Hoffenheim:Bitte abbiegen!

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Auch für das 1:1 gegen Dortmund erhält die TSG viel Lob. Der BVB erlebt eine kuriose Auswechslung.

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Marius Wolf schaffte in der Vorsaison bei Eintracht Frankfurt den Durchbruch in der Bundesliga, mit Schnelligkeit und taktischer Flexibilität überzeugte er rechts vorne, rechts hinten, aber auch im zentralen Mittelfeld. Seither heißt es, er könne auf allen Positionen eingesetzt werden. Aber als Mittelstürmer? Diese Position spielte Wolf in der Jugend. Auf die Idee, ihn in der Bundesliga als zentrale Spitze einzusetzen, ist nun Lucien Favre gekommen, der neue Trainer von Borussia Dortmund. Sein Neuner Paco Alcacer fiel beim Auswärtsspiel in Hoffenheim verletzt aus, und Mario Götze hatte Favre zu Hause gelassen. Der Schweizer hätte auch wieder Maximilian Philipp oder Marco Reus als "falsche Neun" bringen können, aber er nominierte überraschend Zugang Wolf.

Nicht nur deshalb schrieb der 23-Jährige beim rassigen 1:1 zwischen Hoffenheim und Dortmund die kurioseste Geschichte. Wolf sollte den Spielaufbau des Gegners als erster Verteidiger unterbinden, lief aber meist dem Ball hinterher und erlebte auch die Offensivaktionen der eigenen Elf oft nur als Zuschauer. Kurzum: Niemand merkte, dass Wolf mitspielte - bis zur 60. Minute. Da wechselte der BVB zwei Mal aus. Vom Platz gingen Mahmoud Dahoud und Wolf! Neu aufs Feld rannten Thomas Delaney und Sancho. Als Favre merkte, dass Wolf auf ihn zukam, gestikulierte er plötzlich wild und erweckte den Eindruck, diesen Spieler gar nicht auswechseln zu wollen. Doch es war zu spät, das Spiel lief bereits wieder. Später erklärte Favre die Wechselpanne schmallippig als "Kommunikationsfehler". Auf Nachfrage, wen er statt Wolf hatte auswechseln wollen, knurrte der Schweizer nur: "Das will kein Mensch mehr wissen." Zehn Minuten später im Spiel hatte er Maximilian Philipp für Shinji Kagawa gebracht.

Auch mit Ball zu flink: Hoffenheims Joelinton lässt die Dortmunder Lukasz Piszcek (links) und Abdou Diallo ins Leere grätschen. (Foto: Jan Hübner / Imago)

Diese Anekdote fürs Kuriosenkabinett der Liga wollte Favre klein halten. Er war ja froh, dass seine Elf noch den 1:1-Ausgleich geschafft hatte: Christian Pulisic traf spät nach Vorarbeit von Marco Reus (84.) und sicherte dem weiter unbesiegten BVB den achten Punkt im vierten Ligaspiel. Schon unter der Woche war der US-Amerikaner beim 1:0 in der Champions-League in Brügge der Siegtorschütze. In Hoffenheim wurde es nur dann gefährlich, wenn der schnelle Pulisic antrat. In der Anfangsphase seeig TSG-Verteidiger Nico Schulz dem 20-Jährigen auf der Strafraumlinie auf den Fuß, das war klar zu sehen, der Video-Assistent in Köln schien da wohl kurz eingenickt gewesen zu sein, es hätte Strafstoß für den BVB geben können oder müssen.

Nach dieser Aktion aber dominierte Hoffenheim beeindruckend. Joelinton, Mittelstürmer aus Brasilien, erzielte mit seinem ersten Bundesligator das 1:0 (44.), zwei weitere Tore der TSG wurde zurecht wegen Abseits nicht anerkannt, andere Chancen vergeben. Vor allem der eingewechselte Ishak Belfodil ließ in Slapstickmanier eine große Siegtorchance in der Nachspielzeit aus kurzer Entfernung ungenutzt. Wie schon zuletzt beim Champions-League-Debüt in Donezk (2:2) gab es daher viel Lob für Hoffenheim (BVB-Kapitän Reus: "Hoffenheim spielt bis zum Schluss oben mit"), aber nur einen Punkt. In der Liga läuft die TSG der Musik nun hinterher. Trainer Julian Nagelsmann will wegen der starken Leistungen aber mehr loben als kritisieren, er hofft: "Ich schicke ein Stoßgebet Richtung Fußballgott. Es wäre gut, wenn der mal wieder über Sinsheim abbiegen würde."

Helfen würde auch, wenn seine Elf Spiele früher entscheiden würde. Am Dienstag steht für den Champions-League-Neuling in Hannover das dritte von sieben Spielen in 22 Tagen an - ein Stresstest, den auch die international erprobte Borussia bestehen muss. Die junge Elf befindet sich Favre noch in der Findungsphase. Man stehe noch am Anfang, nach vorne gebe es spielerisch Verbesserungspotenzial, meinte Kapitän Reus. Er deutete das Remis aber positiv: "Für den Prozess, in dem wir uns befinden, ist dieser Punkt unheimlich wichtig."

Wolf und Reus helfen auf der vakanten Neuner-Position aus - entscheidend aber ist gute Moral

Zumal der BVB wieder seine neue Mentalität zeigte, zu zehnt die drohende Niederlage abwendete und schon zum vierten Mal im sechsten Pflichtspiel dieser Saison einen Rückstand wettmachte. Innenverteidiger Abdou Diallo hatte nach einer Notbremse gegen Kramaric die Rote Karte gesehen (75.). "Wir haben heute wieder überragende Moral gezeigt, die uns in dieser Saison schon viel geholfen hat und uns hoffentlich noch viel helfen wird", lobte Reus.

Der Nationalspieler begann als Linksaußen, wechselte nach Wolfs Auswechslung ins Sturmzentrum und agierte zuletzt im offensiven Mittelfeld. "Man wünscht sich natürlich eine feste Position, aber der Fußball heutzutage ist nicht mehr so. Man muss flexibel sein und sich für die Mannschaft opfern", stellte Reus fest. Marius Wolf weiß sehr genau, wovon Reus sprach.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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