HSV-Niederlage gegen Dortmund:Besser 2:5 als 0:8

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Ausgerechnet am Uwe-Seeler-Geburtstag werden alle Versäumnisse und Defizite des Hamburger SV offengelegt. Nur werden es nicht weniger, im Gegenteil: Der Trainer mahnt die Klub-Leitung, der Manager-Kandidat sagt ab.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Am Nachmittag des 80. Geburtstages von Uwe Seeler kamen vielen Beobachtern merkwürdige Gedanken. Zum Beispiel, wie es wäre, wenn die HSV Fußball Aktiengesellschaft die Branche wechseln und das Team vom Spielbetrieb abgemeldet würde. Man könnte dann als Nostalgieklub werben, der die schönsten Seeler-Tore noch einmal vermarktet. Oder, wie Seeler selbst sagte, mit "einer Schallplatte" Geld verdienen, als Dank an die 57 000 Zuschauer im Volksparkstadion, die ihm ein Ständchen ("Happy Birthday") gesungen hatten. Vor dem Anpfiff. Da ahnte das Idol des Hamburger SV noch nichts von der folgenden 2:5-Pleite.

Abmeldung aus der Liga? Die Idee kam manchem, nachdem Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang mit Hilfe einer Fehler-Seuche der HSV-Defensive bereits bis zur 27. Minute die Seeler-Party mit drei Toren gesprengt hatte. Auch ganz grundsätzlich hegen die Hanseaten düstere Gedanken: So durfte HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer zwar mithilfe des Investors Klaus-Michael Kühne in zweieinhalb Jahren fast 90 Millionen Euro für neues Personal ausgegeben - doch jetzt sieht es so aus, als werde täglich alles nur noch schlimmer. Am Sonntag hat Beiersdorfer bekräftigt, dass er "als Vorstandsvorsitzender weiter vorangehen" will. Aber kann das eine gute Nachricht für diesen Tabellenletzten sein?

Ein ohnehin irritiertes Team kann durch Veränderungen noch irritierter werden

Schnell waren die freundlichen Bilder vom Uns-Uwe-Geburtstag vergessen. Wie Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, DFB-Präsident Reinhard Grindel und Beiersdorfer den Jubilar vor dem Anpfiff würdigten; wie Seeler Schecks über immerhin 180 000 Euro für seine Stiftung entgegennehmen konnte. Keine Zeit für Freude: Dieser Klub hat zurzeit einfach zu viele Brandherde. Und weitere brachen nach dem Debakel gegen den BVB auf - beide haben mit Trainer Markus Gisdol zu tun.

So beklagte der verunsicherte Kapitän Djourou die Systemumstellung des neuen Coaches von einer Vierer- auf eine Dreierkette in der Abwehr. Gisdol wollte den Dortmundern auf diese Weise weniger Raum lassen. "Uns fehlen noch die Automatismen", kritisierte Djourou, für viele sei das alles noch sehr neu gewesen. Gisdol konterte, solche Systeme gehörten zur "Grundausbildung" jedes Profis. Die Niederlage sei nicht wegen der Taktik so hoch ausgefallen, sondern wegen individueller Fehler. Was der Fußballlehrer vergaß: Eine ohnehin irritierte Mannschaft kann durch Veränderungen noch irritierter werden.

Der andere Konflikt könnte dazu führen, dass auch Gisdol bei Geldgeber Kühne nach erst fünf Spielen mit nur einem Punktgewinn (0:0 in Gladbach) seinen Bonus bereits verspielt hat. Das Grundproblem beim HSV sei "die Erwartungshaltung da oben". Diese habe vor der Saison ein "nicht angemessenes Maß" angenommen, stichelte Gisdol. Kühne etwa hatte als Ziel einen Tabellenplatz zwischen sechs und acht ausgegeben, nahe der Europa League. Aber Gisdol war noch nicht fertig: "Die Träumerei hier muss endlich aufhören. Für uns geht es nur noch um den reinen Existenzkampf, das ist die Realität." Mal sehen, wie das "da oben" ankommt.

Irgendwie scheint das Spiel in jeder Hinsicht zu schnell geworden zu sein für die Hamburger. Das gilt einerseits für die Abwehr, deren Spieler die BVB-Angreifer nie halten konnten. Das gilt aber auch für Beiersdorfer selbst, der bei der Sportchef-Suche wieder ein derart verzögertes Tempo vorlegt, dass der Kandidat Nico-Jan Hoogma, ein ehemaliger HSV-Profi aus den Niederlanden, sein Interesse zurückzog mit der Begründung, er sei "mit dem Findungsprozess nicht einverstanden".

"Hamburger geben nicht auf": Uwe Seeler vor der Bundeliga-Uhr im Hamburger Stadion.

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(Foto: Michael Sohn/AP)

Doch Hamburg hinterlässt im Spiel gegen den BVB einen verheerenden Eindruck - Albin Ekdal ist am Boden zerstört, der HSV scheint derzeit nicht erstligatauglich.

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Nur Nicolai Müller (r., gegen Gonzalo Castro) stemmt sich erfolgreich gegen die Dortmunder Übermacht und trifft zweimal.

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(Foto: Carmen Jaspersen/AFP)

Gleich viermal trifft Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang ins Netz.

Auch ein anderer Anwärter, der einstige Schalke-Manager Horst Heldt, ließ sich offenbar nicht dadurch einfangen, dass die Einflüsterer des Milliardärs Kühne - Spielerberater Volker Struth und Reiner Calmund - ankündigten, sich zurückziehen. Heldt werde das Amt nicht übernehmen, meldete die Sport Bild am Sonntagabend. Angeblich wird nun Christian Hochstätter, der Sportvorstand des Zweitligisten VfL Bochum, hoch gehandelt, berichtet der NDR.

Eines muss man der HSV-Elf aber doch noch gutschreiben: dass sie an Seelers Ehrentag nicht 0:8 verloren hat. Sie hat nach desaströser ersten Halbzeit zumindest verhindert, "dass wir abgeschlachtet wurden" - das sagte jener Profi, der sich aus seiner persönlichen Krise befreien konnte: Nicolai Müller. Der Außenstürmer gab mit sechs Schüssen sogar mehr ab als Aubameyang. Zweimal traf Müller sogar, womit er immerhin die Hamburger Torlos-Serie von 717 Minuten beendete. Das Problem ist ohnehin eher die Defensive mit dem 36-jährigen Spahic, der inzwischen spielt wie ein 36-Jähriger, mit Kapitän Djourou, der sich wie Kollege Cléber in fast jedem Spiel einen Aussetzer leistet - und einem unter Niveau haltenden Torwart Adler.

Auch die Häme der Fans ("Außer Uwe / könnt ihr alle geh'n") nimmt zu; einstige HSV-Freunde flüchten in beißende Ironie. Nur Uwe Seeler hatte noch einen aufmunternden Spruch parat: Er habe sich zwar "ein paar weniger Geschenke für die Dortmunder gewünscht". Trotzig fügte er aber an: "Hamburger geben nicht auf. Ich lasse mir meinen Geburtstag nicht verderben."

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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