Henry Maskes Comeback:Ratlos im Ring

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"Natürlich habe ich mich ständig auch gefragt, warum", sagt Henry Maske. Mit 43 Jahren tritt der Ex-Weltmeister nun noch einmal zu einem Boxkampf an - und hat schon viel verloren, bevor die erste Runde überhaupt beginnt

Holger Gertz

Henry Maske saß hinter einem großen Konferenztisch im Pressesaal des Arabella Sheraton-Hotels in München, er trug ein weißes Hemd zum braunen Sakko, eine Krawatte trug er nicht. Reporter und Kameraleute waren da, nicht zu viele, aber auch nicht sehr wenige. Ein Reporter fragte, ob es vor so einem Comeback nicht ein Problem sei, so lange nicht geboxt zu haben. Maske antwortete: ,,Das ist die Frage, die ich mir stelle und die ich zu beantworten habe.''

Ein anderer fragte was zum Kampfgewicht. Maske antwortete: ,, Die Frage ist eine gute Frage.'' Außerdem sagte er: ,,Natürlich habe ich mich ständig auch wieder gefragt: warum?'' Er erzählte etwas von einem großen Fragezeichen, das ihn begleite. Irgendwann kam die Veranstaltung an den Punkt, wo jemand hätte fragen können: ,,Herr Maske, sind Sie Henry Maske?'' Und vielleicht hätte Henry Maske dann auch gesagt, dass das eine sehr gute Frage sei.

Es war ein warmer Tag im vergangenen August, als Henry Maske erstmals öffentlich bestätigte, er werde noch einmal boxen, gegen jenen Mann, gegen den er seinen letzten Kampf verloren hatte, den Amerikaner Virgil Hill. Der Kampf gegen Hill ist zehn Jahre her. Kohl war noch Kanzler, das World Trade Center stand noch, der Fußballbundestrainer hieß Berti Vogts. Es war eine andere Zeit, der Kampf gegen Hill ist längst vergessen. Die Pressekonferenz war angesetzt worden, damit allen klar werde, warum Maske auf einmal Lust hat auf diesen Revanchekampf, nachdem diese Lust offenbar zehn Jahre schlummernd in ihm vergraben gewesen war. Ein interessantes Phänomen. Aber Maske hatte keine Antwort. Er hatte Fragen, und er hörte Fragen, die er gut fand. Manchmal sagte er pffffttt.

Der inszenierte Held

Boxer stehen nie nur für sich, der Erfolg eines Boxers ist immer auch ein Stellvertretersieg. Wenn Muhammad Ali boxte, boxte er für alle Schwarzen, alle Sklaven, alle Diskriminierten, und wenn er Joe Frazier traf, traf er zwar einen anderen Schwarzen, der aber viel angepasster und letztlich resignierter war als er. Als Joe Louis gegen Max Schmeling gewann, war mit dem Deutschen The Nazi himself bezwungen, jedenfalls sahen das die Amerikaner so, oder einige von ihnen. Graciano Rocchigiani hatte alle Gossenkinder auf seiner Seite, wenn er im Ring stand. Und Maske? Es ging darum, mit ihm zu zeigen, dass das Land an manchen Stellen eben doch zusammengewachsen war. Das war seine Botschaft, seine Funktion, seine Rolle, eine Aufgabe.

Er ist geboren in Treuenbrietzen, schon der Name klingt nach DDR, wo Maske Offizier war bei der Nationalen Volksarmee. Von weiter östlich kann ein Ossi nicht kommen. Nach der Vereinigung boxte er bald im Programm von RTL, dem Spaßsender aus Köln. Tiefer nach Westen kann man sich nicht vorwagen. Tenöre sangen die Hymne zu seinen Kämpfen, Streicher spielten, es gab künstlichen Nebel und Lichterorgeln. Sie leuchteten den braven Mann aus dem Osten, Olympiasieger von 1988 im Mittelgewicht, so aus, dass er als Held einer klassisch kapitalistischen Abendunterhaltung durchgehen konnte.

Henry Maske ist, neben Katharina Witt, der Einzige aus dem enormen Reservoir an Ostsportlern, der seine Popularität im Westen eher noch gesteigert hat. Allerdings, Katarina Witts Disziplin war der Eiskunstlauf, in dem man lernt, eine Rolle zu spielen, Prinzessin, Diva, Zauberin.

Maske hat keine Rolle gespielt. Er ist der am wenigsten schauspielerisch begabte Boxer aller Zeiten. Er blieb spröde wie gut abgelagertes Brennholz, er blieb sich treu - und auf diese Weise konnte er seine Vergangenheit bewahren, der Mann aus dem Osten bleiben. Aber weil das Fernsehen und sein Management um ihn herum diesen Zirkus veranstalteten, konnte er auch der strahlendste Ossi im Westen werden. Er selbst musste dafür keine Rolle spielen, die Dramaturgen im Hintergrund sorgten für die Show.

Der Weltmeister Maske hat nie im Ausland geboxt, er hat sich nie dort bewiesen, wo die Kampfrichter gegen ihn hätten sein können oder das Publikum. Sein Manager holte für viel Geld die Veranstaltungsrechte nach Deutschland. Der Weltmeister Maske boxte nicht in der Welt, und er boxte nicht gegen die großen Halbschwergewichte seiner Zeit, den Amerikaner Roy Jones jr. zum Beispiel, er boxte nicht mal gegen das große kleine Halbschwergewicht seiner Zeit, Dariusz Michalczewski. Vielleicht hätte er bestehen können, er war ja in der Frankfurter Schule von Manfred Wolke glänzend ausgebildet worden. Aber er stellte sich nicht. Es reichte, dass sein Sender eine Bühne für ihn bereitstellte, die ihn aussehen ließ wie einen Dominator. Das Publikum war zufrieden, ein Sender wie RTL hat seinen Erfolg auch deshalb, weil es ein Publikum gibt, das sich alles vorsetzen - besser verkaufen - lässt. Dieses Publikum hatte von Roy Jones nichts gehört und auch nicht von den anderen Verbänden, in denen es Halbschwergewichtsweltmeister gab; dieses Publikum war bereit, Maske als den zu akzeptieren, als der er verkauft wurde. Der Champ. Ungeschlagen, undefeated. Sie nannten ihn den Gentleman.

1995 wurde in Deutschland nach dem größten Boxer aller Zeiten gefragt, Maske bekam 30 Prozent der Stimmen, Muhammad Ali und Max Schmeling blieben weit hinter ihm.

Das Abstimmungsergebnis spiegelte eine inszenierte Realität, die vom Fernsehen kreiert worden war.

Vielleicht boxt Maske ja gerade deshalb wieder: Weil er glaubt, mit einem Sieg gegen Virgil Hill den großen Makel aus seiner Karriere tilgen zu können. Aber der Makel an Maskes Karriere war nicht die späte Niederlage gegen Hill. Der Makel war, dass er sich zuvor nicht einem Ebenbürtigen stellte, wie sich die anderen gestellt hatten, Ali gegen Frazier, Tunney gegen Dempsey, Hearns gegen Sugar Ray Leonard. Es gab nie den Kampf und nie die Niederlage, an der seine Aura hätte wachsen können. Der Makel an seiner Karriere war die Karriere selbst.

Im Takt der Niederlage

Einmal, ein einziges Mal, schien sich das große Schauspiel selbst zu entlarven. Maskes letzter Kampf, 1996 gegen Virgil Hill. Die Hymne sangen Andrea Bocelli und Sarah Brightman: Time to say goodbye. Das Lied wurde später ein Hit, noch immer wird es gern bei Beerdigungen gespielt. Nachdem Maske verloren hatte, kam dieses Lied noch mal vom Band. Maske winkte ins Publikum, drehte ein paar Ehrenrunden und verschwand haargenau in jenem Moment in den Katakomben, in dem das Lied zu Ende war.

Ein Hotel in Bergisch-Gladbach, Henry Maske sitzt in einem von seinem Verlag reservierten Interview-Zimmer. Gerade ist sein Buch herausgekommen, eine Autobiographie.

Wie geplant war das damals, der Abgang zeitlich mit den letzten Takten?

Henry Maske sagt: ,,Das war Zufall.''

Aber es fällt schwer, an einen Zufall zu glauben, wo in der Karriere alles so perfekt aufeinander abgestimmt war.

Da fragt Henry Maske: ,,Waren Sie eigentlich schon Journalist, als ich als Profi angefangen habe?''

