Hugo Lloris:Der Schweiger

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Der französische Kapitän ist der beste Torwart des Turniers - und dank seiner Demut eine Ausnahmeerscheinung.

Von Claudio Catuogno

Sollten die Franzosen am Sonntagabend Europameister werden, dann wird es nicht der famose Stürmer Antoine Griezmann sein, der die Trophäe im Stade de France der Welt präsentiert. Auch nicht der forsche Paul Pogba, der unverwüstliche Patrice Evra oder Dimitri Payet, den das französische Magazin Society bereits zu "Präsident Payet" erklärt hat. Sondern Hugo Lloris, der Torwart.

Hugo wer?

Wer in den Jahren zwischen WM- und EM-Turnieren den internationalen Fußball vor allem über die Champions League definiert, der hat von Hugo Lloris, 29, dem Kapitän der Franzosen, möglicherweise noch nicht viel Notiz genommen. OGC Nizza, Olympique Lyon und Tottenham Hotspur sind bisher Lloris' Stationen als Profifußballer. Das ist nicht die Kategorie von Klubs, gegen die der FC Bayern spielt. Und es ist auch nicht die Kategorie von Klubs, mit denen man zwangsläufig Titel gewinnt. Die U19-EM 2005 und den französischen Pokal 2012, mehr hat Hugo Lloris noch nicht im Lebenslauf stehen.

Lloris ist bisher also ein bisschen unter dem Radar hinweg geflogen - aber spätestens seit der Europameisterschaft ist das vorbei. Als einer der besten Torhüter der Welt gilt Lloris bei Experten sowieso schon lange. Und wenn man bei Manuel Neuer, der als Welttorhüter ja auch immer ziemlich famos das deutsche Gehäuse bewacht, jene unglückliche Szenen vor Griezmanns 2:0 im Halbfinale in die Rechnung mit aufnimmt, dann ist Lloris bisher auch der beste Keeper dieser EM. In sechs Partien hat er nicht einen wirklichen Fehler gemacht.

Über sich selbst spricht er äußerst ungern

Die einzigen beiden Gegentreffer aus dem Spiel heraus kassierten Les Bleus beim 5:2 im Viertelfinale gegen Island, beide in der zweiten Halbzeit. Nach der ersten hatten sie schon 4:0 geführt - die Aufmerksamkeit bei Lloris' Vorderleuten hatte darunter etwas gelitten. Zuvor hatten nur zwei Elfmeterschützen Lloris überwunden, im Eröffnungsspiel gegen Rumänien (2:1) und im Achtelfinale gegen Irland (2:1). Entscheidende Paraden hingegen sind von Lloris einige in Erinnerung; nicht zuletzt im Halbfinale gegen die Deutschen vereitelte er zahlreiche vielversprechende Chancen.

Hugo Lloris, Frankreichs Torhüter, hat großen Anteil an dem Final-Einzug seines Teams. (Foto: Patrik Stollarz/AFP)

Derjenige in der französischen Elf, der aber am wenigsten Aufhebens macht um diese Torwartleistung, ist Hugo Lloris. Er spricht generell nicht sehr viel. Und überhaupt nicht gerne spricht er über sich selbst. Wenn die Rede in Interviews auf persönliche Details kommt oder auf persönliche Rekorde, dann sagt er zum Beispiel: "Diese Frage stelle ich mir gar nicht" oder "Ich sehe die Dinge nicht unter diesem Gesichtspunkt."

Lloris, der Schweiger. Da passt es, dass ein Vorbild seiner Jugend der Tennisprofi Pete Sampras war. Der gewann auch meistens und sprach fast nie.

Patrice Evra kommt als Kapitän nicht mehr in Frage

Im Jahr 2010, Lloris spielte eine gute Saison in Lyon, waren im Klub-Fernsehen Bilder von einer extrem intensiven Trainingseinheit mit dem Torwarttrainer Joël Bats zu sehen, dem Nationaltorwart der Europameister-Elf von 1984. Die Kult-Sendung Téléfoot des Senders TF1 wollte diese Aufnahmen ebenfalls ausstrahlen - aber Lloris lehnte ab. Bloß nicht schon wieder Rummel. Und als er einige Monate später dann doch seine Zustimmung gab, stellte er zwei Bedingungen: Der Beitrag dürfe maximal zwei Minuten lang sein und "keine Sensations-Darstellung zum Thema ,Bester Torwart der Welt' beinhalten".

Da war Lloris gerade mal 23 und wusste schon sehr genau, was er will - und was er nicht will. Kurz darauf wurde er der Kapitän der französischen Nationalmannschaft.

Sein Vorgänger war Patrice Evra - der Linksverteidiger von Juventus Turin ist bis heute Teil der Elf. Aber als Kapitän kommt er nicht mehr in Frage. Evra war einer der Rädelsführer beim Eklat während der WM 2010 in Südafrika gewesen, als die Spieler eine Revolte gegen den Trainer Raymond Domenech organisierten und sich streikend im Bus verschanzten. Die Imagewerte der Nationalelf im eigenen Land lagen damals bei null. Vielleicht auch noch ein bisschen darunter. "Danach brauchten wir jemanden, der Demut besitzt", sagte der Rechtsverteidiger Bacary Sagna der spanischen Zeitung El País. In der Hinsicht sei Hugo Lloris "beispielhaft".

Hand drauf: In sechs Partien hat Lloris nicht einen Fehler gemacht. (Foto: Valery Hache/AFP)

Mit Demut allein ist es aber nicht zu begründen, dass Hugo Lloris am Sonntag im Finale gegen Portugal nicht nur sein 83. Länderspiel macht - sondern auch schon sein 57. als Kapitän. Er füllt dieses Amt inzwischen länger aus als jeder seiner Vorgänger, länger als Platini, Zidane, Thuram, Vieira, Henry oder Evra. Und auch länger als Didier Deschamps, Frankreichs Kapitän beim WM-Erfolg 1998. Der heutige Nationaltrainer hatte 54-mal die Binde getragen, Lloris überholte ihn während der EM. Man ahnt, was Lloris zu sagen hat zum Vergleich mit Didier Deschamps: "Ich werde mich ja wohl nicht mit diesem Monument des Fußballs vergleichen."

Er hat ein gutes Gespür für Worte zur rechten Zeit

Intern kommuniziert Hugo Lloris allerdings schon - immer dann, wenn es angebracht ist. Dafür, sagen seine Mitspieler, habe er ein gutes Gespür. Dass er Konflikte austragen kann, wenn sie sich nicht vermeiden lassen, hat er auch schon hinreichend bewiesen. Und als Torwart ist er ohnehin unumstritten - nicht nur wegen seiner Reflexe auf der Linie und seiner Strafraumbeherrschung, sondern auch, weil er mit viel Übersicht die Abwehr dirigiert.

Doch, Hugo Lloris kriegt schon auch den Mund auf, wenn es nötig ist. Frédéric Antonetti, der in Nizza einer seiner ersten Trainer war, hat das Phänomen Lloris in der englischen Zeitung Guardian einmal so beschrieben: "Ein guter Anführer ist nicht derjenige, der am meisten redet. Sondern derjenige, der am meisten Sinnvolles redet."

© SZ vom 10.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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