Interview:"Ich bin ein großer Freund des Verdienstes"

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Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern, über Fernsehmillionen, die Sportschau und über maßvolle Kleine.

Interview: Klaus Hoeltzenbein und Philipp Selldorf

SZ: Herr Rummenigge, der FC Bayern ist wieder Meister, das Fest in vollem Gange, schon hört die Öffentlichkeit wieder vom Streit ums Geld. Sie drohen: Die ARD-Sportschau, erste Informationsquelle des Fanvolks, reanimiert im Jahre 2003, soll wieder sterben.

"Ich habe nichts gegen die ARD, ich habe nur was gegen diesen unfairen Preis": Karl-Heinz Rummenigge. (Foto: Foto: dpa)

Rummenigge: Das ist nur eine Option. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Sportschau bleibt, wenn sie bereit ist, ein Wesentliches mehr für den Fußball zu zahlen. Die ARD hat 2003 für einen Dumpingpreis die Bundesligarechte für das Free-TV erworben. 60 Millionen pro Saison - das ist ein Geiz-ist-geil-Schnäppchenpreis...

SZ: ...mit dem der Bundesliga damals aus der Klemme geholfen wurde...

Rummenigge: ... mit dem sie die Sportschau reanimiert hat. Aber jetzt hat sich der Markt dramatisch geändert. Zum Glück zu Gunsten des Fußballs, nicht zu Gunsten der TV-Sender. 2003 stand die letzte Verhandlungsrunde noch unter dem Eindruck der Kirch-Krise.

Damals war das in etwa so, als würde hier unterm Fenster einer mit dem Ferrari vorfahren und hoch rufen: Ich kann Ihnen den jetzt für zweieinhalb Tausend Euro verkaufen! Und dann schmeiß ich ihm aus dem Fenster einen Scheck runter und sag': Schmeiß mal den Schlüssel hoch! So kommt mir das heute vor.

SZ: Und jetzt wird der Ferrari wieder teurer?

Rummenigge: Ich sehe dieses Spiel mit einem offenen Ausgang. Wir alle sind im Augenblick mit der Sportschau gut bedient. Die Quote stimmt, es ist eine gute, seriöse Berichterstattung.

Die ARD hat die Chance, die Sportschau aufrecht zu erhalten, wenn sie bereit ist, ihre Schatztruhe, die sie unzweifelhaft besitzt, zu öffnen und für die Bundesliga ein Wesentliches mehr bezahlt. Wenn sie das aus politischen Gründen aber nicht kann und nicht will, dann trägt die ARD dafür die Verantwortung, nicht der Fußball.

SZ: Ab Herbst wird verhandelt, der Termin ist günstig: In der Euphorie vor der WM soll abgeschlossen werden.

Rummenigge: Ich führe diese Diskussion relativ leidenschaftslos: Woher die 500 Millionen für die Bundesliga-Rechte (bisher 300 Millionen; die Red.) im Endeffekt kommen, ist mir eigentlich völlig egal. Entscheidend ist, dass wir sie erreichen.

Da kann eine Bewegung in der Öffentlichkeit stattfinden, wie sie will, das muss unpopulistisch verhandelt werden. Wenn die Sportschau abgeschafft wird, wird es einen Aufschrei der Politik geben. Da wird sich jeder melden, und zwar ungefragt. Die Dinge sind nicht in Stein gemeißelt wie die zehn Gebote. Ich habe nichts gegen die ARD, ich habe nur was gegen diesen unfairen Preis.

SZ: Sie wollen eine nicht-populistische Debatte. Andererseits steht diese im gesellschaftlichen Kontext, der derzeit bestimmt wird durch Schlagworte: Müntefering, Heuschrecken, Kapitalismus.

Rummenigge: Dazu nur eines: Ich habe gerade ein wunderbares Fax bekommen, vom SC Freiburg. Da schreibt der Herr Finke (Trainer des Bundesliga-Absteigers, die Red.), er freue sich, dass der zweite schuldenfreie Verein in Deutschland Deutscher Meister geworden ist. Und gratuliert. Damit ist doch alles gesagt.

Es geht mir nur um die Wettbewerbsfähigkeit. Ich bin ein überzeugter Freund des freien Marktes. Aber wir haben unsere Situation hier doch gerade mal wieder vor Augen geführt bekommen mit dem Robert Kovac. Wir haben ihm ein mehr als sehr ordentliches Angebot gemacht. Trotzdem geht er. Angeblich zu Juventus Turin.

Das ist unsere fehlende Wettbewerbsfähigkeit: Dass schon der Marktführer Bayern München einen solchen Spieler nicht halten kann, und zwar exklusiv aus finanziellen Gründen.

SZ: Aber von Ihnen stammt die Aussage: ,Einen Ronaldo, einen Ronaldinho, die können wir gar nicht verpflichten'.

Rummenigge: Das würde doch hier zu einem Amoklauf führen. In dieser Neidgesellschaft kannst du das doch gar keinem Spieler zumuten. Aber wie lange können wir die Lucios und Makaays noch beim FC Bayern halten? Ich glaube, wir haben eine attraktive Mannschaft. Die wollen wir auch behalten. Aber was glauben Sie, was uns bei Michael Ballack bald für Diskussionen erwarten?

