Handball:Vom Hof zurück in die Halle

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DHB-Trainer Alfred Gislason. (Foto: F. gambarini / dpa)

Heimwerker Alfred Gislason wird wieder zum Handball-Bundestrainer.

Von Ulrich Hartmann, Solingen

Am Freitag musste Alfred Gislason, 61, zum Herrenausstatter. Auch ein Handball-Bundestrainer kümmert sich gelegentlich um seine Garderobe, allerdings hatte dieser Besuch in einer Boutique in Solingen eine tiefere Bedeutung. Im Flagship-Store eines Verbandssponsors aus der Textilbranche gab der Isländer siebeneinhalb Monate nach seiner Präsentation beim DHB im Februar seine erste Pressekonferenz. Gislason wurde in dem Solinger Geschäft repräsentativ eingekleidet - und stellte fest: "Ich war modisch gar nicht mehr auf der Höhe."

Nach sieben Monaten Stillstand im Handball ist dies ein Defizit, das man dem Bundestrainer großzügig verzeiht. Im Februar war der langjährige Erfolgstrainer des THW Kiel als Nachfolger von Christian Prokop vorgestellt worden, und das einzige, was er seither aktiv mit der Nationalmannschaft hat tun können, war ein einwöchiger Lehrgang im März in Hannover. Danach wurde wegen Corona alles abgesagt. Gislason war mit hochgekrempelten Ärmeln zum Nichtstun verurteilt. "Das war frustrierend", sagt er.

Also schaute er sich alle deutschen Länderspiele der vergangenen zwei Jahre an und dachte im Frühsommer eigentlich, dass er mit seinen Spielern immer schön regelmäßig videokonferieren sollte - ehe er merkte, dass die Spieler an Handball in jener Zeit gar kein so ganz großes Interesse hatten. Deshalb erledigte er zwischendurch auf seinem Bauernhof in der Nähe von Magdeburg all jene Handwerkerarbeiten, für die er in den 15 Jahren davor, als Vereinstrainer, nie Zeit gefunden hatte. "Jetzt ist auf dem Hof aber auch wirklich erst einmal alles erledigt", sagte Gislason am Freitag, und das war für den deutschen Handball natürlich verklausuliert das entscheidende Signal, dass es jetzt wieder losgehen kann.

Am Samstagabend spielen der Meister Kiel und Vizemeister Flensburg in Düsseldorf den Supercup aus, nächsten Donnerstag beginnt die Bundesligasaison. Anfang November stehen die ersten beiden Länderspiele an, Ende Dezember folgt das Final-Four der Champions-League in Köln, im Januar die WM in Ägypten und nächsten März die Olympia-Qualifikation in Berlin. Puhhh. Angesichts dieser massenhaften Termine benötigte Gislason nicht allzu lange, um sich vom Heimwerker wieder in einen Bundestrainer zurückzuverwandeln, und als solcher musste er natürlich gleich so einen Satz wie diesen sagen: "Wichtig ist jetzt, dass die Spieler gesund durch die nächsten Wochen kommen - ja, ich mache mir Sorgen, aber das tun die Vereine auch."

Gislason weiß genau, wo die Klubtrainer der Schuh drückt. Erstens war er in Hameln, Magdeburg, Gummersbach und Kiel jahrelang selbst Vereinscoach, zweitens hat er die vergangenen Wochen damit verbracht, einigen Bundesligaklubs vor Ort beim Trainieren und bei Testspielen zuzuschauen, um sich so einen Eindruck vom Zustand der Kandidaten für die Nationalmannschaft zu verschaffen. Sieben Monate lang haben die DHB-Spieler und all jene, die es werden wollen, sich beim Isländer nicht empfehlen können - umso knackiger wird jetzt der Kampf um die WM-Tickets. "Das Gerüst steht", sagt Gislason, "aber der Kader steht noch nicht fest, und auch in diesen Zeiten gilt das Prinzip: Die Leistung zählt!"

Das erste deutsche Länderspiel unter Gislason soll am 5. November eine EM-Qualifikationspartie gegen Bosnien-Herzegowina in Düsseldorf sein. Zwei Tage zuvor bekommt der Trainer seine Spieler erstmals wieder zusammen, und allzu viel effektive Arbeit wird auch dann kaum möglich sein. "Ich hatte aber ohnehin nicht vor, alles auf den Kopf zu stellen", sagt Gislason, "das wäre der größte Fehler, den ich machen könnte. Ich kann nur Feinarbeit leisten."

Den Handball, so wie er ihn sich vorstellt und wie ihn die Klubs und Spieler aus seiner Zeit in Kiel gut kennen, will er nach und nach implementieren. Relevante Stichwörter sind da: offensive 6:0Deckung, Gegenstöße, schnelle Mitte.

Die Wiederaufnahme des Spielbetriebs ist für Gislason ein Segen, weil er nach dem selbst gewählten Ende seiner Tätigkeit in Kiel im Frühjahr 2019 zunächst bewusst ein halbes Jahr pausiert hatte - und weil "aus dieser Pause jetzt schon fast eineinhalb Jahre geworden sind". Diese Zeit sinnvoll zu überbrücken, sei "wirklich schwierig" gewesen: "Ich habe in dieser Zeit versucht", sagt er fast entschuldigend, "mich auf all das vorzubereiten, was auf uns zukommen könnte."

Was da genau kommt, weiß Gislason, der als Klubtrainer sieben Mal deutscher Meister und drei Mal Champions-League-Sieger wurde, aber selbst nicht so richtig. Wenn man ihn fragt, mit welchen Zielen er die WM im Januar angeht, dann antwortet er: "Ob wir eine Medaillenchance haben, kann ich frühestens Mitte Januar beantworten - jetzt leider noch nicht."

© SZ vom 26.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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