Hinter dem Zielstrich:Einer brät

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Es ist Zeit, Klischees zu entkräften. Es heißt, Chinesen missachten Verkehrsregeln, sind chaotisch und Frühstücksbuffets in Hotels mit westlichen Mägen inkompatibel - Unfug, oder nicht?

Von Johannes Knuth

Es ist Zeit, Klischees über China zu entkräften. Klischees gedeihen ja, wenn man von außen auf ein Land schaut und dann zu wissen glaubt, was in ihm steckt. Es heißt dann, Chinesen missachten jede Verkehrsregel, sind chaotisch und ihre Frühstücksbuffets in Hotels mit westlichen Mägen eher inkompatibel. Das ist natürlich Unfug.

Wahr ist, dass Chinesen ihre Verkehrsregeln freier auslegen. Sie schaffen es mit bewundernswerter Präzision, ihr Auto durch eine geschätzt eineinhalb Meter breite Lücke zwischen zwei Fußgängergruppen zu steuern. Auch mit Tempo 120 - während die Fußgänger bei Grün die Straße überqueren. Die Busfahrer sind außerdem geschult darin, auf der Autobahn die Abbiegespuren am rechten Fahrbahnrand zu nutzen, um schnell noch zwei Laster zu überholen, ehe sie sich in letzter Sekunde wieder auf die Schnellstraße quetschen. Sie nutzen einfach den knapp bemessenen Platz im Straßenverkehr.

Wahr ist auch, dass Chinesen durchaus organisiert sind. Vielleicht sind sie ein wenig vergesslich oder auch nur sorgfältig, wenn sie den auf einen Bus wartenden Gast am Flughafen binnen zehn Minuten zwölf Mal fragen, in welchem Hotel er nächtigt. Den Zeitverlust macht der Busfahrer auf der Abbiegespur locker wett.

Und das Frühstücksbuffet im Hotel ist auch absolut genießbar. Naja, fast. An der Schüssel mit hellbraunem Inhalt zieht der Frühstückende noch verstohlen vorbei, "Cannabis Gold", steht drauf. Immerhin ahnt man, warum manche Kollegen nach 16-Stunden-Schichten noch immer wohlgestimmt sind. Daneben eine Schüssel mit "The Ham", nicht irgendeinem, sondern dem Schinken. Der schmeckt auch nach Schinken, womit er schon mal mehr bietet als handelsüblicher Schinken in den meisten westlichen Restaurants. Auch das Frühstücks-Ei bereiten sie mit viel Liebe zu: Zwei Köche stehen hinter einer Scheibe, einer brät, der andere schaut zu, er reicht dem Gast das fertige Ei durch die Öffnung, man fühlt sich ein wenig wie auf dem Postamt. Nur dass auf dem Schild steht, das an der Scheibe pappt: "Fry Egg on the Window".

Derart ermutigt wagt man sich ans Abendbuffet. Man zeigt auf eine Zeile, in der eindeutig das Wort "Chicken" auftaucht, Huhn. Die Kellnerin fragt: "Sind Sie sicher?" Souverän ist, wer trotzdem bestellt. Dass es sich dabei um Feuerhühnchen handelt, gebettet auf roten und grünen Pfefferschoten, stand wohl im Kleingedruckten.

Dann doch lieber Ei am Fenster.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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