Handballer Paul Drux:Mit 19 auf der Königsposition

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Paul Drux: Soll die Probleme im linken Rückraum lösen (Foto: Jens Wolf/dpa)
  • Paul Drux ist der Vorbote einer hoffnungsvollen Generation: Mit 19 Jahren ist der Jüngste im deutschen Aufgebot für die Handball-WM in Katar.
  • Für den Nationaltrainer kommt der Junioren-Europameister gerade zur rechten Zeit.

Von Sebastian Fischer, Berlin

In der Arena in Hamburg wurden die Lichter für die Siegerehrung gedimmt, als Silvio Heinevetter die Zeit für ein Lob vor laufender Kamera gekommen sah. Es war der 13. April 2014, der Handball-Nationaltorwart hatte gerade mit den Füchsen Berlin das deutsche Pokalfinale gewonnen. "Überragend", rief er, "haben wir gespielt mit der jungen Mannschaft. Wenn ich mir einen Drux angucke, das war . . . " - Heinevetter hielt inne, suchte einen Superlativ, fand keinen. Also drückte er wie ein Gourmet Zeigefinger und Daumen vor dem Mund zusammen. Und küsste.

Wenige Monate später ist Paul Drux, 19, der jüngste Nationalspieler im Kader von Bundestrainer Dagur Sigurdsson für die am 15. Januar beginnende WM in Katar. Drux spielt im linken Rückraum. Dort braucht es wurfgewaltige Handballer, die majestätisch über dem gegnerischen Block in der Luft stehen und deren Tore die Spiele entscheiden. Der linke Rückraum gilt als Königsposition, mit Tradition in Deutschland: verbunden mit Namen wie Joachim Deckarm und Erhard Wunderlich (Weltmeister 1978), Frank-Michael Wahl (1980 Olympiasieger mit der DDR) oder Pascal Hens (Weltmeister 2007).

Doch im linken Rückraum hat der deutsche Handball aktuell ein Problem: "Wir haben auf dieser Position wirklich die Seuche", sagt Teammanager Oliver Roggisch. Ausgenommen ist nur einer: Paul Drux.

An einem Dezemberabend in Berlin betritt zunächst Volker Zerbe ein Café gegenüber der Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg. Der einstige Nationalspieler, Europameister von 2004, ist heute Sportdirektor und Assistenztrainer bei den Füchsen Berlin. Er wolle nur kurz Bescheid sagen, sagt Zerbe, dass sich Drux verspäte: Der habe länger trainiert, Würfe, Laufwege, Kreuzungen.

Sigurdsson setzt auf die Defensive

Kurz darauf kommt Drux, setzt die Mütze ab, bestellt Mineralwasser. Es ist der Tag, an dem der Isländer Sigurdsson seinen WM-Kader bekanntgegeben hat. Bis Saisonende arbeitet Sigurdsson noch in Doppelfunktion, er ist auch Vereinstrainer bei den Füchsen. Drux sagt, er sei überrascht, dabei zu sein: "Das ist ja nicht selbstverständlich, ich bin ja erst 19." Aber: "Ich denke schon, dass er auf mich zählt, und dass er was von mir erwartet."

Was Sigurdsson erwartet in Katar, hat er soeben erläutert: "Ich hoffe vor allem, dass wir stabil stehen." Defensive als Erfolgsgarant? Im Spitzenhandball von heute, der in erster Linie ein extremes Tempospiel geworden ist, ist ein solches Bekenntnis zum Primat der Abwehr zumindest unüblich. Sigurdsson würde es wohl niemals öffentlich zugeben, aber natürlich ist dieses Bekenntnis auch aus der Not, der Seuche geboren.

Die letzten Botschaften zur Krisenlage im Rückraum waren ja erst am Wochenende aus der Bundesliga eingetroffen: Bei Finn Lemke, 22, vom TBV Lemgo brach die Mittelhand, beim im erweiterten Kader stehenden Sven-Sören Christophersen, 29, vom TSV Hannover-Burgdorf ein Finger. Beide fallen für die WM aus. Übrig sind für den linken Rückraum jetzt noch drei: der nachnominierte Fabian Böhm, 25, aus Balingen, der eher als Defensivspezialist wirkende Stefan Kneer, 29, von den Rhein-Neckar Löwen. Und Paul Drux.

