HSV:Ein kleines Wunder

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Der Hamburger SV handelt gegen jedes Gesetz der Branche und hält an Trainer Thomas Doll fest.

Christian Zaschke

Mittwoch, der dritte Tag der Verhandlungen war angebrochen, wieder saß der Vorstand des HSV einige Stunden zusammen und beriet sich.

Am Tisch: Bernd Hoffmann, der Vorsitzende, außerdem Katja Kraus, Christian Reichert und Sportchef Dietmar Beiersdorfer. Trainer Thomas Doll war geladen, noch einmal sollte er sein Konzept erläutern - das Konzept, dass er bereits am Montag vorgestellt hatte.

Um 13.27 Uhr verließ er die Hamburger Arena, er wirkte zufrieden. Dann dauerte es bis 14.03 Uhr, bis die Deutsche Presse Agentur die Nachricht ins Land sendete: ,,Thomas Doll bleibt Trainer des Hamburger SV.

Darauf verständigte sich der Vorstand des Fußball-Bundesligisten nach Informationen des Radiosenders NDR 90,3 am Mittwoch.''

Damit endete ein Beratungsmarathon, den die Branche mit höchstem Interesse verfolgt hatte.

Erstaunlich war von Beginn an, dass es diese Beratungen überhaupt gab. Dolls Bilanz ist verheerend, er hat lediglich ein Ligaspiel gewonnen und ist mit dem HSV auf Platz 17 gerutscht, vier Punkte hinter einem Nichtabstiegsplatz. Lediglich Mainz ist schlechter, doch ist Mainz eine Mannschaft, bei der es in der aktuellen Besetzung schon als Erfolg zu werten ist, dass sie überhaupt einige Punkte gesammelt hat.

"20 % mit Doll und Didi zurück nach oben - Jetzt erst Recht"

Der HSV wollte ganz oben mitspielen, einige Spieler haben sich in ihre Verträge eine Prämie für den Gewinn der Champions League schreiben lassen. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit könnte nicht größer sein. Dass dennoch darüber beraten wurde, ob es mit dem Trainer weitergehen soll, ist einmalig in der Geschichte der Bundesliga.

Zuletzt hatte Sportchef Dietmar Beiersdorfer sein Schicksal mit dem Dolls verknüpft. Hätte der Vorstand Beiersdorfers Konzept abgelehnt, mit Doll weiterzuarbeiten, wäre der Sportchef nicht im Amt geblieben. Auch Doll wäre wohl zurückgetreten, wenn Beiersdorfer geschasst worden wäre. Für Hoffmann, der als Befürworter einer Entlassung galt, wurde es schwieriger, seinen Willen durchzusetzen, zumal es auch im Aufsichtsrat eine Mehrheit für Doll gab.

Zu Beginn der Woche hatten sich auch die Spieler für den Trainer ausgesprochen. Die Profis Raphael Wicky, Vincent Kompany, Thimothee Atouba, Nigel de Jong und Alexander Laas entrollten am Stadion ein Transparent mit der Aufschrift: ,,120 % mit Doll und Didi zurück nach oben - Jetzt erst Recht.'' Atouba hatte die Aktion initiiert, nachdem er sich mit der Mannschaft abgesprochen hatte. Dass Spieler mit einem Transparent für ihren Trainer demonstrieren - auch dieser Vorgang ist in der Geschichte der Bundesliga ohne Beispiel.

Bayern-Manager Uli Hoeneß, der zu Wochenbeginn Gast war auf der 7. Hamburg Soiree, kommentierte die Aktion mit den Worten: ,,Die hätten mal lieber in den letzten Wochen auf dem Platz etwas für den Trainer tun sollen.'' Es ist ungewöhnlich genug, wenn sich Manager anderer Vereine über Vorgänge dieser Art äußern. Hoeneß aber ging noch weiter.

Er sprach sich für den Trainer Doll aus. Hoeneß sagte: ,,Was in Hamburg vor sechs Monaten noch Klasse war, soll auf einmal nur noch Schutt und Asche sein? Das kann nicht sein. Ich bin ein Freund nachhaltigen Arbeitens.'' Hamburgs Oberbürgermeister Ole von Beust weilte ebenfalls auf der Veranstaltung, und auch er sprach sich für Doll aus.

Man konnte den Eindruck gewinnen, dass es in den vergangenen Tagen zum guten Ton in Hamburg gehörte, sich für eine Weiterbeschäftigung Dolls einzusetzen.

Derzeit keine Alternativen auf dem Markt

Doch es gab auch andere Stimmen. Obwohl es im Aufsichtsrat eine Mehrheit für Doll gab, war der Aufsichtsratsvorsitzende Udo Bandow anderer Meinung. Ebenso wie Willi Schulz, der sportlich Beauftragte im Rat, der sich öffentlich für eine Entlassung Dolls und Beiersdorfers ausgesprochen hatte. Zudem hat sich der HSV unzweifelhaft nach anderen Lösungen umgesehen. Er hat versucht, Ottmar Hitzfeld zu kontaktieren.

Als Alternative zu Doll gilt im Verein Thomas von Heesen, der jedoch seinen Vertrag mit Arminia Bielefeld nicht brechen will. Dass Doll jetzt bleibt, verdankt sich also auch der Tatsache, dass es derzeit auf dem Markt keinen Trainer gibt, dem man zutraut, es besser machen zu können.

Ergebnis dieser Konstellation - Unterstützung für Doll in Politik, Aufsichtsrat, Mannschaft und sogar von der Konkurrenz, dazu Mangel an Alternativen - ist eine Lösung, die vollkommen gegen den Trend in der Liga geht. Branchengesetz ist, dass in einer solchen Lage ,,etwas getan werden muss'', wie es dann heißt.

Etwas zu tun heißt stets: den Trainer zu entlassen. Dass Doll in Anbetracht der Misserfolge überhaupt bis zur Winterpause weitermachen durfte, war erstaunlich. Dass er nun weitermachen darf, ist in der Welt des Fußballs nichts weniger als ein kleines Wunder.

Am 27. Dezember beginnt der HSV die Vorbereitung auf die Rückrunde, Doll soll dann nach dem Willen des Vorstands mehr Härte zeigen. Zum Rückrundenstart spielt der HSV innerhalb einer Woche in Bielefeld (27.1.), zu Hause gegen Cottbus (30.1.) und in Berlin (3.2.). Verliert Doll diese Partien, wird er umgehend entlassen.

© SZ vom 21.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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