Hannover:Böser Schnee

Lesezeit: 3 min

Schneeballschlacht: Genki Haraguchi hatte nicht nur Pech, als sein Schuss im Matsch stecken blieb, er wurde auch noch vom Leverkusener Kai Havertz abgeräumt. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

Hannovers missratene Saison spiegelt sich bei der Niederlage gegen Leverkusen in einem Moment wider: Haraguchis vom Wetter verhinderten Tor.

Von Carsten Scheele, Hannover

So ansatzlos, wie der Winter im März gekommen ist, ist er in Hannover auch wieder verschwunden. Als Genki Haraguchi am Montagmorgen aufgewacht ist, war der Schnee jedenfalls wieder weggetaut - der Japaner ist nun trotzdem eine Berühmtheit: Das Nicht-Tor dieser Spielzeit geht wohl auf sein Konto, es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass sich an den verbleibenden neun Spieltagen eine noch kuriosere Szene ereignet. Ein gut geschossener Ball, der auf dem Weg ins Tor im Schnee kleben bleibt, eine Umdrehung vor der Torlinie - das hat es so noch nicht gegeben. Sogar der englische Guardian stellte in der Nacht zum Montag ein Video der Szene online, um seinen Leser zu zeigen, was in der Bundesliga so abgeht.

Dabei muss erwähnt werden, dass Haraguchi ziemlich viel richtig gemacht hat in der 33. Minute der Partie gegen Bayer Leverkusen beim Stand von 0:2. Der Japaner hatte ein Missverständnis zwischen Leverkusens Jonathan Tah und Torwart Lukas Hradecky ausgenutzt, den Ball stibitzt, bevor sich Tah und Hradecky auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten. Als Haraguchi am Keeper vorbeiging und den Ball mittig aufs leere Tor schob, brach schon Jubel in der Arena aus. Die Leverkusener verlangsamten ihre Schritte in der Erwartung des sicheren Gegentreffers, der an allen anderen Tagen des Jahres gefallen wäre - nicht an diesem. Schicht um Schicht wickelte sich der pappende Schnee um den Ball, je näher er dem Tor kam; so ging ihm schließlich die Kraft aus. Er rollte langsamer, und als er den Fünfmeterraum fast durchquert hatte, blieb er liegen. Tah, der schon abgestoppt hatte, nahm den Ball auf und dribbelte davon.

Das Stadion brüllte immer noch, jetzt vor Entgeisterung. "Das passiert alle fünf Jahre mal", haderte Hannovers Stürmer Hendrik Weydandt, der ahnte, was eine solche Szene im Abstiegskampf bedeuten kann: "Das Tor fehlt vielleicht am Ende der Saison." Es fehlte schon an diesem Abend, denn Hannover verlor das kurzweilige Schnee-und-Matsch-Duell 2:3 (0:2) gegen den Europapokal-Aspiranten. Kai Havertz erwirkte in der 88. Minute mit einem Kopfball die Entscheidung, zuvor war Hannover einem Punkt nahe gewesen, wenn nicht gar dem Sieg - erst recht, wäre Haraguchis Ball nicht kurz vor der Torlinie kleben geblieben. Doch so twitterten die Leverkusener erleichtert: "Puuh! Da müssen wir uns beim Schnee bedanken!!"

Die Stimmung beim Sieger war zwiespältig, trotz gewonnener Schneeballschlacht. Leverkusens Trainer Peter Bosz konnte seinen Ärger über die Bedingungen nicht verbergen. Die Partie habe "nichts mit Fußball zu tun gehabt", klagte der Niederländer, der eine tiefergehende Analyse entsprechend verweigerte. Zumal der Verdacht im Raum stand, dass die Hannoveraner nicht alles getan hatten, um die Bedingungen in der Arena am Maschsee nach dem unerwarteten Wintereinbruch erträglicher zu gestalten.

Zweimal musste Schiedsrichter Sören Storks die Partie in der ersten Halbzeit unterbrechen, in einer Phase, in der Leverkusen einem weiteren Treffer nahe war. Beim ersten Mal fanden sich drei (!) Stadionbedienstete, die mit Besen die Aus- und Torlinien freilegten; das dauerte so lange, dass Leverkusens Kevin Volland, der nach seinen Treffern (13. und 28.) besonders gut in Fahrt zu sein schien, mit den Füßen half, die Linien vom Schnee zu befreien. Beim zweiten Mal schickte Storks die frierenden Spieler vorsorglich kurz in die Katakomben. In der Pause fanden sich immerhin zehn 96-Mitarbeiter mit Besen und Schneeschiebern, die wiederum nur die Strafräume freilegten. Der Rest des Feldes blieb schneebedeckt, "das war nicht zu unserem Vorteil", grantelte Bosz, der gesehen hatte, dass sich seine Feinfüße im Matsch doch schwerer taten als Hannovers Spieler, die seit Saisonbeginn im Abstiegskampf stecken und schönem Fußball längst abgeschworen haben.

"Gegen eine spielstarke Mannschaft waren die Witterungsverhältnisse auf unserer Seite", gab Hannovers Trainer Thomas Doll zu, der das fünfte von sechs Spielen als 96-Coach verloren hat. Doll hatte zwischenzeitlich gar mit einem Abbruch gerechnet, sah dann aber, wie 96 einem überraschenden Punktgewinn noch einmal nahe kam. Während Leverkusen im allgemeinen Herumschlittern irrtümlicherweise versuchte, saubere Angriffe aufzuziehen, fand Doll die bessere Taktik: Er brachte zur zweiten Halbzeit den hochgewachsenen Weydandt; hoch und weit wurden die Bälle nun nach vorne geschaufelt. Der ein oder andere glitschte unkontrolliert durch den Strafraum; erst traf Jonathas per Kopf (51.) zum Anschluss, dann brachte Weydandt den Ball wuchtig aufs Tor, so dass Leverkusens Mitchell Weiser mit dem Oberschenkel ein Eigentor unterlief (73.).

Hannover drückte gar auf den Siegtreffer, die Fans unterstützten die Spieler energisch. In dieser kuriosen Szenerie herrschte tatsächlich echte Heim-Stimmung in der Arena wie so selten in dieser Saison in einem vom Streit zerfressenen Verein. Erst als Havertz traf, wurde es still. Seine Spieler säßen "klatschnass, völlig fertig und total traurig" in der Kabine, berichtete Doll. Er weiß: Acht Punkte beträgt der Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz, fünf Punkte auf den Relegationsrang. Und eine bessere Gelegenheit, eine Mannschaft aus dem oberen Tabellendrittel zu schlagen, wird sich für 96 nicht mehr bieten als auf Schnee.

© SZ vom 12.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: