ist das die neue Art, Spiele zu erwerben: sie zu ersteigern?

Rogge: Sotschi hat viele Sportstätten, die nur als Versprechen existieren. Aber es ist nicht das erste Mal, dass das IOC Spiele auf virtueller Basis vergibt. Wir taten es schon für Sydney - erinnern Sie sich an Homebush Bay? Eine verwahrloste Gegend. Aber wir trauten den Australiern, sie machten phantastische Spiele. Dann London. Auch hier gab es Zweifel, aber wir trauen es den britischen Behörden zu. Insofern ist Sotschis Kür nicht ungewöhnlich. Aber solche Bewerbungen haben nur eine Chance, wenn sie zusätzliche Anreize bieten, etwas Spezielles, das das IOC anzieht. Wie in England, wo das brachliegende East London umgewandelt wird durch den Olympiapark. Sotschi bietet die einzigartige Chance auf ein neues Wintersportzentrum außerhalb von Alpen und Rocky Mountains, die ja mit Japan die großen Schauplätze sind. Das sprach die IOC-Mitglieder an, sie vertrauen dem neuen Russland.

SZ: Und den Milliarden von Gazprom. Der Konzern soll in der Bewerbungsphase sogar über Staatschef Putin direkt versucht haben, sich als Topsponsor quer ins laufende Programm einzukaufen für das Dreifache der üblichen Summe?

Rogge: Stimmt, wir hatten so einen Vorschlag. Aber ohne Summe. Der Vorschlag kam von Putin. Ich habe höflich abgelehnt und erklärt, wir können keinen neuen Topsponsor akzeptieren, der von jemandem vorgeschlagen wird, der selbst in der Bewerbung involviert ist.

SZ: Klappt das Geschäft später mal?

Rogge: Ich schließe eine Partnerschaft mit Gazprom in der Zukunft nicht aus.

SZ: Auch Peking gab viele Versprechungen ab, die offenbar nicht gehalten werden. Jetzt bat Sie sogar ein IOC-Mitglied, der Ungar Pal Schmitt als EU-Parlamentarier, endlich ein klares Wort zur Menschenrechtssituation in China abzugeben. Werden Sie das tun?

Rogge: Wir haben uns gegenüber den chinesischen Autoritäten extrem klar positioniert. Als ich das erste Mal in China war, sagte ich deutlich, wir wünschen, dass ihr die Menschenrechte vorantreibt. Ich tat exakt dasselbe wie Bush und Angela Merkel, nicht weniger. Das IOC steht zu seinen Prinzipien, kein Zweifel. Aber wir sind kein politisches Organ. Es ist nicht Aufgabe des IOC, in Fragen wie Taiwan oder Tibet einzugreifen. Worum wir China baten im Veranstaltervertrag, ist die Freiheit der Sportberichterstattung. Und sie gingen weiter, als wir gefordert haben: Sie machten ein Gesetz zur Freiheit der Sport- und auch der politischen Berichterstattung. Ungewöhnlich für China. Es ist noch zu bürokratisch, wir haben klar gesagt, ihr müsst es vereinfachen, und sie arbeiten daran.

SZ: Aber Menschenrechtler mit China-Kenntnissen halten all das für unzureichend. IOC-Kollege Schmitt verweist sogar auf die Ächtung des Apartheidsystems in Südafrika durch das IOC 1964.

Rogge: Das IOC hat sich damals gegen die Apartheid gestellt, richtig. Aber es folgte dabei einer UN-Resolution, die einen Sportboykott forderte. Heute gibt es keine wie immer geartete Resolution gegen China. Wir erwarten auch keine.

SZ: Es gab Boykottaufrufe im US-Kongress. Und Organisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International beklagen, die Situation werde mit Näherrücken der Spiele immer schlimmer.

Rogge: Und wir sagen, die Spiele bringen Fortschritt für die soziale Situation nach China. Über die Presserechte haben wir gesprochen. Dazu gibt es eine Reihe weiterer Änderungen, die vielleicht auf die Spiele zurückzuführen sind. China kämpft gegen Kinderarbeit, nach unserer Beschwerde zu dem Thema haben sie innerhalb einer Woche die illegalen Betriebe geschlossen. Sie haben ein neues Rechtssystem: Mehr Rechte für die Menschen, Schutz des Eigentums, Einspruchsrechte und so fort. Alles willkommene Änderungen. Perfekt? Wohl nicht. Sollen sie es besser machen? Ja. Es ist aber die Aufgabe Amnestys, immer zu sagen, das ist nicht genug. Es ist die Aufgabe von Human Rights Watch, immer weiter Verbesserungen zu fordern. Ich respektiere das. An ihrer Stelle würde ich auch sagen: Ich will das Maximum.

