Handball:Wenig geschlafen, viel bewirkt

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Trainer Michael Biegler hat die deutschen Frauen aus ihrer Mittelmäßigkeit gerissen - trotz des verpassten EM-Halbfinales.

Von Ulrich Hartmann, Göteborg/München

Der Handballtrainer Michael Biegler steht gar nicht gerne im Vordergrund, er versucht stets, seine Mannschaften ins Rampenlicht zu rücken. Momentan aber gelingt das dem 55-Jährigen überhaupt nicht: Denn das Frauen- Nationalteam, das die Rückkehr in die Weltspitze seinem Einfluss verdankt, hat bei der Europameisterschaft in Schweden den Kampfnamen "Biegler-Ladies" für sich ersonnen. "Biegler", brüllt die Kapitänin Anna Loerper vor dem Spiel und am Ende jeder Auszeit; "Ladies", brüllen daraufhin alle anderen. Das ist das Überkompliment an einen Trainer, der die Mannschaft aus ihrer jahrelangen Mittelmäßigkeit gerissen hat. Er wird das Kompliment auch an diesem Freitag hören, wenn seine Auswahl gegen Rumänien um Platz fünf spielt (15.45 Uhr/sport1.de). Die deutschen Frauen haben das Halbfinale zwar knapp verpasst, sind aber hochzufrieden. "Wir sind spielerisch auf Weltklasse-Niveau", findet Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld, "bloß von Statur und Sprungkraft sind uns andere Mannschaften noch voraus."

Es ist noch kein Jahr her, dass Sommerfeld begann, Biegler für das Amt des Frauenbundestrainers anzuwerben. Der gebürtige Rheinländer, der drei Jahrzehnte lang nur Männerteams trainiert hatte, zögerte und behielt sich wochenlange Recherchen und Überlegungen vor. Heimlich hospitierte er in jener Zeit beim Frauen-Bundesligisten Bayer Leverkusen, weil dort Andreas Thiel tätig ist, dem er einst den Trauzeugen machte. Biegler ließ bereits in der Überlegungsphase jenen Hang zur Akribie und Perfektion durchblitzen, den er erst recht seit seiner Zusage im April demonstrierte, und mit dem er die Frauen nun ins Spiel um Platz fünf führte. "Er ist grandios in der emotionalen Ansprache, überlässt in der Trainingsarbeit nichts dem Zufall und hat während der EM kaum geschlafen", berichtet Sommerfeld beeindruckt. Zuletzt acht Jahre lang war die sensible Mannschaft bei verschiedenen Bundestrainern unter der Bürde ihrer Potenziale und Talente immer wieder zerbrochen. Biegler aber hat in kürzester Zeit nahezu alle Stärken der Mannschaft freigelegt. "Wir haben an der Weltspitze angeklopft", sagt er.

Die Dortmunderin Svenja Huber hat bislang die meisten Tore geworfen (30, davon 16 Siebenmeter), die Leipzigerin Anne Hubinger war mit 21 Treffern die beste Schützin aus dem Feld, die beste Quote (85 Prozent) hat die Metzingerin Julia Behnke mit elf Treffern bei 13 Versuchen. Insgesamt haben die deutschen Spielerinnen 55 Prozent ihrer Würfe verwandelt, das ist allerdings verbesserungswürdig. Huber mit 296 Minuten, die Leipzigerin Saskia Lang (267) und die Bietigheimerin Kim Naidzinavicius (240) bekamen die meiste Spielzeit - hinter der Dortmunder Torhüterin Clara Woltering, die 325 Minuten auf dem Feld stand und 35 Prozent aller Würfe parierte. "Die Mannschaft ist sympathisch und leidenschaftlich aufgetreten", findet Biegler, "wir sind auf einem tollen Weg, dem Frauenhandball wieder einen höheren Stellenwert einzuräumen."

Dem Deutschen Handballbund (DHB) bedeuten die guten Leistungen deshalb so viel, weil er in einem Jahr die WM ausrichtet und dort eine Mannschaft aufbieten will, die eine Medaillenchance besitzt. Bei der EM haben die deutschen Frauen bereits den WM-Zweiten Niederlande, den vormaligen WM-Zweiten Serbien sowie Gastgeber Schweden besiegt; gegen den Olympia-Zweiten Frankreich verloren sie knapp. "Von den Anlagen her waren wir die spielstärkste Mannschaft", findet Sommerfeld. Das genügt ihm als Indiz, dass die Mannschaft bei ihren WM-Spielen im Dezember 2017 in Leipzig, Magdeburg und womöglich Hamburg (Final-Wochenende) mithalten kann.

Biegler gilt sogar als Kandidat für die Sigurdsson-Nachfolge

Nach der fröhlichen Heimreise aus Schweden beginnt nun aber eine herausfordernde Phase, denn bis zur WM haben die Frauen nur zwei EM-Qualifikationspartien als Pflichtspiele und müssen sich ihre Fortschritte im Training und in Testspielen erarbeiten. Im Frühjahr muss Sommerfeld zudem versuchen, Biegler zu einer vorzeitigen Verlängerung seines bis Ende 2017 datierten Vertrages zu überreden, denn Biegler hatte nur zugesagt, die Mannschaft bis zur Heim-WM zu begleiten. Weil Anfang 2018 auch Sommerfelds Zeit als Sportdirektor beim Deutschen Handball-Bund endet (Nachfolger wird Axel Kromer) und weil Biegler sich vor attraktiven Jobangeboten offenbar kaum retten kann (sogar als möglicher Sigurdsson-Nachfolger im deutschen Männerteam), rechnen sie beim Verband damit, dass sie sich nach der Heim-WM einen neuen Trainer für die Frauen suchen müssen. Eine kniffelige Aufgabe. Der Aufwärtstrend soll 2018 ja nicht gleich wieder abbrechen.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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