SZ: Dessen Vertrag im Sommer 2006 ausläuft, und für den sich angeblich schon Manchester United interessiert.

Rummenigge: Da geht es nur um eine Frage: Kannst du mithalten? Und wenn du dann der Öffentlichkeit sagst: Wir können nicht mehr, weil wir uns sonst auf extremes Glatteis begeben, möchte ich mal die öffentliche Reaktion sehen, wenn die Neunmalklugen wieder aus der Ecke kommen.

Bei diesem Rad, das wir hier drehen, ist das Fernsehen ein gesichert wichtiger Bestandteil. Es ist immer schön zu sagen, der Fan möchte weiter um 18.15 Uhr seine Sportschau sehen. Aber irgendeiner muss mir dann sagen, wie wir hier den Laden finanzieren.

SZ: Drohen lässt sich mit Premiere. Der Pay-TV-Sender ist erfolgreich an der Börse eingestiegen. Auch diese Millionen wollen Sie jetzt in den Fußball umleiten.

Rummenigge: Die Bundesliga muss ein Interesse haben, dass das Pay-TV des Herrn Georg Kofler gestärkt wird. Premiere hat derzeit rund 3,25 Millionen Abos, da ist ein positiver Trend, aber das ist immer noch weit entfernt von den sieben Millionen von BSkyB in England.

Es gibt da eine wechselseitige Abhängigkeit: Wir brauchen das Geld von Herrn Kofler, und Herr Kofler braucht die Bundesliga, um seine Abonnenten optimal zu bedienen. Er ist interessiert an nachhaltigem Wachstum, und das kann man erzielen, indem man Rechte exklusiver gestaltet.

Wenn die Sportschau fällt, steigen die Abos - gleichzeitig könnte das ZDF-Sportstudio am Samstagabend profitieren. Du schwächst zwar die einen, aber du stärkst auch die anderen. Das mag zu Irritationen führen, aber nach kurzer Zeit hat sich der Markt darauf eingestellt. Der eine kauft sich die Box, der andere geht in die Kneipe, der nächste wartet aufs Sportstudio.

SZ: Exklusiver gestalten hieße auch, den Spieltag neu zu strukturieren. Mögliches Modell: Am Freitag- und am Sonntagabend je ein Spiel exklusiv bei Premiere, die sieben Samstagspiele bei Premiere, später in der Sportschau oder im Sportstudio.

Rummenigge: Der Freitag war ja früher ein Spieltag, der von hoher Sympathie begleitet war. Speziell in Westdeutschland, in Köln, Düsseldorf, Duisburg, die freuten sich, wenn sie freitags spielten. Wir müssen aber auch an die Auslandsvermarktung denken. Wir kriegen daraus nur ein bescheidenes Geld.

SZ: Vorbild England? Anpfiff eines Spiels am Samstag kurz nach der Mittagsstunde, damit Bayern-Mainz in Schanghai, Bangkok und Tokio am frühen Abend läuft?

Rummenigge: Das ist ein Option. Die Premier League erwirtschaftet aus ihrer Auslandsvermarktung Millionen im dreistelligen Bereich, wir kriegen da nur zehn, zwölf Millionen raus.

SZ: Jede Mehreinnahme wird doch nur in die Taschen der Spieler und ihrer Berater umgeleitet.

Rummenigge: Ich geb' Ihnen ja recht. Glauben Sie, wir zahlen freiwillig gerne einem 20-jährigen zweieinhalb Millionen Euro pro Saison? Es ist der Markt in Europa, der uns dazu zwingt. Wo spielen denn die Eyecatcher? Nicht bei uns.

Anderswo gibt es, gemessen an den individuellen Fähigkeiten, wesentlich attraktivere Spieler. Wenn der Spieler es nicht bei Bayern München kriegt, kriegt er es beim FC Barcelona, bei Manchester United oder im schlechtesten Fall beim Herrn Abramowitsch. Er kriegt es.

SZ: Aber die banale Gleichung: Mehr Geld gleich mehr Erfolg, geht selten auf.

Rummenigge: Man kann, wie man in dieser Woche am Beispiel Abramowitsch und seinem FC Chelsea gesehen hat, den Erfolg nicht exklusiv kaufen. Wir brauchen auch kein Vorbild Real Madrid - mit acht Weltstars auf dem Platz, von denen sieben für die anderen nicht laufen.

SZ: Gerade die Champions League beweist doch, dass es anders geht. Im Vorjahr hat Porto das Endspiel gegen Monaco gewonnen. Jetzt hat Liverpool den FC Chelsea ausgeschaltet, und Eindhoven ist nur nicht im Finale, weil Schicksalsmächte wieder für den AC Mailand wirkten. Kann man nicht auch mit Phantasie und Geschick weit kommen?