SZ: Aber die Menschenrechtler fordern nicht das Maximum, sondern dass sich die Verhältnisse nicht verschlimmern. Und sie legen Zahlen vor. China ist Weltrekordhalter in Sachen Todesstrafe. Für 2006 wird von bis zu 8000 Hinrichtungen ausgegangen. Auch wird trotz neuer Gesetze etwa das Programm "Umerziehung durch Arbeit" praktiziert, das es der Polizei erlaubt, Leute ohne Prozess zu verhaften und in Arbeitslager zu bringen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen klagt Sie sogar an und schrieb: "Ihr Schweigen hat leider alle diese Missstände ermöglicht." Beunruhigend?

Rogge: Ich glaube trotzdem, die Spiele werden China verändern. Nicht perfekt machen, aber in die richtige Richtung bewegen. Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Ich sehe es halbvoll. Die Organisationen sehen es halbleer. Das ist ihre Aufgabe, und der Unterschied zwischen uns.

SZ: Gibt es eine Chance auf glaubwürdige Dopingtests bei den Chinesen während ihrer Olympiavorbereitungen?

Rogge: Es gab eine dunkle Periode im chinesischen Sport, in den neunziger Jahren. Wir glauben, sie haben daraus gelernt. Sie wissen, Positivfälle ihrer Athleten würden die Spiele kaputtmachen. Ich versichere: Es gibt kein organisiertes Doping in China. Weil sie clever genug sind zu wissen, dass es desaströs wäre. Die Wada sagt uns, China macht viele Tests, hat die Zahl der Labore vervielfacht und sie auf hohem Niveau eingerichtet.

SZ: Es gibt vom Sportministerium den Plan 119, der den Gewinn aller Medaillen in den Kernsportarten Leichtathletik, Schwimmen, Turnen anstrebt. Ein verräterischer Ehrgeiz?

Rogge: Das könnte man aber auch von Deutschland oder den USA sagen, die immer die Medaillenspiegel anführen.

SZ: Richtig. Aber bei denen wissen wir, was getrieben wurde, und ahnen, was weiter getrieben wird. Deutschland fährt sogar mit einem neuen olympischen Chefarzt nach Peking.

Rogge: Trotzdem zählt es zu den führenden Ländern. Die Amerikaner gewinnen immer 90 bis 100 Medaillen. Folgen die Russen mit 70 bis 75, dann Deutschland, Australien, Italien mit 50, 60 Medaillen. In Athen hatten die Chinesen 87 Medaillen. In China werden es wohl über 90. Ich sehe da nichts Falsches dran.

SZ: China gewinnt in der Medaillenwertung?

Rogge: Ich denke, sie müssen im Schwimmen und der Leichtathletik noch viel zulegen, um die Amerikaner zu schlagen. Aber ich erwarte sie in London 2012 bereits als Nummer eins in der Welt.

SZ: Wichtige Frage zur Geographie: Ist Sotschi eine europäische Stadt?

Rogge: Ja.

SZ: Dann wirbt Deutschland mit München als zweiter Europa-Kandidat in Folge um die Winterspiele 2018?

Rogge: Ja.

SZ: Im Bewerberland will man Sotschi nach Asien auslagern. Seit vier Jahrzehnten wechseln die Winterspiele zwischen den Kontinenten - sieht man von Albertville 92/Lillehammer94 ab, dem Wechsel auf den Zwei-Jahres-Rhythmus der Spiele. Fänden Sie es charmant, wenn nun eine Stadt nach den Sommer- erstmals auch die Winterspiele bekäme?

Rogge: Ich hätte damit kein Problem. Ich denke, die Münchner Bewerbung wird sehr stark sein.

SZ: Das südkoreanische Pyeongchang scheiterte schon zwei Mal knapp, will erneut antreten. Deutschland sagt: Wir wollen gleich beim ersten Mal gewinnen. Wäre es klüger, langen Atem zu zeigen und mit zwei Anläufen zu rechnen?

Rogge: Falun - oder Östersund? - bewarb sich sechsmal, ohne Erfolg. Dann kam Lillehammer, eine Haustür weiter, und gewann sofort. Das ist Wettbewerb.

SZ: Ist bei der Münchner 2018-Bewerbung die Gesamtentfernung von den Bob-/Rodelstätten Königssee bis zu den Loipen in Garmisch mit 200 Kilometern Distanz als kompakt zu bezeichnen?

Rogge: Kann ich nicht kommentieren, weil ich die Bewerberakten nicht kenne. Ich habe davon gehört. Ich weiß aber nicht, wie sie es genau machen wollen.

