Handball:Täglich neue Gewinnerinnen

Lesezeit: 2 min

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft der Frauen hat sich bei der EM vom Außenseiter zum Medaillenkandidat entwickelt. Und ihr Trainer glaubt: Sie wissen gar nicht, wie gut sie sind.

Von Michael Wilkening

Ein Trainer kann viel tun, um seine Mannschaft voranzubringen, aber irgendwann sind seine Möglichkeiten begrenzt. Henk Groener weiß das und vielleicht sagte er vor ein paar Tagen beinahe beiläufig diesen Satz. "Vielleicht merken die Mädels noch, wie gut sie eigentlich sind", merkte der Niederländer an, der mit den deutschen Handballfrauen gerade in Frankreich weilt. Er meinte: Die Überzeugung, auch mit den Besten mithalten zu können, muss sich im Inneren eines Teams entwickeln.

Bei der Europameisterschaft startete die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) vor gut einer Woche als Außenseiter ins Turnier, und weil die Schützlinge von Groener zuletzt den Eindruck hinterließen, dass sie gerade dabei sind, sich der eigenen Möglichkeiten bewusst zu werden, ist aus dem Außenseiter inzwischen ein Anwärter aufs Halbfinale geworden. Sollten die Deutschen am Sonntagnachmittag (15 Uhr) in Nancy gegen Ungarn gewinnen, können sie mit einem weiteren Erfolg am Mittwoch gegen die Niederlande tatsächlich in die Medaillenrunde einziehen.

Natürlich beinhalten die Sätze, die die deutschen Frauen und eine Medaille zusammenführen, noch den Konjunktiv, aber vor Beginn des Turniers wurden solche Sätze noch gar nicht gebildet. Seit Freitagabend und dem imponierenden 29:23-Sieg der DHB-Auswahl zum Beginn der Hauptrunde gegen Spanien sind Gedanken in Richtung des Halbfinales zulässig. Das liegt nicht daran, dass die Deutschen die Mannschaft aus Südeuropa schlug, sondern an der Selbstverständlichkeit, mit der sie es tat. Nach 30 Minuten war die Begegnung entschieden, weil die Deutschen zu diesem Zeitpunkt 17:9 führten und ihren Gegenüber schlicht überrannt hatten. "Die Mädels haben sich in einen Rausch gespielt", lobte Groener später. Der Bundestrainer stand am Spielfeldrand, applaudierte seinen Spielerinnen und hatte beinahe nichts mehr zu tun - Groener erlebte den Idealzustand in seinem Job, denn seine Mannschaft funktionierte ohne sein Eingreifen.

Die Mannschaft zeigt eine Qualität, mit der die Männer 2016 Gold gewannen

Dieser Zustand stellt für die deutschen Handballfrauen keinen Automatismus dar, schon gegen die körperlich robusten Ungarinnen ist eine Leistungsschwankung möglich. Groener, der die niederländischen Frauen zwischen 2009 und 2016 trainierte und in die Weltspitze führte, nahm seine Arbeit beim DHB erst im Januar auf. Die deutschen Frauen sind die zweitjüngste Mannschaft der EM. Wellentäler wären also nicht überraschend, sondern logisch. Unerwartet sind allerdings die Höhen, die eine neu formierte Mannschaft schon bei dieser Europameisterschaft erlebt. Beim 33:32-Auftaktsieg gegen den Titelverteidiger Norwegen wuchsen die Deutschen über sich hinaus, gegen Spanien beherrschten sie ihren Gegner und haben deshalb vier Punkte auf der Habenseite.

Vor fast vier Jahren stürmten die deutschen Männer bei der Europameisterschaft in Polen völlig unerwartet zum Titel, weil sie innerhalb des Turnieres ein Niveau erreichten, das vorher nicht absehbar war. Es wird den Frauen nicht gerecht, jetzt eine ähnliche Erwartungshaltung abzuleiten, aber die Mannschaft von Henk Groener zeigt eine Qualität, mit der die deutschen Männer 2016 die Goldmedaille gewannen: In jedem Spiel wird eine neue Heldin geboren.

Gegen Spanien ragte Dinah Eckerle heraus. Die Torhüterin hielt, was zu halten war, und ab und an noch einen Ball mehr. Die 23-Jährige steht sinnbildlich für die Potenziale, die in der deutschen Mannschaft schlummern. Seit Jahren gilt die Leonbergerin als großes Talent, in Frankreich steht sie zum ersten Mal bei einem großen Turnier als Nummer eins zwischen den Pfosten - und wächst an den Aufgaben. Die Deutschen sind aber eben nicht nur auf die Topform von Eckerle angewiesen. In den vorherigen Partien gab es in Riesentalent Emily Bölk, 20, Julia Behnke, 25, und Meike Schmelzer, 25, andere Matchwinner, die ihre individuellen Entwicklungen noch gar nicht abgeschlossen haben.

"Das Turnier macht Spaß und wir werden bis zum Ende kämpfen", sagte Eckerle nach ihrer Galavorstellung zum Beginn der Hauptrunde. In Richtung von Ungarn und der Niederlande kann dieser Satz auch als Drohung verstanden werden.

© SZ vom 09.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: