Historie:Das Erbe der Königin

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Die US Open ehren Althea Gibson, die als schwarze Tennisspielerin die Barrieren ihres Sports durchbrach - und Landsfrauen als Inspiration gilt.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es gibt nun auf der Tennisanlage in Flushing Meadows eine Statue von Althea Gibson. Wer am Donnerstag zu den beiden großen Arenen spazierte, um sich zum Beispiel die Partien von Taylor Townsend und Cori Gauff anzusehen, der kam daran vorbei und dürfte beim Anblick dieser dunklen Büste vor der weißen Wand der Cocktail-Bar an den Essay "How It Feels to be Colored Me" der Schriftstellerin Zora Neale Hurston aus dem Jahr 1928 gedacht haben. "I feel most colored when I am thrown against a sharp white background", heißt es darin - "ich fühle mich dann am meisten schwarz, wenn ich gegen einen krassen weißen Hintergrund geworfen werde".

Althea Gibson war schwarz, und sie wurde gegen einen krassen weißen Hintergrund geworfen. Sie war die erste afroamerikanische Nummer eins der Weltrangliste, die erste afroamerikanische Siegerin in Wimbledon und New York, die erste afroamerikanische Frau auf den Titelseiten der Zeitschriften Time und Sports Illustrated. Während des US-Open-Endspiels im Jahr 1950 - Gibson war damals auch die erste afroamerikanische Teilnehmerin in der Geschichte dieses Turniers - gegen die blonde Kalifornierin Louise Brough brüllten die Zuschauer: "Beat that nigger! Beat that nigger!" Sie verlor.

Bis 1950 durfte Althea Gibson nicht gegen Weiße spielen. Dann gewann sie Wimbledon

Die Autobiografie Gibsons trägt den Titel: I Always Wanted To Be Somebody. Ich wollte immer jemand sein. Sie schreibt darin: "Der Königin von England die Hand zu schütteln war ziemlich weit entfernt davon, im Bus nach Downtown Wilmington/North Carolina gezwungen zu sein, in den mit dem Begriff colored gekennzeichneten Reihen zu sitzen." Jemand sein, etwas zu erreichen, sich selbst zu akzeptieren: Das sind die Ziele vieler Menschen, und es kann kein Zufall sein, dass nun drei schwarze Amerikanerinnen bei den US Open versuchen, genau das zu tun in einem Sport, der nicht nur wegen der üblichen Kleidung noch immer sehr weiß ist.

Die Bekannteste ist Serena Williams. Sie hat das Narrativ ihrer Karriere geändert von "kleines Mädchen aus Compton mit einem Schläger und einem Traum" in "tennisspielende Mutter, die auch außerhalb des Platzes eine Inspiration sein will, so wie es Muhammad Ali gewesen ist". Sie will bei den US Open ihren 24. Grand-Slam-Titel gewinnen, so viele wie bislang nur die Australierin Margaret Court, 77, errang. Serena Williams präsentiert sich als Kämpferin gegen Rassismus und Sexismus, wer sie beobachtet, bemerkt: Primär ist sie eine Kämpferin für sich selbst, daran ist nichts auszusetzen - Tennisspieler sind nun mal reisende Ich-AGs.

Williams, 37, hat sich noch immer nicht für ihr Verhalten im vergangenen Jahr entschuldigt, sie hat die Deutung des verlorenen Endspiels gegen die Japanerin Naomi Osaka geändert. Von unerlaubtem Coaching durch ihren Trainer Patrick Mouratoglou, Zertrümmern des Schlägers und Beleidigen von Schiedsrichter Carlos Ramos soll nicht mehr die Rede sein. Stattdessen wird die Perspektive gedreht: Opfer von Rassismus und Sexismus. Ihre Reaktion darauf, dass Ramos nun keines ihrer Spiele leiten wird lautete: "Ich weiß noch nicht mal, wer das ist."

Von diesem Makel abgesehen, ist Williams wirklich ein Vorbild. Sie nutzt ihre Erfolge, um den gesellschaftlichen Wandel zu beschleunigen und andere Frauen zu ermutigen, auch erst einmal an sich selbst zu denken: "Meine Botschaft an alle Frauen: Wir werden mit Hindernissen konfrontiert. Wir müssen an uns glauben, auch wenn die Dinge nicht immer so laufen, wie wir das wollen. Wir müssen kämpfen." Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie nach einem Sieg in New York ihre Karriere beendet, es wäre ein Ende wie der Titel ihrer Autobiografie: Queen of the Court.

"Im Tennis die Königin zu sein ist schön und gut", sagte Althea Gibson einmal: "Du kannst eine Krone jedoch nicht essen." Das ist heutzutage freilich anders, Tennisspielerinnen können, wenn sie so erfolgreich sind wie Serena Williams, zu Multimillionärinnen werden. Die 15 Jahre alte Cori Gauff hat die Leute schon in Wimbledon mit dem Einzug ins Achtelfinale verzückt. Der amerikanische Fernsehsender ESPN meldete, dass die vier Partien von Gauff jene mit den höchsten Einschaltquoten in den USA gewesen seien, es hätten demnach jeweils mehr Menschen zugesehen als bei den Endspielen mit Roger Federer und Serena Williams. Sie wird noch geschützt und darf nicht zu viele Erwachsenenturniere spielen, für die US Open erhielt sie eine Wildcard.

Durch das 6:2, 4:6, 6:4 gegen Timea Babos aus Ungarn hat Gauff die dritte Runde erreicht, sie wird am Samstag gegen Titelverteidigerin Naomi Osaka antreten. "Wimbledon war toll, aber es ist zehn Mal besser, als Amerikanerin hier in New York anzutreten. Die Leute haben einen eigenen Schlachtruf nur für mich", sagte Gauff über die Stimmung im Louis Armstrong Stadium. Sie würde gern im Arthur Ashe Stadium antreten dürfen, in der größten Tennisarena der Welt: "Ich hoffe, dass ich viele Leute inspiriere."

Und dann gibt es noch die Qualifikantin Taylor Townsend, die am Donnerstag überraschend die Favoritin, Wimbledonsiegerin Simona Halep aus Rumänien, 2:6, 6:3, 7:6 besiegte und die Zuschauer mit einer Strategie begeisterte, die seit Martina Navratilova niemand derart konsequent verwendet hat: Sie stürmte insgesamt 106 Mal ans Netz, es war spannend, spektakulär, inspirierend. "Ich wusste, dass ich von der Grundlinie aus keine Chance haben würde", sagte sie noch auf dem Platz. Dann begann sie zu weinen: "Ich habe eine lange Reise hinter mir."

Im Jahr 2012, als Townsend, damals 15 Jahre, das Juniorinnenturnier der Australian Open gewann, weigerte sich der amerikanische Verband, ihre Reisekosten für die US Open zu übernehmen. Die Begründung: Sie sei zu dick. Der Verband lehnte es sogar ab, ihr eine Wildcard für die Qualifikation zu geben, mit der selben Begründung. Es gab heftige Debatten, es wurde danach jedoch auch bei jeder Niederlage über Fitness und Körperbau diskutiert - bei einer jungen Frau, die dieses ungeheuerliche "Body Shaming" nervlich enorm belastete. Sie erreichte 2014 bei den French Open die dritte Runde, danach kam sie bei keinem Grand-Slam-Turnier mehr so weit. Bis zu diesem Donnerstag.

"Es hat einen Haufen hasserfüllter Kritiker gegeben, von denen ich lange gehört habe, dass ich es niemals schaffen würde", sagte sie nun: "Ich habe vor allem in den letzten zwölf Monaten gelernt, mich zu akzeptieren und aufzublühen. Ich mag mich so, wie ich bin." Townsend, inzwischen 23 Jahre alt, geht nun jeden Tag in Flushing Meadows an dieser Statue von Althea Gibson vorbei: "Ich halte kurz an und bewundere ihre Schönheit. Ich nehme mir eine Minute Zeit und denke darüber nach, was diese Statue wirklich bedeutet."

Jemand sein, etwas zu erreichen, sich selbst zu akzeptieren. Das sind die Ziele vieler Menschen. Wer jemand ist, der kann andere dazu inspirieren, auch jemand sein zu wollen. Serena Williams, Cori Gauff und Taylor Townsend tun das bei den US Open. Vielleicht werden sie irgendwann Statuen dieses Trios in New York aufstellen. Und vielleicht wird es dann so sein, wie es Zora Neale Hurston in ihrem Essay beschreibt: "Es gibt Zeiten, da fühle ich mich nicht mehr einer Rasse zugehörig. Ich bin einfach nur ich."

© SZ vom 01.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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