SZ: Sie können diese Distanzen ja leicht mit den Entfernungen vergleichen, die sonst üblich sind bei Winterspielen.

Rogge: Wie gesagt, ich kann das ohne genaue Kenntnis nicht kommentieren. Generell ist es aber schon so, dass die Distanzen bei Winterspielen größer sind als im Sommer. Es gibt eine Olympiastadt, wo meist die Eislaufbewerbe stattfinden. Und dann gibt es, wegen der Höhenunterschiede, auch Distanzen zwischen den Alpinen und den Nordischen Sportstätten.

SZ: Im Februar scheidet altersbedingt Walther Tröger aus, das zweite deutsche IOC-Mitglied neben Vizepräsident Thomas Bach. Ist der deutsche Sport bald unterrepräsentiert im IOC?

Rogge: Es gibt zwei Möglichkeiten für neue deutsche Mitglieder: Der Präsident eines Weltverbandes oder ein Athlet könnten ins IOC rücken. Versprochen ist da aber nichts. Es warten viele andere Länder, auch solche, die nicht mal ein Mitglied haben. Die Tradition, ein ausscheidendes Mitglied durch einen anderen Landesvertreter zu ersetzen, ist per Regel beendet worden. Auch müssen wir darauf achten, dass das IOC 70 bis 75 Prozent der Nationalitäten vereinigt.

SZ: Wird es nach Ihrer Amtszeit einen deutschen IOC-Präsidenten geben?

Rogge: Das müssen sie die 115 IOC-Mitglieder fragen. Aber natürlich ist das eine Möglichkeit.

SZ: Dann darf sich Thomas Bach Hoffnungen spätestens auf 2013 machen, wenn Sie das Amt abgeben müssen?

Rogge: Sie müssen ihn fragen, ob er sich bewerben wird.

SZ: Er hält sich bedeckt. Er bestreitet es. Doch sehr viele im IOC erwarten es.

Rogge: Wenn ich ersetzt werde, hätte ein Mann von Thomas' Kaliber sicher alle Qualitäten eines guten Präsidenten. Und es gibt andere Mitglieder im IOC, die das Amt ausüben können. Als ich gewählt wurde, gab es fünf Kandidaten. Ich will nicht sagen, dass es wieder fünf sein werden, wenn ich aufhöre. Aber es werden genug sein. Das ist auch normal in einer Gruppe von 115 Leuten: Sie haben a) fähige Leute und b) Leute mit der Ambition, das IOC zu führen. Aber Thomas wäre sicher ein starker Kandidat.

SZ: Wäre auch Richard Carrion, Finanzchef des IOC, ein starker Mann?

Rogge: Es gibt viele gute Kandidaten. Aber keiner sagt bisher, dass er oder sie mein Nachfolger werden wolle. Trotzdem bin ich glücklich, dass ich mich im IOC um eines nicht kümmern muss: um meinen Nachfolger.

SZ: Wir reden jetzt aber nur über 2013, wenn wir von Ihrer Nachfolge reden? Und nicht bereits über das Jahr 2009?

Rogge: Das entscheide ich nach den Peking-Spielen. Dann mache ich eine Auswertung, ob ich mein letztes Mandat noch beanspruche oder nicht.

SZ: Wovon wird das abhängen?

Rogge: Von persönlichen Fragen, die ich nicht kommentieren will. Aber wie könnte ich sagen, ich kandidiere automatisch für eine zweite Periode? Hier geht es doch nicht um das Festkomitee für die nächste Samstagnacht-Party. Dies ist eine gewaltige, faszinierende Aufgabe. Ein Privileg. Es hat gute und schlechte Seiten. Ich will eine Bewertung wie 2001 machen, als ich erstmals antrat. Ich hatte viele Diskussionen mit meiner Familie. Die erste Frage an meine Frau war, würdest Du mich nach Lausanne begleiten? Sie sagte Ja. Tatsächlich hat es ja auch bedeutet, dass wir unsere Jobs aufgaben. Wir konnten uns das leisten, trotzdem war und ist es eine schwere Entscheidung, insbesondere für meine Frau, Gent zu verlassen, wo sie glücklich mit ihren Kindern und ihrer Familie lebte. Wir haben zwei Kinder, ich sehe sie nicht oft.

SZ: Klingt, als wären Sie da noch sehr unentschlossen. Es steht fifty-fifty?

Rogge: Ich sage nicht fifty-fifty. Ich sage, bevor man ein zweites Mal antritt, musst du überlegen, ob es klug ist und ob du es noch einmal machen willst. Das werde ich erst nach Peking entscheiden.

© SZ vom 29.12.2007/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: