Handball:Wieder einen Schritt weiter

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Rekonvaleszent: Bundestrainer Henk Groener stößt nach überstandener Corona-Infektion zur EM-Vorbereitung seiner Auswahl. (Foto: imago images/wolf-sportfoto)

Die deutschen Frauen freuen sich auf das von Dänemark gerettete EM-Turnier: Sie wollen Wiedergutmachung betreiben für die missratene WM 2019.

Von Ulrich Hartmann, Frankfurt/München

Die erlösende Nachricht kam während des gemeinsamen Mittagessens: Die Handball-Europameisterschaft der Frauen findet statt, und sie beginnt wie geplant bereits in der nächsten Woche. Seit Sonntag sind die deutschen Nationalspielerinnen im Trainingslager in Frankfurt zusammen, im Hinterkopf die stete Furcht, womöglich unverrichteter Dinge wieder heimreisen zu müssen. Umso größer war der Jubel, als aus Dänemark die Mitteilung kam, dass die EM ausschließlich dort ausgetragen werden kann, ohne Mithilfe des kurzfristig abgesprungenen Co-Ausrichters Norwegen.

Die Teamkoordinatorin Maren Baumbach überbrachte bei Tisch die frohe Botschaft, schnitt den allgemeinen Jubel mit und verschickte ihn als akustischen Gruß an all jene Spielerinnen, die etwas später ankamen. "Unsere Freude war riesengroß", erzählt die Kapitänin Kim Naidzinavicius. Kein Wort von möglichen Zweifeln und Corona-Ängsten, wo doch sogar der Bundestrainer Henk Groener erst an diesem Mittwochabend anreisen kann, nachdem er daheim in den Niederlanden eine Corona-Infektion ausgestanden hat. Die deutschen Handballerinnen wollen unbedingt spielen - das dürfen sie jetzt auch.

Sportdirektor Kromer erhofft auch Erkenntnisse im Hinblick auf die Männer-WM im Januar

Der Heimvorteil für die gegnerischen Norwegerinnen fällt also weg im zweiten deutschen Gruppenspiel, aber ob das so viel bringt gegen den Rekord-Europameister? Überhaupt, der Einfluss von Corona wird sportlich kaum jemandem nützen, außer vielleicht den gastgebenden Däninnen. "Ich mache mir da keine falschen Hoffnungen", sagt Naidzinavicius, "das Niveau des Turniers wird trotzdem hoch sein."

Man hätte ja denken können, die Handballerinnen wären wie einige ihrer Kollegen aus der Männer-Auswahl eher skeptisch, was ein großes internationales Turnier in Zeiten der Pandemie angeht. Aber das ist nicht so. Nachdem Norwegen als ursprünglicher Co-Ausrichter sehr kurzfristig einen Rückzieher gemacht hatte, haben die deutschen Spielerinnen regelrecht darum gebangt, dass Dänemark sich dazu durchringt, die EM dann eben allein auszurichten. Bis Montagmittag war die Sache offen, dann gab Dänemark grünes Licht. In Kolding und Herning wird nun also vom 3. bis 20. Dezember der Europameister der Handballerinnen ermittelt. Die deutschen Frauen treffen in Kolding auf Rumänien (3. Dezember), Norwegen (5.) und Polen (7.), und wenn sie mindestens Dritter werden in ihrer Gruppe, dann spielen sie anschließend weiter in Kolding in einer Sechsergruppe um den Einzug ins Halbfinale in Herning. Die Spiele sind ausschließlich im Internet bei sportdeutschland.tv zu sehen.

Nicht nur die Spielerinnen sind froh über diese EM, auch die Funktionäre. Axel Kromer, der Sportdirektor des Deutschen Handballbundes (DHB), hofft, dass man gute Erfahrungen macht mit Blick auf die Männer-WM im Januar in Ägypten. Dass die endgültige EM-Zusage erst am Montag kam, dass Groener und vier Spielerinnen von ausländischen Klubs erst am Mittwoch nach Frankfurt anreisen, dass ein Vorbereitungsturnier in Norwegen geplatzt ist - das alles kann Kromer nicht mehr schocken. "Wir sind relativ entspannt", versichert er.

Bis nächsten Dienstag bleibt der deutsche Tross in Frankfurt, fliegt dann nach Billund, fährt von dort mit dem Bus nach Kolding und spielt zwei Tage später schon die erste Partie gegen Rumänien. "Vielleicht", sagt Kromer augenzwinkernd, "hilft uns diese kurze Vorbereitung ohne Testspiel ja, dass wir im Turnier nach hinten raus die erforderlichen Körner haben." Der Kräfteverschleiß war bei der vergangenen WM in Japan ein großes Manko der deutschen Mannschaft gewesen.

In Japan war ihnen mit jedem Spiel mehr und mehr die Luft ausgegangen

Die Handballerinnen sind auch deshalb froh über diese EM, weil sie sich viel vorgenommen haben nach der WM in Japan, die als eines der enttäuschendsten Turniere in die jüngere Geschichte des deutschen Frauen-Handballs eingegangen ist. "Peinlich!", war eins der letzten Worte von Kreisläuferin Julia Behnke gewesen. "Eine sportliche Tragödie", hatte Kromer damals bilanziert.

Nachdem die deutschen Handballerinnen zum Auftakt den späteren Weltmeister Niederlande besiegt und sich in eine verheißungsvolle Ausgangsposition gebracht hatten, ging ihnen mit jedem Spiel mehr und mehr die Luft aus. Am Ende verloren sie drei Spiele in Serie und verpassten nicht nur das Halbfinale, sondern auch Olympia in Tokio.

"In Japan haben wir zwar gesehen, wie gut wir spielen können, und dass wir mit den besten Teams der Welt mithalten können", sagt Naidzinavicius rückblickend, "aber wir haben auch gesehen, dass wir diese sehr guten Leistungen nicht über einen längeren Zeitraum abrufen konnten. Als es um die Wurst ging, haben wir unser Spiel nicht mehr auf die Platte gebracht."

Es wird vom übernächsten Donnerstag an also auch um diesen Aspekt gehen. "Wir waren in Japan noch nicht so erfahren, dass wir eines der neun Spiele binnen 15 Tagen auch mal locker gewinnen konnten", sagt der Bundestrainer Groener, "aber ich denke, dass wir bei der EM einen Schritt weiter sein könnten." Die Hoffnung geht Richtung Halbfinale, aber natürlich sind sie letztlich schon froh, dass überhaupt gespielt werden kann.

© SZ vom 25.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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