Interview mit Thomas Doll:"Dahin, wo die Action ist"

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Dortmunds Trainer Thomas Doll redet über Abwärtsspiralen, sein Kumpel-Image und die Weltuntergangs-Stimmung im Abstiegskampf.

Freddie Röckenhaus

SZ: Herr Doll, zu Beginn der Saison haben Sie mit dem HSV in der Champions League gespielt, Mitte der Saison sind Sie dort wegen Erfolglosigkeit entlassen worden, jetzt sollen Sie Dortmund vor dem Abstieg retten. Hilft Ihre Nähe zum Buddhismus bei all dem Tohuwabohu?

Thomas Doll soll neuen Wind dem BVB neuen Schwung bringen (Foto: Foto: dpa)

Doll: Erstmal: Ich bin kein Buddhist. Aber ich lese viel darüber und finde da interessante Dinge. Gelassenheit, ohne dass man einschläft, bei sich sein, klare Gedanken haben. Im Buddhismus sind viele Dinge für mich drin.

SZ: Und? Hilft es Ihnen?

Doll: Ach, mir helfen natürlich nur Punkte. Ich weiß, dass wir etwas ändern können, aber letztlich helfen nur Punkte.

SZ: Was können Sie ändern, sieben Spieltage vor Schluss? Mit einer Elf, die auf den Abstiegskampf nicht vorbereitet ist und von der Sportdirektor Zorc sagt, sie habe eine Scheiß-Mentalität.

Doll: Man muss eine andere Mentalität reinkriegen, man muss die Gedankengänge beeinflussen. Wer es geschafft hat, Profisportler zu werden, muss ja Durchsetzungsvermögen haben, sonst wäre er nie so weit gekommen. Aber Angst hemmt, und die meisten waren mit dieser Lage des Abstiegskampfs noch nie konfrontiert. Man hat dann zwar den Willen, aber nicht die Power und nicht die Ausstrahlung. Glauben Sie mir: Ein Gegner spürt das. Er spürt die Angst vorm Versagen beim Gegenspieler und nutzt das.

SZ: Das ist die psychologische Seite. Was aber sagen Sie ihren BVB-Spielern, was sie auf dem Platz ändern können?

Doll: Dass man zum Beispiel nicht auf seiner Position parken darf. Es muss ja nicht jeder 30 Meter in vier Sekunden rennen, aber man kann sich zwingen, in jede Einzelsituation aktiv hineinzugehen, zwei, drei Schritte vorwärts, dahin, wo die Action ist. Das hilft wahnsinnig. Man muss nur die Sperre einmal entriegeln.

SZ: Hat Sie die Schwäche ihrer Spieler überrascht?

Doll: Nein, ich habe alles schon so eingeschätzt. Und die Spieler wissen auch, dass sie zu wenig abgeliefert haben. Vereine wie Aachen, Mainz oder Bielefeld suchen ihre Spieler von vornherein danach aus, dass sie sich jeden Tag gegen den Abstieg stemmen. Das können Sie in Hamburg oder Dortmund nicht machen, weil Sie 80000 Zuschauern in unserem Stadion nicht nur Abstiegskampf anbieten können, die wollen auch schönen Fußball. Trotzdem werden wir bei unseren Führungsspielern jetzt mehr rauskitzeln.

SZ: Haben Sie denn Führungsspieler? Doll: Oh ja, die gibt es. Sebastian Kehl hat im WM-Halbfinale gegen Italien gestanden, unsere Innenverteidigung mit Metzelder und Wörns hat zusammen über 100 Länderspiele, Dede und Frei werden jetzt auch wieder mehr Verantwortung übernehmen, Weidenfeller genauso. Unsere jüngeren Spieler und andere, die nicht so lange dabei sind, brauchen Leute, die laut den Ton angeben.

SZ: Kommen Sie sich manchmal vor wie im falschen Film: raus aus dem Abstiegskampf mit dem HSV, dann ein paar Wochen Pause und jetzt ist alles noch schlimmer mit Borussia Dortmund?

Doll: Beim HSV hatten wir eine andere Situation. Wir hatten eine unglaubliche Verletztenserie, so dass man schon nicht mehr glauben konnte, dass es mit rechten Dingen zugeht. Van der Vaart ist ein Ausnahmespieler, mit dem alles steht und fällt, den kann man nicht ersetzen. Und Sie wissen, dass wir vor der Saison wichtige Spieler abgeben mussten, Bouhlarouz, van Buyten, Barbarez.

SZ: War Ihre Mannschaft in Hamburg stärker als die in Dortmund?

Doll: Das werde ich nicht beantworten.

SZ: Sie haben das Image des netten, kumpelhaften Trainers. Als man Sie in Hamburg entließ, hatten Sie regelrecht Verständnis für den Klub. Kann man sagen, dass Sie erst jetzt im Zynismus des Trainerjobs angekommen sind?

Doll: Freiwillig bin ich in Hamburg nicht gegangen. Ich bin auch sicher, dass ich mit dem HSV nicht abgestiegen wäre. Ich bin aber auch kein kleines Kind, dem man jetzt sein Spielzeug weggenommen hat. In Hamburg sind viele Spieler wegen des langfristigen Konzepts mit Doll gekommen, die sonst vielleicht für ein bisschen mehr Geld woanders gespielt hätten. Ja - ich musste zwei, drei Wochen durchpusten nach der Beurlaubung. Ich werde auch manches in Dortmund anders machen. Aber meine Power und meine Euphorie, die habe ich weiterhin. Manche Dinge ändere ich sicher nicht.

SZ: Sie haben - ungewöhnlich mitten in der Saison - am Montag nach der Niederlage in Bielefeld einen Laktattest machen lassen. Das deutet auf den Anfangsverdacht hin, dass Ihre Elf nicht fit ist.

Doll: Ich wollte mir ein Bild vom Konditionszustand machen, ja. Ich möchte sehen, wie der ein oder andere individuell drauf ist. Beim Test sind viele an ihre Schmerzgrenze gegangen. Ich sage jedenfalls mal: Wir haben beim BVB kein Konditionsproblem. Wir müssen an der Spielfähigkeit arbeiten und an psychischen Dingen. Und wir müssen so schnell wie möglich die Kuh vom Eis kriegen.

SZ: Sie haben den Psychologen Jürgen Lohr aus Hamburg mitgebracht.

Doll: Ja, das ist ein Angebot an die Spieler. Ich hätte es als Spieler sehr zu schätzen gewusst, die Möglichkeit zu Gesprächen zu haben, egal ob ich private Sorgen habe, Verletzungen oder Formkrisen. Niemand muss das in Anspruch nehmen. Und es ist auch nicht so, dass sich da jemand auf die Couch legt. Aber wenn einer zum Beispiel als Stürmer 20 Spiele kein Tor geschossen hat, dann kann er solche Gespräche vielleicht brauchen.

SZ: Wie entstehen eigentlich Auf- und Abwärtstrends? Der HSV gewinnt unter dem neuen Trainer wieder, Mainz sogar unter demselben Trainer, der SC Freiburg rollt nach miserabler Hinrunde die zweite Liga auf, obwohl kein neuer Spieler dazukam und der Trainer derselbe ist. Und der BVB steckt umgekehrt jetzt im Schlamassel und hat zu Beginn der Rückrunde nie damit gerechnet.

Doll: Wie gesagt: Verletzungen oder Umbesetzungen tragen natürlich dazu bei. Alles andere ist eine Frage des Kopfes. Nehmen Sie Freiburg: Von denen hat vor der Saison jeder erwartet, dass sie aufsteigen, weil sie wunderschön spielen. Dann vergeigen sie drei, vier Spiele sehr knapp und unglücklich. Das Selbstvertrauen schwindet, die Spirale nach unten beginnt, schließlich wird der Trainer in Frage gestellt. Und als alle Erwartungen weg sind und die Trainerablösung beschlossene Sache, da spielen alle befreit auf, nach dem Motto: Es geht ja um nichts mehr, wir spielen jetzt einfach die Saison zu Ende. Mit dem bekannten Ergebnis. Und wenn es erstmal richtig rollt, setzt die Euphorie auch wieder ein. Bei uns geht es auch darum, Rucksäcke abzuwerfen. Einfach nur Fußball spielen.

SZ: Die Begeisterung in Dortmund ist allerdings gedämpft. Es gibt viele BVB-Anhänger, die mit dem Abstieg rechnen.

Doll: Im Moment interessiert mich nur, was die Mannschaft sagt. Es ist unglaublich, wer hier alles reinredet, wer hier alles was gehört hat, was der oder der Spieler oder Verantwortliche angeblich irgendwem gesagt hat. Was um diesen Verein herum gesabbelt wird, ist extrem. Das hemmt natürlich, wenn um dich herum auf einmal Weltuntergangsstimmung zu spüren ist. Und es gibt hier manchmal auf die Mütze, dass es nicht mehr akzeptabel ist. Wenn ein Spieler, weil er zweimal einen falschen Einwurf macht, als ,,doof'' oder ,,Depp'' bezeichnet wird (Philipp Degen nach dem Spiel in Bielefeld, Anm. d. Red.), geht mir das zu weit. Nein, wir sind nicht so schlecht. Wir stehen in der Viererkette jetzt schon wieder sehr gut, wir haben eine Ordnung drin. Jetzt arbeiten wir an der Spieleröffnung und am Toreschießen.

SZ: Zuletzt haben Sie die beiden eingefleischten Dortmunder Kringe und Ricken suspendiert. Kringe ist inzwischen schon wieder begnadigt. Gehören Suspendierungen zum Konzept, das Image des weichen Trainers abzustreifen?

Doll: Suspendierungen sind kein Konzept. Es geht hier gar nicht um mich. Manches ist mir hier beim BVB allerdings viel zu ruhig. Ich bin groß geworden in einem Sport, in dem soziales Verhalten und Respekt eine sehr große Rolle spielen. Wenn man zusammen den Rasen umpflügt und die Fetzen fliegen, dann muss man auch aushalten, dass man mal eine Woche sauer aufeinander ist. Man muss sich auch mal anschnauzen können. Spieler, mit denen ich gearbeitet habe, werden Ihnen übrigens niemals sagen, dass ich ein Kumpeltyp bin. Aber ich sage ihnen, was ich bin: ein Gerechtigkeitsfanatiker.

SZ: Jeder weiß, dass der HSV Ihr Lieblingsklub ist. Welche Gefühle haben Sie für Borussia Dortmund?

Doll: Ich möchte sehr lange hier arbeiten. Gerne zehn Jahre. So etwas wie die Begeisterung der Leute hier für ihren Verein gibt es sonst wohl nirgendwo. Das ist etwas so Einmaliges, dass man eine Gänsehaut hat, wenn man in dieses Stadion kommt. Und ich sage ihnen eines: Ich weiß hundertprozentig, dass ich mit dieser Mannschaft und diesem Verein die Klasse halten werde.

© SZ vom 7. April 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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