Hoffenheim hebelt den Meister aus:Ausgecoacht dank Umut

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Ein blitzschnell reagierender Balljunge ändert die Dramaturgie des Bayern-Spiels in Hoffenheim. Nach dem 0:2 starten die Münchner nun mit gedämpfter Stimmung ins Champions-League-Spiel gegen Anderlecht.

Von Sebastian Fischer, Sinsheim

Das karierte Hemd von Julian Nagelsmann war bereits sehr gründlich gebügelt, doch er strich es glatt, immer wieder. Irgendeinen nervösen Tick hat jeder, beim Trainer der TSG Hoffenheim ist es der, dass er sein Hemd am Rücken nach unten zieht und sich dabei über die Hüften streicht. Am Samstag war das Hemd von Julian Nagelsmann wahrscheinlich das glatteste im gesamten Kraichgau.

Als Nagelsmann am späteren Abend in der Arena in Sinsheim an einer Werbewand lehnte, um über den 2:0-Sieg der Hoffenheimer gegen den FC Bayern zu sprechen, ruhten seine Hände in den Hosentaschen. "Siegen ist mir selten unheimlich", sagte er, auch nicht gegen den deutschen Meister, gegen den er in drei Spielen nie verlor, den er inzwischen schon zwei Mal geschlagen hat und den er eines Tages womöglich trainieren wird. Nagelsmann, 30, gilt nun mal als talentiertester deutscher Fußballtrainer, er baut (zufällig) mit seiner Familie ein Haus in München. Und das Spiel hatte der These vom Talent weitere Argumente hinzu zugefügt.

Am Anfang überraschte Bayern-Trainer Ancelotti mit einer frischen Idee

Die 27. Minute ist jetzt schon ein Fall für jeden Saison-Rückblick. Es war die Dokumentation eines Überfalls. Mats Hummels hatte den Ball aus der Hälfte des FC Bayern weit in die gegnerische geschlagen, der Ball war ihm versprungen, Hummels traf ihn erst hinter der Außenlinie, doch die Situation schien damit gelöst zu sein: Der Ball war ja weg. Mit Einwurf für Hoffenheim würde es weitergehen. Demnächst, dachte Hummels, er schaute seinem Befreiungsschlag zufrieden hinterher. Doch es kam anders, schnell, blitzschnell: Andrej Kramaric schrie den Balljungen an. Umut, ein 13-Jähriger aus der Hoffenheimer Talentschule, warf Kramaric einen zweiten Ball zu, Kramaric warf ein, in den Lauf von Mark Uth. Zwei, drei schnelle Schritte, Schuss, kurzes Eck, 1:0 für Hoffenheim.

"Da haben alle schnell geschaltet, Mark, der Balljunge, Andrej", sagte Nagelsmann. Die Bayern? "Hätten konzentrierter sein können", wie Trainer Carlo Ancelotti die Reaktion seiner Abwehr höflich beschrieb. Die Münchner beschwerten sich bei Schiedsrichter Daniel Siebert, der jedoch korrekt entschieden hatte: Der Regel nach muss das Spiel nur unterbrochen werden, wenn ein zweiter Ball auf dem Feld ist, der das Spielgeschehen beeinflusst - was man von jenem Ball nicht behaupten konnte, der nach Hummels' Befreiungsschlag teilnahmslos durch Hoffenheims Hälfte rollte. Ancelotti brummte in der Pressekonferenz, die Regel sei wohl geändert worden.

Nagelsmann zeigte Verständnis für den Münchner Ärger. Schnelle Balljungen seien kein Hoffenheimer Alleinstellungsmerkmal. Im Gegenteil: Nagelsmann lobte die angeblich "brutale Verbindung" zwischen jenem Balljungen, der in München stets hinter dem Tor des FC Bayern und Torhüter Manuel Neuer sitze. Er lobte auch die "brutale Truppe" der Münchner, denn "brutal verdient" habe Hoffenheim nicht gewonnen angesichts dieses eindeutigen Chancenverhältnisses von 6 zu 23.

Und damit noch mal zurück zu Nagelsmanns Nervosität.

Das Spiel hatte so begonnen, dass sich zunächst eine ganz andere Erzählung anzubieten schien als jene vom innovativen Nagelsmann. Vom Tüftler, der seinen Fußballern auf dem Trainingsplatz in Zuzenhausen die Spielzüge auf einer LED-Tafel neben dem Rasen erklärt. Denn es waren die Bayern und Ancelotti, 58, die mit frischen Ideen überraschten, die anstelle von Franck Ribéry und Arjen Robben mit Kingsley Coman und Thomas Müller neben Robert Lewandowski angriffen, die früh störten. Lewandowski traf in der siebten Minute die Latte - Nagelsmann zupfte und strich sein Hemd, er rief schon in den ersten Minuten Spieler aller Mannschaftsteile zu sich, er stellte von einem 5-4-1- System auf ein 5-3-2 um.

Doch nach jenem Balljungen-Tor, das kaum zu den 27 Minuten vorher passte, ging Nagelsmanns Plan plötzlich auf. "Das Spiel war schwer", sagte Ancelotti, "da war kein Raum." Hoffenheim zwang die Münchner auf die Flügel und gewann nach Flanken die meisten Zweikämpfe. So hatte der FC Bayern kaum Chancen, Hoffenheim hingegen machte aus seiner zweiten Chance durch Uth (51.) das zweite Tor. Und als der FC Bayern spät Robben, Ribéry und James Rodriguez einwechselte und das Spiel anders aufbaute, änderte Nagelsmann sein System einfach wieder zum ursprünglichen zurück. Denn so, erklärte er, hatte er die Bayern eigentlich erwartet.

Sollte irgendwann mal eine Biografie über Nagelsmann erscheinen, und sie wird wohl erscheinen, dann könnte diesem Samstag in Hoffenheim vielleicht ein kleines Kapitel gewidmet sein: "Wie der Balljunge Umut Nagelsmann dabei half, Ancelotti auszucoachen." Wobei ein solches Kapitel noch mehr Sinn ergibt, sollte Nagelsmann eines Tages Ancelotti beerben. Aber das war am Samstag nicht das Thema.

Die Stimmung ist nun nicht gut beim FC Bayern vor dem Start in die Champions League gegen Anderlecht am Dienstag. Doch es ist nach drei Spieltagen wohl zu früh, um "Krise!" zu rufen. "Wir haben jetzt in Hoffenheim verloren, wo man verlieren kann, allerdings nicht verlieren muss", sagte Hummels. Er lobte die Spielkontrolle und kritisierte, dass kaum Chancen herauskamen. Ancelotti sagte, die Leistung sei doch nicht so schlecht gewesen, wie es das Ergebnis aussage.

Und Nagelsmann? War es ein besonderer Sieg für ihn, gegen den FC Bayern? "Ne tolle Sache!" Trotzdem wird er wohl bald wieder am Hemd zupfen. Donnerstag, in der Europa League, gegen Sporting Braga.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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