Interview:"Wir werden Jürgen nicht an die Hand nehmen können"

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Klaus Allofs, Sportdirektor des SV Werder Bremen, über das Verhältnis zwischen Bundestrainer Jürgen Klinsmann und der Liga, die Trainer der Bundesligisten und amerikanische Fitnessmethoden.

Jörg Marwedel

SZ: Herr Allofs, ob Assauer, Beckenbauer, Daum oder "Bild" - Fußball-Deutschland scheint in Aufruhr zu sein nach dem 1:2 der Nationalelf in der Türkei. Haben Sie auch Ratschläge zur Behebung der Krise?

Jürgen Klinsmann steht in der öffentlichen Kritik. Werders Sportdirektor Klaus Allofs hat aber weiter Hoffnung für das deutsche Team. (Foto: Foto: DPA)

Allofs: Also, ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, Klaus Allofs erklärt, wie die Nationalelf funktioniert. Es melden sich ja schon alle Leute zu Wort.

SZ: Was stört Sie daran?

Allofs: Wir sind so was von aufgeregt und machen den Fehler, nach jedem Länderspiel eine Grundsatzdiskussion zu führen. Nach dem Confed-Cup war alles wunderbar, der Beginn eines neuen Zeitalters. Jetzt heißt es: Wir sind seit fünf Jahren nicht weitergekommen. Fußball ist aber keine Sache, wo Stein auf Stein kommt. Man muss auf immer neue Situationen reagieren.

SZ: Die neue Situation ist, dass die Nationalelf nach den euphorischen Auftritten beim Confed-Cup im Juni plötzlich wie eine Ansammlung aus vielen jungen, überforderten und mutlosen Einzelspielern wirkt, für die der WM-Titel eine Utopie bleibt. Und das acht Monate vor dem Turnier im eigenen Land.

Allofs: Ja, die Nervosität wächst von Spiel zu Spiel. Und je stärker die Kritik wird, desto schlimmer wird es für die Jungen. Wenn es am Mittwoch gegen China in den ersten zwanzig Minuten nicht läuft, werden die Leute unzufrieden reagieren - das wäre eine Katastrophe. Die Bedeutung, die einem normalen Länderspiel beigemessen wird, ist viel zu groß. Und Aktionismus hilft auch nicht weiter.

SZ: Teilen Sie denn die Kritik an den Trainingsmethoden von Bundestrainer Jürgen Klinsmann? Einige Bundesligatrainer haben sich beschwert, ihre Spieler kämen zu kaputt von der Nationalelf zurück.

Jürgen Klinsmann gibt die Richtung vor: Doch wohin führt sie? (Foto: Foto: DPA)

Allofs: Die Frage, ob zuviel trainiert wird, lenkt von anderen Problemen ab. Von unseren Spielern habe ich solche Klagen nicht gehört. Wenn allerdings ein Spieler nicht den Mut hat zu sagen, das ist mir zuviel, weil er Angst hat, seinen Platz in der Mannschaft zu verlieren, dann muss das sein Klubtrainer tun.

SZ: Mit der Kommunikation zwischen DFB-Stab und Liga hapert es offenbar. Oder wie erklären Sie die Dissonanzen?

Allofs: Jürgen Klinsmann hat die Aufgabe, seine Pläne zu vermitteln. Neulich in Bremen hat er mit 14 von 18 Bundesligatrainern zusammengesessen. Wenn die auf so einer Sitzung nichts monieren, ist das für mich Zustimmung. Dann sollten sie öffentlich den Mund halten.

SZ: Franz Beckenbauer fordert dringend eine Aussprache aller Beteiligten.

Allofs: Einen Gipfel machen und ein Ergebnis verkünden bringt nichts. Nur ein ständiger Austausch hilft. Man muss die Leute informieren und mitnehmen.

SZ: Auch Thomas Schaaf, Ihr Trainer in Bremen, scheint nicht restlos überzeugt zu sein von den Methoden der US-Fitnesstrainer, die Klinsmann zur Nationalelf geholt hat.

Allofs: Natürlich erwarte ich von meinem Trainer, dass er immer die Augen offen hält. Das ist Pflicht. Aber jeder hat seine Art zu arbeiten, und zu einer vernünftigen Trainingsarbeit gehört auch Kontinuität.

SZ: Dann müssten die Vereinstrainer ja die Elemente in ihr Programm einbauen, die der US-Fitnesstrainer Mark Verstegen für jeden Nationalspieler in einem Handbuch zusammengestellt hat. Hat Thomas Schaaf sie übernommen?

Allofs: Nein, das läuft individuell.

SZ: Wie könnte denn die Hilfe aussehen, die Klinsmann nach Beckenbauers Wunsch so dringend annehmen sollte?

Allofs: Wir werden Jürgen nicht an die Hand nehmen können. Und es bringt auch nichts, wenn die 18 Bundesligatrainer ihm vor jedem Spiel Zettel mit ihrer Aufstellung zukommen lassen. Nein, er muss Vorgaben so geben, dass sich alle daran halten. Und wenn Jürgen nicht alle überzeugt, gilt: Am Ende hat nur der Recht, der Erfolg hat.

SZ: Ihr Schalker Kollege Rudi Assauer kritisierte zum wiederholten Mal, dass Klinsmann noch immer in Kalifornien wohnt. Sie auch?

Allofs: Natürlich werden jetzt viele Gründe zusammengetragen, weshalb es vielleicht im Moment nicht läuft. Der Wohnort ist ein Punkt von vielen, über den man sprechen sollte, aber sicher nicht der entscheidende. Allerdings würde ich auch darauf drängen, dass der für die Mannschaft Verantwortliche vor Ort ist. Er muss fühlen und sehen, was los ist.

SZ: Hat ein Routinier wie Christian Wörns denn Recht, wenn er gegen seine Ausbootung protestiert?

Allofs: Wenn die Alten nicht besser spielen als die Jungen, kann man natürlich sagen: Dann lasse ich die Jungen spielen, die haben wenigstens Zukunft. Andererseits führt auch in der Tierwelt nicht unbedingt das stärkste Tier die Herde an. Wörns oder Hamann sind vielleicht nicht fehlerfrei, aber wenn sie solide sind, können sie anderen mit ihrer Präsenz eventuell Sicherheit geben.

SZ: Auch Ihre Bremer Spieler Patrick Owomoyela, Torsten Frings und Tim Borowski wirkten zuletzt ohne Leitfiguren neben sich restlos überfordert.

Allofs: Nehmen wir Owomoyela. Patrick hat Fähigkeiten, aber auf internationaler Bühne noch viele Dinge zu lernen. So ein Lernprozess ist natürlich viel schmerzvoller, wenn man in einer Viererkette nicht rübergucken kann, um sich am Verhalten der Nebenleute zu orientieren. Wer soll ihm helfen? Sinkiewicz? Mertesacker? Für mich ist das keine Überraschung.

SZ: Was ist Borowskis Problem?

Allofs: Vor dem Spiel gegen Südafrika habe ich immer gehört, er sei noch nicht so weit. Jetzt soll er als Ersatz für Michael Ballack auf einmal der Garant sein, dass guter Fußball gespielt wird. Das kann man von Tim noch nicht verlangen.

SZ: Mit anderen Worten: Diese Mannschaft hat bei der WM keine Chance?

Allofs: Ich rate zu mehr Gelassenheit. Der Confed-Cup hat gezeigt, dass noch ganz andere Dinge zählen als Erfahrung. Da haben wir gesehen, was zum Beispiel Begeisterung ausmachen kann und dass diese Mannschaft vernünftig Fußball spielen kann. Auch die Griechen hatten ja, als sie im vergangenen Jahr Europameister wurden, keine Klasse-Mannschaft. Sie haben vom Mannschaftsgeist, vom Zusammenhalt gelebt. Sie hatten Spieler dabei, die in ihren Vereinen nicht gespielt haben und sich besonders beweisen wollten. Auch solche Aspekte spielen eine Rolle. Deshalb habe ich weiter Hoffnung.

(SZ vom 11.10.2005)

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