Drux ist ein bulliger Typ ( 1,92 m, 90 kg), ein kompletter Spieler mit Stärken im Duell Mann gegen Mann. Zweikämpfe, Körperkontakt, das sei es, was er am Handball schätze, sagt Drux: "Volleyball würde mir nicht gefallen." Er wuchs in Marienheide auf, im Oberbergischen Kreis vor Köln, manche schauen dort Fußball beim FC - Handball spielen eigentlich alle. Seine Großeltern waren Feldhandballer; Vater, Bruder, Schwester, alles Handballer.

Paul war mit 16 ein Talent beim VfL Gummersbach, als sich sein Vater bei einem Turnier in Berlin nach der Chance zum Wechsel zu den Füchsen und aufs Berliner Sportinternat erkundigte - so erzählt es Bob Hanning, der Füchse-Geschäftsführer und Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes. "Man hat gesehen, dass Paul instinktiv Dinge richtig gemacht hat", sagt Hanning: Würfe, Pässe, Abwehrverhalten.

Hanning war bis zum vergangenen Sommer bei den Füchsen zudem Jugendcoach, er trainierte die Generation um Drux und Fabian Wiede, 20. Linkshänder Wiede spielt in Berlin im rechten Rückraum, er war unter Sigurdssons Vorgänger Martin Heuberger bereits Nationalspieler, doch den Sprung nach Katar hat er verpasst.

Drux und Wiede gewannen deutsche Jugendmeisterschaften in Serie und gehörten zum U20-Nationalteam, das im Sommer Europameister wurde und für lange nicht mehr gesehene Bilder sorgte: Jubelnde Männer in Trikots der deutschen Nationalmannschaft. Diese neue Generation, so der Plan des DHB, soll den Handball zu alten Erfolgen zurückführen, Katar gilt nur als Zwischenstation. Die langfristige Perspektive bietet die WM 2019, die Deutschland gemeinsam mit Dänemark ausrichtet. Auch deshalb verzichtet Sigurdsson - trotz der Seuche im Rückraum - weiterhin stur auf den Spielgestalter Michael Kraus. Der launische Göppinger stand 2007 beim WM-Triumph im All-Star-Team, zuletzt gelangen ihm zwölf Feldtore gegen Magdeburg. Eine Quote, die für deutsche Rückraumspieler Seltenheitswert hat.

Lehrmeister aus Spanien

Aber Kraus ist auch schon 31. Aus jener Mannschaft, die die Junioren-EM gewann, ist Drux nun der Einzige im WM-Kader. Er ist der Vorbote einer hoffnungsvollen Generation. Und schon in der Gegenwart gefordert. "Er kann die Königsposition führen, besser als manch anderer in anderen Ländern", sagt Hanning. Die Talentförderung ist Hanning ein Anliegen, dafür wird bei den Füchsen sogar zähneknirschend eine durchwachsene Spielzeit in Kauf genommen. Drux hat in seiner ersten Saison als Profi bisher alle Ligaspiele absolviert, in 21 Partien warf er 48 Tore. In Berlin bekam er einen Fünfjahresvertrag, ein großer Lehrmeister steht auf dem Parkett nebendran: Iker Romero, 34, der einstige Chef des Weltklasseteams aus Spanien.

Drux soll zum Gesicht nicht nur des Berliner Handballs aufgebaut werden. Dafür scheuen die Verantwortlichen nicht davor zurück, ihm Ballast auf die mächtigen Schultern zu packen. Nach jenem Pokalwochenende von Hamburg zum Beispiel meinte Bob Hanning, der Zögling Drux könne zum deutschen Nikola Karabatic werden - dem Welthandballer von 2007. Noch aber wird es eine Weile dauern, bis Drux die Wurfquote des Franzosen erreicht.

Hanning könne natürlich sagen, was er wolle, sagt Paul Drux, er selbst könne das alles schlecht einschätzen. Ist denn die Erwartungshaltung nicht zu hoch? Er schüttelt den Kopf. "Ich spiele Handball, weil's mir Spaß macht. Und nicht, weil es anderen Spaß macht, mir zuzuschauen."

© SZ vom 31.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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