Er ist jetzt 43, und manchmal klingt er wie ein älterer Mann, der sich etwas mehr Respekt erwartet für seine Lebensleistung. Er sagt, er muss niemandem mehr etwas beweisen, vielleicht sich selbst, aber auch das ist nicht sicher. Er sagt, ihm ist egal, was die Journalisten denken, im nächsten Satz sagt er, er ist der Öffentlichkeit etwas schuldig. Einmal spricht er von einem Erlebnis in der Köln-Arena, die es noch nicht gab, als er Boxer war. Und in der er später bei einem Konzert gewesen ist, Michael Flatleys Lord of The Dance, ,,vielleicht kennen sie die Tanzdarbietungen von ihm, verbunden mit Musik. Sehr viel Emotion, und ich sitze auf einem guten Platz, wo ich die ganze Arena überblicken kann, und ich denke mir: Hier noch mal boxen. Hier noch mal boxen.'' Manchmal sind es flüchtige Eindrücke, die ihm den Kick zum Comeback gegeben haben sollen, die Tatsache zum Beispiel, dass Virgil Hill, der Gegner von einst, mit 42 noch mal Weltmeister geworden ist. Manchmal ist er sozusagen in höherem Auftrag unterwegs: Man müsse der Gesellschaft doch zeigen, dass auch im gesetzten Alter noch was zu reißen sei. Nichts bietet er an, das man greifen könnte. Und oft verirrt er sich in einem Labyrinth von ratlosen Sätzen.

Abgeklärt und heiß

Also, warum boxt er wieder? ,,Ich muss es überhaupt nicht tun. Ich tue es aber. Klar, die Kritik der letzten Wochen ist auch so eine zusätzliche Facette, wo ich sage, okay. Das gibt noch ein Stück mehr Kraft. Nicht denen jetzt zu zeigen, was wir können, dass es doch geht, sondern ey, damit wär' natürlich auch eine ganze Reihe von Leuten beeinflusst, die jetzt unsicher sind und uns das doch nicht zutrauen, und denen vielleicht am Ende des Ganzen zu zeigen, es geht ja doch. Toll. Klar.''

Henry Maske versucht, gleichzeitig abgeklärt und heiß zu sein, distanziert und neugierig, er ist mal Geschäftsmann, mal ist er Boxer, er redet im Jugendjargon und wechselt, im selben Satz, in eine staubige Abteilungsleitersprache. Gelegentlich sagt er wir, wenn er ich meint.

Früher hat er keine Rolle gespielt. Er war, wie er war, den Rest erledigte der Sender. Jetzt versucht er viele Rollen zu spielen, und es wird nicht klar, wer er ist.

Einmal immerhin ist er wie früher, als Boxer, der erst mal abwartete, was der Gegner macht; der ihn studierte, scannte, Druck aufbaute. Der den Gegner zermürbte, ohne ihm die Kinnlade zu zertrümmern. Das Gespräch, so wie es läuft, gefällt ihm nicht. Er bemüht sich, gelangweilt zu schauen, er zuckt genervt mit den Schultern; vielleicht hört er aus den Fragen zu wenig Respekt heraus, aber er sagt es nicht direkt, sondern erwähnt irgendwann ein anderes, viel besseres Interview, das er mal einem anderen, viel besseren Interviewer gegeben hat. Er versucht, einen Wirkungstreffer zu landen. Der Interviewer war der vielfach ausgezeichnete André Müller, er sprach für die Zeit mit Maske, dem Boxweltmeister. Maske sagt: ,,Das war ein wundersames Interview. In dieser Form habe ich das so das einzige Mal erlebt. Er hat nicht den Lesern irgendetwas dargelegt, sondern er hat meinen Standpunkt dargelegt und den Leser dabei wissen lassen, dass es mein Standpunkt ist. Das fand ich sehr anspruchsvoll, und der Journalist gefiel mir auch sehr gut.''

In dem Interview geht es unter anderem um den Boxer Jake La Motta, der glaubte, jemanden getötet zu haben, und der die Schläge, die er im Ring kassierte, als gerechte Strafe wahrnahm. Als er erfuhr, dass er kein Mörder war, begann sein Abstieg. Es geht darum, warum einer Boxer wird, Selbstbestrafung könnte ein Motiv sein. Maske kommt schlagfertiger rüber in dem Interview, aber die Frage, warum er Boxer geworden ist, beantwortet er so wenig wie heute die Frage, warum er wieder Boxer geworden ist. Mit sechs, sagt Maske nur, habe ihn ein Freund zum Boxtraining mitgenommen. Von da an wollte er boxen, die anderen spielten Fußball, Boxen war was Besonderes.

