"In"-Sportart:Da hilft nur noch Beton

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Parkour gilt als neue, keineswegs ungefährliche Trendsportart, die von den Pariser Banlieues aus derzeit die Welt erobert

Jürgen Schmieder

Luke Markey lehnt unscheinbar an einer Mauer und trinkt einen Schluck Apfelschorle. Man bemerkt ihn kaum, so gelassen steht er da. Auf einmal stürmt er los wie ein Teufel. Hüpft über eine Eisenstange. Läuft senkrecht eine Wand hinauf. Springt über einen Abgrund. Kann sich gerade noch festhalten. Zieht sich nach oben. Macht einen Handstand. Lässt sich zwei Meter nach unten fallen. Rollt sich elegant ab. Er sieht sich kurz um, dann läuft er lässig zurück. Er nimmt noch einen Schluck aus der Trinkflasche und lehnt sich wieder an die Wand, als wäre nichts passiert.

Markey ist ein Meister des ,,Parkour'', einer Sportart, die in den Pariser Vororten entwickelt wurde und nun die Hochglanzwelt erobert. Markey spielt in Hollywood-Produktionen mit oder in Musik-Clips. Im neuen Bond-Film gibt es eine Parkour-Verfolgungsjagd, in Madonnas Video zu ,,Hung Up'' ebenfalls. Die Athleten nennen sich ,,Traceure'', was so viel bedeutet wie: ,,Die den Weg ebnen''. Die Beschreibung ist treffend. Ziel beim Parkour ist es, sich effizient und elegant fortzubewegen. Auf freiem Feld ist das einfach, in einer Großstadt warten Hindernisse. Denen jedoch weicht der Traceur nicht aus. ,,Viele Leute laufen auf Wegen, die andere ihnen vorgegeben haben'', sagt Markey. ,,Wir dagegen schaffen uns unseren eigenen Weg.''

Parkour ist eine neue Trendsportart, S-Bahn-Surfen und Skateboarden dagegen gelten als Mainstream - und sind folglich out. Erfunden hat sie der Franzose David Belle. Er lernte von seinem Vater in den Wäldern Nordfrankreichs die sogenannte ,,Méthode naturelle''. Dabei geht es darum, den Körper im Einklang mit der Natur zu trainieren. Als Belle nach Lille umzog, versuchte er, die Methode urbanen Verhältnissen anzupassen. Aus trostlosen Betonburgen wurden für ihn Spielplätze der Kreativität. Mit Freunden sprang er über Wände, kletterte auf Garagen, rollte sich unter Autos hindurch.

Schnell erkannte er, dass sich daraus ein Sport entwickeln ließ - und erhöhte den Schwierigkeitsgrad. Mauern und Garagen stellten keine unüberwindbaren Hindernisse dar. Im Gegenteil: Schon bald waren sie keine Herausforderung mehr. Also kletterte Belle ganze Gebäudefassaden hinauf und sprang über den Abgrund von Hochhäusern. Dabei zeichnete er alles mit einer Videokamera auf. Die spektakulärsten Aktionen stellte er als Kurzclips ins Internet. Als eines seiner Videos bei der Plattform YouTube mehr als 100000 Zuschauer begeisterte, war klar: Er ist nicht der Einzige, der gerne auf den Straßen herumtobt. Die Leute luden sich seine waghalsigen Stunts herunter und fragten sich: Was macht der Kerl da nur? Kann man das lernen? Belles einfache Antwort: Man kann.

Wenig Regeln

,,Parkours ist keine Sportart, bei der es um die beste Zeit geht'', sagt Andreas Kalteis. Er ist zusammen mit Luke Markey im ,,Team Traceur'', der angesagtesten Mannschaft Europas. Es gibt keine Meisterschaften, beliebt ist, wer in der Szene gut ankommt. Die Philosophie von Kalteis lautet: ,,Lieber einen kleinen Sprung perfekt ausführen, als einen großen Sprung gerade noch schaffen.'' So wird Parkour zu einer Mischung aus Sport und artistischer Kunstform. Wenn auch mit lebensgefährlichen Risiken.

Regeln gibt es wenige, nur einige Techniken. Den ,,saut de chat'' etwa. Dabei springt der Sportler katzenartig mit den Händen zuerst über ein Hindernis und läuft sofort weiter. Beim ,,saut de précision'' dagegen versucht er, genau zu landen. Er springt von einer Treppe hinunter auf eine kleine Säule oder von einem Geländer zum anderen. ,,Es geht vor allem um Kontrolle'', sagt Kalteis. ,,Man trainiert Koordination, Reaktion und Instinkte. Am Ende versucht man, sich im Einklang mit seiner Umgebung zu bewegen.'' Er rät: ,,Lass dich nicht beschränken von dem, was da so in einer Stadt herumsteht.'' Mit seinen Kollegen ist Kalteis gerade auf Tournee, um Anfängern diese Grundlagen beizubringen.

Zum Beispiel dem 18-jährigen Stefan Wunsch aus München. Obwohl der sich nicht als Anfänger bezeichnen würde: ,,Ich bin doch schon als Kind auf Bäume und Felsen gestiegen, jetzt mache ich etwas Ähnliches in der Stadt. Der Unterschied ist nicht so groß.'' Höchstens, dass sich jetzt die Nachbarn sorgen, wenn ein ausgewachsener Mann plötzlich über ihr geparktes Auto hechtet.

© SZ vom 29.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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