Rummenigge: Ja, aber nur für eine einzige Saison. Das geht ein Jahr, wenn alles passt. Dann müssen die verkaufen, weil sie sich finanziell verheben. Wo ist der FC Porto dieses Jahr? Wo der AS Monaco?

Teuer ist das Streben nach Kontinuität in der Champions League, wie wir sie beim FC Bayern hatten: 1999 Finale, 2000 Halbfinale, 2001 Sieg im Finale - diese Kontinuität, die kriegst du nur, wenn du die Top-Qualität der Spieler hast. Die wird im nächsten Jahr nicht mehr in Eindhoven sein, die verlieren Marc van Bommel, ihren Kapitän. An wen? An den FC Barcelona.

Bremen und Leverkusen haben ja auch die erste Gruppenphase überstanden. Aber als es im Achtelfinale gegen die Top-Qualität ging, da reichte es leider nicht mehr. Die große Kontinuität, dass du stets im Viertelfinale bist, wird immer schwieriger für die Bundesliga. Wenn's so weiter geht, unmöglich. Die Liga steckt, nüchtern betrachtet, international in einem totalen Abwärtstrend.

SZ: Sie führen derzeit zwei Debatten. Eine über die 500-Millionen-Forderung, in der sich alle Klubs der Deutschen Fußball Liga einig sein werden. Und eine zweite, interne, darüber, wie diese 500 Millionen verteilt werden sollen.

Rummenigge: Über das, was wir hier als Verteilerwahnsinn bezeichnen.

SZ: Zitat von Ihnen: "Wenn es um die Verteilung der Fernsehgelder geht, höre ich nur noch das Wort Solidarität, welches ich inzwischen hasse wie die Pest." Sehr provokante Bemerkung.

Rummenigge: Bei uns verdient ein Michael Ballack auch anders als ein Owen Hargreaves. Ein Kahn verdient mehr als ein Rensing. Ich bin ein großer Freund des Verdienstes. Man stützt die Kleinen nicht, indem man die Starken schwächt. Der Fußball gehört reformiert, wie unsere gesamte Gesellschaft reformiert gehört. Wir sind hier ein Land der Gleichmacherei geworden. Das muss aufhören.

Der Fußball muss da möglicherweise auch gesellschaftspolitisch eine Vorreiterrolle spielen. Was er wunderbar kann. Wo finden überhaupt noch Leistung und Wettbewerb statt? Und zwar auf einer öffentlichen Bühne?

Jeden Samstag kann jeder in diesem Land verfolgen, wer welche Leistung gebracht hat, als Mannschaft, als einzelner Spieler. Es wird Zeit, dass wir auch in der Bundesliga eine Grundsatzdebatte führen.

SZ: Wie stellen Sie sich die vor?

Rummenigge: Ich kann nur eines sagen: Wenn Bayern München aus der zentralen Vermarktung der Bundesliga aussteigt und sich dezentral vermarktet, dann nehmen wir anstatt 18 Millionen 100 Millionen ein. Ohne große Probleme.

SZ: Genau mit solchen Drohkulissen versetzen Sie die Liga in Angst. Man bangt um die Konkurrenzfähigkeit und fürchtet, dass künftig immer nur der FC Bayern Meister wird.

Rummenigge: Aber schauen Sie sich mal die letzten 30 Jahre an: In den 70er-Jahren gab es nur Borussia Mönchengladbach und Bayern München, in den 80ern gab es mal eine gute Zeit vom Hamburger SV, eine gute Zeit von Werder Bremen, aber es waren immer Zweikämpfe.

Das Glück war, dass der FC Bayern immer einer von diesen zweien war. Jetzt hatten wir bis vor drei Wochen noch drei Mannschaften, mit uns Schalke und Stuttgart, die sich berechtigte Hoffnungen machten, hinzu kam, dass auch Bremen, Hertha, Leverkusen nach oben geschaut haben. Das war in der Spitze, bis die alle auf einmal eingebrochen sind, eine hochinteressante Veranstaltung.

SZ: Sie drohen also nicht nur den Fans mit dem Ende der Sportschau, sondern auch den Kollegen mit dem Ausstieg aus der Zentralvermarktung?

Rummenigge: Ich bin kein Freund des Drohens, ich bin ein Freund des Kompromisses. Aber wenn wir es ganz korrekt angehen würden, müsste man sagen: Vermarktet euch bitte selber! Wie in Spanien, wie in Italien.

Dann hätten wir den aktuellen Verdienstschlüssel auf dem Tisch. Dann würde man sehr schnell feststellen, welche Unterschiede es gibt zwischen Hansa Rostock und dem FC Bayern. Zwischen Bochum und Schalke 04. Und hinterher könnte man ja trotzdem über Solidaritätszulagen diskutieren.

SZ: Ohne Rostock, ohne Bochum müsste der FC Bayern ja auch alleine antreten, also gegen sich selber spielen.

Rummenigge: Wir bekennen uns grundsätzlich zur zentralen Vermarktung. Sie soll ja festlegen, dass jeder seinen stabilen Sockel hat. Ich bin immer ein Freund des Kleinen - wenn der Kleine maßvoll bleibt.

© SZ vom 7.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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