Handball-WM:Der alte Fritz

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Deutschlands Torhüter hat seinen Instinkt wiedergefunden - auch dank der Unterstützung des Ersatzmanns.

Christian Zaschke

Halbzeitpause in der Partie gegen Tunesien. Die deutschen Handballer führten 19:11, diese Partie würden sie nicht mehr verlieren, sie saßen in der Kabine. Alle, bis auf die Torhüter. Die bleiben ganz gern in der Pause draußen. Manche wollen sich nicht mit der Ansprache belasten, weil sie ihre Konzentration halten müssen. Wer von beiden Tormännern wenig oder gar nicht zum Einsatz gekommen ist, lässt sich warmschießen.

Also ließ Johannes Bitter sich warmschießen. Henning Fritz ging am Donnerstag ebenfalls nicht in die Kabine. Er hatte 30Minuten lang durchgespielt, er hatte hervorragend gehalten, und jetzt hatte er ein Anliegen. Er ging hinüber zum Hallensprecher und sagte: "Kannst du die Stimmung noch ein wenig anheizen?" Der Hallensprecher schaute überrascht.

Er hatte in den vorangegangenen 30 Minuten und auch vor dem Spiel ins Mikrofon geschrien, er hatte Musik eingespielt, er hatte dafür gesorgt, dass die Welle durch die Westfalenhalle lief. Jetzt das. "Was glaubst du, was ich hier die ganze Zeit mache?", fragte er zurück. Aber Fritz hatte seine Bitte ausgesprochen, das war ihm wichtig. Dass er überhaupt über das Publikum nachdachte, dass er darüber hinaus an den Hallensprecher dachte und an die Möglichkeit, ihn anzusprechen, zeigt, dass Fritz nicht mehr allein über das Thema nachdachte, das ihn zuletzt so sehr beschäftigt hat: er selbst.

Seit Wochen kreisten die Gedanken des einst besten Torhüters der Welt. Sie fanden keinen Anfang und schon gar kein Ende. Er spielte außer Form, so lange schon, und er wusste, dass er seine Form wiederfinden musste, jetzt, bei der WM. Der Auftakt gegen Brasilien lief ganz gut, aber gegen Argentinien und gegen Polen hatte er nicht gut ausgesehen. Bisweilen wirkte es, als spiele Fritz den Fritz von früher, der aggressiv war und die Schützen fixierte und ihnen mit geballter Faust hinterherrannte, wenn er einen Ball gehalten hatte. Er wirkte nicht echt. Dann kam das Spiel gegen Slowenien, in dem er besser hielt und besser aussah, beinahe wie früher, wie der alte Fritz. Dann kam der Donnerstag.

Die gesamte deutsche Mannschaft war voller Energie, und Fritz spielte erstmals seit langer Zeit, erstmals seit 2004, wieder auf der Höhe seines Könnens. Die Tunesier bemerkten das, und nachdem Fritz einen Siebenmeter abgewehrt hatte, trat zum nächsten Strafwurf der Kanonier Wissem Hmam an, der den Ball auf die Geschwindigkeit eines startenden Jets beschleunigen kann. Fritz muss geahnt haben, was passieren würde, er hatte seinen Instinkt wiedergefunden. Hmam warf, und der Ball raste auf Fritz zu, auf sein Gesicht.

Es zählt zu den größten und miesesten Gemeinheiten, einen zu guten gegnerischen Torhüter aus dem Spiel zu nehmen, indem man ihm ins Gesicht wirft. Henning Fritz hatte die Arme bereits hochgerissen, der Ball prallte von seinen Unterarmen ab, und danach schrie Fritz und zeigte auf Hmam, er bedeutete ihm: "Ich weiß, was du wolltest. Aber ich bin stärker als du."

Er ist wieder da. Noch ist nicht zu sagen, wie lange das so bleibt. Ob Fritz also wieder ein beständiges Licht hinter der Abwehr ist, das die Bälle anzieht, oder ein Flackern, das bald auflodert, bald darauf beinahe erstirbt. Doch das ist viel mehr als zuvor, als es schlicht dunkel blieb, als er seine Leistung nicht fand. Woher kommt der Funke? Fritz sagt: "Vielleicht kommt es daher, dass ich so in die Enge gedrängt war. Und gegen Slowenien ging es für uns alle um alles." Nach dieser Partie hatte Kreisläufer Christian Schwarzer gesagt: "Das ist wieder der Fritze, den wir brauchen." Und Florian Kehrmann bemerkte: "Henning ist jetzt wieder der Busfahrer."

Duell mit Omeyer

Fritz mochte nicht verraten, was es mit dem Busfahrer auf sich hat. Er hatte Spaß an dem Bild, doch wann immer er danach gefragt wurde, wollte er nicht sagen, was sich dahinter verbirgt. Vermutlich, weil in dem Bild ein Kompliment steckt. Bei den Olympischen Spielen 2000 hatte der zweite Torwart der Russen, Pawel Sukossian, eher wenig zu tun, weil Weltklassemann Andrej Lawrow stets zwischen den Pfosten stand.

Sukossian trug also die Bälle, er trug die Kisten, er arbeitete rund um die Mannschaft, und so erhielt er von den Deutschen den Spitznamen Busfahrer. Irgendwann bemerkte Fritz im Spaß, Sukossian sei sein Vorbild, woraufhin die Mannschaft sagte: Gut, dann bist du unser Busfahrer. Wenn nun Florian Kehrmann Henning Fritz wieder in den Rang des Busfahrers erhebt, dann sagt er damit: Fritz spielt wieder wie früher.

Eine bedeutende Rolle in dieser Entwicklung kommt dem zweiten Tormann zu. Johannes Bitter bejubelt jede Parade von Fritz, er springt so oft von der Bank auf, dass er pro Spiel rund zehnmal von den Offiziellen ermahnt wird. Einen loyaleren Mitspieler kann man sich nicht wünschen. Bitter sagt: "Ich maße mir nicht an, ihm Tipps zu geben. Aber ich gebe alles, was ich mir in seiner Situation zu bekommen wünschte." Die beiden Torhüter sprechen nicht darüber, dass Bitter so emotional dabei ist, dass er Fritz so unterstützt. "Aber ich bin sicher, dass es ihm gut tut", sagt Bitter. Er hätte versuchen können, Fritz' Krise auszunutzen, um selbst die Nummer eins zu werden; stattdessen unterstützt er Fritz. "Natürlich träume ich davon, einmal die Nummer eins zu sein", sagt er, "aber ich weiß, was Henning kann." Genau das wusste Fritz so lange nicht mehr.

An diesem Samstag spielen die Deutschen gegen die Franzosen (16.30 Uhr, live in der ARD). Bei denen steht Thierry Omeyer im Tor; der Mann, den der THW Kiel verpflichtet hat, weil Fritz so lange außer Form war. Der Mann, dessentwegen Fritz im Klub auf der Bank sitzt. "Ich gehe ganz entspannt in das Spiel", sagt Fritz, "ich muss nicht beweisen, dass ich besser bin." Er geht jetzt wieder davon aus.

© SZ vom 27.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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