Hockey:Raketen und Kopfhörer

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Das deutsche Männer-Team hat für Olympia 2016 in Rio wieder einen Weltklassesturm. Im World-League-Finale gegen Argentinien beeindruckt vor allem Christopher Rühr.

Von Volker Kreisl, Buenos Aires/München

Eine Frechheit, dieses 1:0. Schließlich war dies ein Endspiel. Zwischen Deutschland und Argentinien, die im Hockey klassische Rivalen sind und sich mit allen Mitteln bekämpfen, wie die Partie dann auch zeigte: mit Tricks, mit Fouls und mit Protesten. Da wird gezittert und gebangt. Aber dann kam Christopher Rühr, schnappte sich den Ball, ungefähr dort, wo die Mittel- auf die linke Seitenauslinie trifft, und lief allen davon, wobei er immer schneller wurde. An der Torauslinie war er dann so schnell, dass er zwei Gegner auf einmal umrundete, dann zog er nach innen und schoss den Ball aus ziemlich spitzem Winkel an den Innenpfosten und ins Tor. "Mit Raketenantrieb", sagte Bundestrainer Markus Weise. "Ein Tor wie ein 100-Meter-Lauf", sagte Kapitän Moritz Fürste. Ein Rühr-Tor halt.

Der 21-jährige Stürmer vom Club an der Alster gab dem Finale eine erfrischende Note, und auch dem Auftritt der deutschen Mannschaft im gesamten World-League-Turnier in Buenos Aires. Da ging es um die Olympia-Teilnahme, und die Deutschen haben diese nicht nur irgendwie geschafft, mit dosierten Kräften. Sie haben sich so schnell wie möglich qualifiziert, schon im Halbfinale, und sind danach unvermindert weiter gerannt, bis sie auch Argentinien im Endspiel 4:1 bezwungen hatten. Sie haben eine Mannschaft präsentiert, die immer besser zueinander findet und einen Weltklasse-Sturm aufweist.

Denn Rühr ist nicht der einzige gute Angreifer, es handelt sich um ein Quartett. Bei erstaunlichem Tempo können auch Niklas Wellen, 20, und Mats Grambusch, 22, Kelle und Ball kontrollieren. Rühr wurde mit sechs Treffern Torschützenkönig in Buenos Aires, Wellen bester U21-Spieler und Grambusch traf auch fünf Mal. Ergänzt werden die drei durch Christopher Zeller, der bis 2013 zu den weltbesten Stürmern zählte und sich nach seinen Studienauszeiten nun wieder zurückkämpft.

Zeller ist zudem Mitglied im anderen markanten Quartett von Weises Team, dem Mannschaftsrat. Der stellt die Kapitäne und besteht aus Stürmer Zeller, Mittelfeldspieler Tobias Hauke, dem defensiv ausgerichteten Mittelfeldspieler Fürste und Verteidiger Martin Häner, vier sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, von denen jeder anders kommuniziert. Zusammen können sie im Eifer des Spiels somit jeden Akteur individueller ansprechen, Taktikänderungen greifen leichter: "Alle Spielertypen werden angebunden", sagt Weise. Statt eines einzelnen hallenden Lautsprechers hat das Hockeyteam gewissermaßen ein modernes Kopfhörer-System.

Das hat im Endspiel, als die Stürmer auf ihren Positionen belassen wurden und die Zuordnung fester war, gut funktioniert, und auch Weise, dessen taktische Arbeit ja ständig im Fluss bleibt, ist ziemlich begeistert. "Wir haben im Vergleich zum letzten Jahr eine gute Entwicklung gemacht", sagt er, "der Team-Gedanke wird von den Spielern sehr hoch gehängt." Trotzdem, Perfektion ist für den Bundestrainer doch etwas anderes. Dies war nur das Qualifikationsturnier, "bis Olympia müssen wir noch einiges draufpacken", sagt er.

Die Mannschaft bildet sich weiter, nächstes Ziel ist die EM in London Ende August. "Der Konkurrenzkampf läuft", sagt der Trainer. Und auch das Sturm-Quartett wird weiter sprinten und Tore schießen müssen, auch wenn es nicht immer solch unverschämte Treffer sein müssen wie von Christopher Rühr in Buenos Aires.

Rührs 3:1 war reiner Diebstahl. Gerade hatten die Argentinier den Anschlusstreffer erzielt, da legte sich Verteidiger Carlos Ibarra den Ball ein bisschen zu weit vor, und weil Rühr das irgendwie ahnte, war er rechtzeitig losgelaufen. "Ich wusste, dass der Kollege unsicher war. Das war Stürmerinstinkt", sagte er. Knapp vor Ibarra hatte er sich dann mit der Kelle den Ball geangelt, den Torwart umkurvt, und die alte Führung aus ziemlich spitzem Winkel wieder hergestellt.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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