Hockey-WM:Rezept Überfall

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Neue Generation, neue Taktik: Die Hockey-Nationalmannschaft vertraut auf eine zeitgemäße Konterstrategie. (Foto: Frank Uijlenbroek/dpa)

Die deutschen Hockeymänner haben bei der WM in Indien bislang ordentlich mitgespielt. Doch das reicht nicht. Was Verband und Spieler dringend brauchen, wäre ein Titel.

Von Volker Kreisl, Bhubaneswar/München

Es war ein erstes Zeichen. Endlich schoss die Kugel von Kelle zu Kelle, die Spieler standen immer richtig, das Tempo blieb von Beginn an hoch - und die Torschützen schlenzten, dribbelten und trafen. Eine Halbzeit im Stile eines Überfall-Hockeys hatte genügt, um gegen Frankreich fünf Tore zu schießen.

Fünf sauber heraus kombinierte Treffer, ein früh demoralisierter Gegner, und doch ist noch nichts erreicht. Denn dies ist die Feldhockey-Weltmeisterschaft in Indien, wegen der Temperaturen in Bhubaneswar wurde sie verschoben in den europäischen Wintersportmonat Januar. Sie ist also weit weg und doch für die Nationalmannschaft und den gesamten deutschen Hockeysport gerade von großer Bedeutung.

Nach knapp 16 Jahren ohne großen Titel im olympischen Feldhockey braucht der Verband dringend ein Erfolgserlebnis. Gut anderthalb Dekaden, in denen dieser Sport keine großen Schlagzeilen geschrieben hat, sind zu lang. Dem Verband fehlen mittlerweile die großen Sponsoren, von deren Zuschüssen auch mal eine Serie von Extra-Lehrgängen oder ein Satz neuer Trikots bezahlt werden könnten. Deshalb ist das aktuelle Unternehmen in Indien besonders wichtig. Ein Erfolg bei dieser WM ist unerlässlich für die kommenden Jahre, weshalb Kapitän Mats Grambusch vorab sagte: "Wir wollen hier gewinnen und den Pokal holen." Und wenn das nicht gelingt, so sollte man wenigstens danach "gegriffen haben", heißt es im Umfeld des Teams, sprich mindestens Zweiter oder Dritter werden.

Von der alten Schule ist keiner mehr dabei - dafür der eingebürgerte Argentinier Gonzalo Peillat

Dies klingt angesichts der kommenden Gegner im Viertelfinale (England und danach Australien, die Niederlande oder Südkorea) ambitioniert, ist aber auch nicht unrealistisch. Das Team von Bundestrainer André Henning hat auch einen Wechsel in der Taktik und der gesamten Spielweise hinter sich, und nun stellt sich die Frage, wie gut seine relativ jungen Nationalspieler schon damit zurechtkommen. Es ist der Systemwechsel in diesem Sport, den nahezu alle großen Hockeynationen gerade mitmachen. Die alte Schule, die Ballbesitz und Kombinieren predigte, bis die Kugel im Kasten landete, ist vorbei. Längst haben andere Teams mit ihrem Konterhockey die Ballbesitzer überrannt, weshalb auch Henning nun ein zügiges und effektives Spiel trainieren lässt.

Von der alten Schule ist heute keiner mehr dabei. Die Generation von Moritz Fürste hat sich zurückgezogen und in Tobias Hauke hat sich der letzte der Weltmeister von 2006 verabschiedet. Die neue Taktik erfordert neues Denken, die Grundaufstellung ist schon weiter nach vorne verlagert. Die neuen, kreativen Anführer heißen Niklas Wellen, Hannes Müller, Moritz Ludwig und - Gonzalo Peillat, einst Argentinier, seit drei Jahren Deutscher.

Letzterer ist auch als Teamplayer dabei, wenngleich in besonderer Rolle. Hauptsächlich ist er noch als Spezialist fürs Extraspiel im Einsatz, nämlich als Schütze für Kurze Ecken. Peillat ist nicht irgendein Argentinier, sondern der lange Zeit beste Eckenschütze der Welt - und er ist dem deutschen Verband, man kann sagen, einfach auf den Platz gelaufen. Ein Zerwürfnis mit seinem ehemaligen Nationaltrainer, eine Heirat in Deutschland, eine neue Heimat in Mannheim führten dazu, dass der begnadete Eckenschlenzer nun für den DHB antritt.

Gegen England gilt: bloß nicht in Rückstand geraten

Nun muss er sich eigentlich noch etwas im Team einfinden, aber er hilft bereits jetzt, selbst wenn er gar keine Kurze Ecke schießt, sondern nur so tut, als ob. Denn sein Renommee als Weltbester wirkt sich dergestalt aus, dass sich alle gegnerischen Verteidiger vor ihn werfen, womit die bereitstehenden anderen Schützen wie etwa Mats Grambusch freie Schussbahn haben.

Und doch - trotz all dieser Vorteile, trotz der bisherigen Erfolge bei dieser Winter-WM im indischen Sommer steht den Deutschen die eigentliche Aufgabe noch bevor. Die Fehler, die ihnen beim 2:2 gegen Belgien unterlaufen sind, könnten im kommenden Spiel am Mittwoch gegen England zum Aus führen, womit abermals eine Chance vertan wäre, den Hockeysport in Deutschland wieder nach vorne zu bringen.

Aber da steht ja nun der überzeugende überfallartige Sieg gegen Frankreich, der Trainer Hennings Spielern das nötige Selbstvertrauen gegen England vermitteln könnte. Ein erfolgreicher Weg durch dieses Viertelfinalspiel könnte ebenfalls die Offensive sein. Englands Mannschaft ist nahezu ein Profiteam, in der Hockey-Saison werden die Spieler etwa von Studienaufgaben entlastet. Vom Talent her und wegen ihrer kreativen Spielzüge gelten die Deutschen dagegen als etwas besser. Das wiederum nützt am Ende vermutlich auch nichts, wenn das Entscheidende gegen diesen diszipliniert verteidigenden Gegner eintritt, das, was gar nicht passieren darf: ein Rückstand.

Denn dann würde es schwer werden am Mittwoch. Einen Vorsprung würden sich die Engländer wohl nicht mehr nehmen lassen, womit schon wieder eine Chance vertan wäre, der Hockey-Welt, den Sponsoren und Zuschauern zu zeigen, dass man doch eigentlich ein Champion ist.

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