In den vergangenen Wochen hat Henry Maske sich in Frankfurt/Oder vorbereitet, wo er - da war er schon Weltmeister und wurde Gentleman genannt - noch immer in einem Plattenbau wohnte. Er gab ein paar Interviews, er wurde gefragt nach dem Warum, und er sagte: ,,Wenn du einmal ein wirklicher Kämpfer warst, bist du gefangen in dieser Haut und kommst da nicht mehr raus.'' Es klang lächerlich martialisch aus seinem Mund.

Sein Sender RTL hat jahrelang nur Promiboxen veranstaltet, die Kämpfer kamen zum Beispiel aus der Pornobranche oder spielten sonst in Seifenopern mit. Vor Maske, quasi zum Aufwärmen, schickten sie dann wieder einen richtigen Boxer in den Ring, einen alten Boxer. Axel Schulz bezog schwere Dresche, nach seinem Kampf erlitt er einen leichten Schlaganfall. Die Frage, warum Maske sich das antut, ist nicht weniger dringlich geworden.

Noch einmal drei Millionen

Henry Maske ist Chef von vier McDonald's-Filialen, dass er finanzielle Probleme haben könnte, kann sich keiner vorstellen. Er gilt als Sparsocke im Kreis von Verschwendern. Dass er jetzt antreten könnte wegen der drei Millionen Euro, die es für ihn angeblich zu holen gibt, beißt sich mit dem Bild, das alle von ihm hatten. Maske war doch Maske, der saubere Boxer aus dem Osten, dem die Moral wichtiger war als alle Knete. Der seine Gegner schlug, ohne sie zu zerquetschen, den sie den Schachspieler im Ring nannten. Der wusste, wann man Schluss machen muss.

Irgendein Instinkt muss ihm verlorengegangen sein.

Das Kempinski in München, zwei Wochen noch bis zum Kampf, die letzte Pressekonferenz. Maske fährt vor in einer Limousine, auf der steht: For the Gentleman only. Er trägt einen Maßanzug und eine grünschillernde Krawatte. Er hat monatelang geschuftet für diesen Kampf, bei dem nicht mal ein Titel zu vergeben ist, und es ist paradox, dass am Ende der Plackerei ein Mann herauskommt, der nicht wie ein Boxer aussieht, eher wie der Juniorchef einer Bank. Virgil Hill, sein Gegner damals und am kommenden Samstag, sein ewiger Gegner, kommt etwas zu spät, er trägt eine Schirmmütze und sieht aus wie ein alter Boxer. Er ist ein alter Boxer, er hat all die Jahre gekämpft, in denen Maske pausiert hat. Virgil Hill lacht viel und schneidet Grimassen, wenn er eine Kamera nur von weitem sieht, und der Aufdruck auf seinem Sweatshirt wirkt wie ein ironischer Hinweis darauf, dass er - bei aller Nähe zum Boxen - eine gewisse Distanz aufgebaut hat. Auf dem Shirt steht ,,zahnersatzsparen.de''

Maske redet sehr ernst, er spricht nicht mehr von Fragen, obwohl er richtige Antworten immer noch nicht geben kann. Hill gluckst vor sich hin, er ist entspannt, er wird eine Menge Geld einfahren, und er lässt durchblicken, dass er eine Menge Geld nicht schlecht findet. Irgendwann reicht er seinem Gegner ein Bier. Der verzichtet. Maske sieht aus wie ein Manager, oder wie ein flach atmendes Denkmal, er sieht aus wie einer, der etwas lebenswichtig nimmt, was für jeden anderen im Raum eine Show ist, die man auch bleiben lassen könnte.

In dem Interview mit André Müller hat Henry Maske gesagt: ,,Eine Niederlage ist wie eine Steinigung.'' Gemeint war die Niederlage im Ring. Der Ring war der Raum, in dem Niederlagen für ihn denkbar waren. Er war Boxer damals, er war Weltmeister; darauf trainiert, diese Steinigungen zu vermeiden. Er war Boxer. Er wusste nicht, dass man verlieren kann, bevor der Kampf beginnt.

© SZ vom 24.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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